Gedenken an Srebrenica

Ausgabe 266

Foto: IKC Hamburg e.V.

(iz). Jedes Jahr am 11. Juli treffen sich die Hinterbliebenen von Srebrenica, um ihren Männern, Vätern, Söhnen und Brüdern die letzte Ehre zu erweisen. Srebrenica hinterlässt unvergessliche Narben und ist auch heute noch, 24 Jahre danach, allgegenwärtig.
So verloren innerhalb von drei Tagen 8.372 muslimische Männer und männliche Kinder auf brutalste Art und Weise ihr Leben. Diese Gräueltat, die vor den Augen des stillschweigenden Europas und den Blauhelmsoldaten der UN geschah, ist eine der Schrecklichsten der neueren europäischen Geschichte. Viele Menschen warten heute noch darauf, ihre Angehörigen beerdigen zu können. Die Überreste von über 1.000 Opfern wurden noch nicht identifiziert.
Am 01. Juli organisierte das Islamische Kulturzentrum der Bosniaken in Hamburg und Umgebung e.V. (IKC) in der Katholischen Akademie Hamburg eine ganztägige Gedenkveranstaltung zum Thema. In mehreren, teils bewegenden, teils informativen Beiträgen hatten die Besucher – die mehrheitlich bosniakischer Abstammung waren – die Chance, sich das ganze Ausmaß dieses historischen Schreckens vor Augen zu führen.
Dr. Esmir Catic, der 2008 an der Universität Wien zum Genozid von Srebrenica promovierte, gab in seiner tiefgründigen und erhellenden Einführung zur „Leugnung – Die letzte Stufe des Genozids“ einen Überblick über das Thema. Insbesondere ging er auf die psychiotischen Denkmuster der serbischen Politik ein, die sich bis heute einer angemessenen Wertung des Völkermordes von Srebrenica verweigert. Gleichzeitig wies der Forscher die Vorstellung zurück, es gäbe so etwas wie „genozidale Völker“. Die Philosophin Hanna Arendt zitierend, sagte Catic: „Wenn alle schuldig sind, dann ist es keiner.“
Ein weiterer Höhepunkt war eine szenische Lesung zur Vorgeschichte des Bosnienkrieges, der Leiden der bosnischen Muslime sowie der eigentlichen Ereignisse in und um Srebrenica am 11. Juli 1995. Das gelesene Stück war ein Werk von Wolfgang Stockmann. Dank der Leistung der SchauspielerInnen Marion Gretchen Schmitz und Stephan Benson sowie der sensiblen Begleitung am Akkordeon durch Waldemar Gudi entstand so ein Gesamtkunstwerk, das weit über die bloße Aufzählung der Grausamkeiten von 1992 bis 1995 hinausging, die in die Ereignisse vom Juli 1995 kulminierten.
Schmerzhaft ließ diese herausragende Lesung die Vorgänge und die mit ihnen verbundenen menschlichen Leiden zum Leben erwecken. Die Performer machten klar, warum es sich bei dem Bosnienkrieg um die größte Untat auf europäischem Boden seit 1945 handelte. Ihre Präsentation ließ keinen Platz für Relativierung oder Rechtfertigung der Ereignisse. Eine solche Präsentation des Bosnienkrieges, bei dem die angegriffenen Muslime übrigens niemals zum Mittel des Terrors griffen, ließ die seit 16 Jahren anhaltenden Islamdebatten in Europa wie Makulatur erscheinen.
Zum Schluss rundete ein englischsprachiger Zeitzeugenvortrag der Kinderärztin Dr. Fatima Klempic-Dautbasic diesen wichtigen und lobenswerten Thementag ab. Sichtlich um ihre Fassung ringend beschrieb sie ihre Erlebnisse in Srebrenica sowie den verzweifelten Versuch vieler Zivilisten, auf dem sogenannten Marsch des Todes auf bosniakisch kontrolliertes Gebiet zu entkommen. Sie gehörte zu den wenigen, die diese Qual überstehen konnte.
Dr. Klempic-Dautbasic machte aber auch deutlich, was die Bosniaken seit dem Vertrag von Dayton auszeichnet: Dass sie Gerechtigkeit und Respekt wollen, aber eben keine Rache. Es ist diese weitsichtige Haltung, die mithilft, den wackligen Frieden auf dem westlichen Balkan zu halten.
Mit diesem hochklassigen und gut organisierten Event erfüllte das IKC Hamburg seine Absicht. „Als Ziel dieser Veranstaltung ist neben der Erinnerung, die Sensibilisierung dieses Völkermordes“, heißt es auf der Webseite des Vereins. Das ist den Organisatoren gelungen.
Dem IKC Hamburg e.V. ist für diesen wichtigen Beitrag der Wissensbildung über den Genozid von Srebrenica zu danken. Es wäre wünschenswert, wenn ihr Bemühen in ganz Deutschland Nachahmer fände. Daher ist es schade, dass die gut gelegene Location im Hamburger Zentrum noch Platz für mehr Besucher gehabt hätte. Insbesondere wäre es schön gewesen, wenn noch mehr nicht-bosniakische Muslime an diesem wichtigen Tag teilgenommen hätten.