Geiseldrama in Nairobi – Angst vor den Al-Shabaab-Kämpfern

Kapstadt/Nairobi (KNA). In Kenias Hauptstadt Nairobi ist ein Alptraum Realität geworden: Seit Samstag belagern Terroristen ein Einkaufszentrum und morden. Die Zwischenbilanz beim Anschlag der radikal-islamischen Al-Shabaab: Mindestens 65 Tote und mehr als 170 Verletzte. Zahlreiche Menschen werden vermisst; mutmaßlich halten die Islamisten sie noch als Geiseln. Es herrscht Sorge vor einer Stärkung des somalischen Ablegers der Terrorgruppe Al-Kaida.

In ihrer Heimat Somalia war es um die Al-Shabaab, die Gotteskrieger, zuletzt eher ruhig geworden. In der Hauptstadt Mogadischu sprach man zuletzt gar von Normalität – wenn auch leise. Im August 2011 hatte die Friedensmission der Afrikanischen Union AMISOM die Al-Shabaab aus der Hauptstadt verdrängt. Seit damals wagen sich Ärzte, Anwälte und Ingenieure zurück. „Selten kommt es zu Selbstmordattentaten, aber auch die halten die Diaspora nicht davon ab, in großer Zahl zurückzukommen“, sagt James Ferguson, Anthropologe an der US-Universität Stanford. Die Menschen bauten die Stadt neu auf, und sie seien entschlossen, den Terroristen zu trotzen.

Gefährlich bleiben sie dennoch. Nicht nur, dass sie weite Teile des Hinterlands kontrollieren; ihre Attacken scheinen koordiniert. Nach Einschätzung Fergusons war die Geiselnahme im kenianischen Westgate-Einkaufszentrum zeitlich abgestimmt mit einer Offensive in der Hafenstadt Kismaayo im Süden Somalias und Granatenattacken auf einem Markt in Mogadischu. US-Sicherheitsquellen warnten in den vergangenen Monaten vor einer Zusammenarbeit von Terroristen in Afrika: Boko Haram in Nigeria, die Aqim in der Sahelzone und Al-Shabaab in Somalia.

Auch für die Region Ostafrika bleiben Somalias Gotteskrieger eine Gefahr. In diesen Tagen trifft es Nairobi, 2010 war es die ugandische Hauptstadt Kampala. Die Terroristen hatten während der Fußball-WM das Feuer auf Fans eröffnet. Damals wie heute wollen sie die jeweiligen Länder für die Entsendung von Friedenssoldaten bestrafen. „Sie haben die Möglichkeiten dazu“, sagt Ferguson, und einer ihrer Wünsche sei schon erfüllt: eine hohe Medienaufmerksamkeit.

In Kenia wolle die Al-Shabaab zudem die religiösen Lager gegeneinander aufbringen, meint der Wissenschaftler. Die christliche Mehrheit und die muslimische Minderheit kamen bislang gut miteinander aus, auch in Nairobi. Die Sicherheitskräfte werden nun in den kommenden Tagen das Stadtviertel Eastleigh im Auge behalten, aus Sorge vor möglichen Racheakten. Wegen der hohen Zahl an Einwanderern aus dem Nachbarland wird das Viertel auch „Klein-Mogadischu“ genannt.

Dennoch: Mit einer Rückkehr der Al-Shabaab als Regionalmacht in Kenia rechnet der Berater des somalischen Präsidenten, Abdirahman Omar Osman, nicht. Der Anschlag in Kenia beweise vielmehr, wie verzweifelt die Al-Shabaab sei: „Sie hat den konventionellen Krieg in Somalia verloren. Um zu zeigen, dass sie immer noch am Leben sind, verpassen die Terroristen jungen Menschen eine Gehirnwäsche und schicken sie in Attacken wie diese“, so Osman.

Auch Eloi Yao von der AMISOM-Mission ist zuversichtlich, dass dies die letzten Zuckungen einer sterbenden Gruppe seien. Seit 2011 sei die Al-Shabaab von einer Kriegsmacht und einem regionalen Machthaber zu einer instabilen Terrorgruppe verkommen. „Unsere Soldaten sind sich dessen bewusst und ändern dementsprechend ihre Strategie.“ Derzeit sind rund 17.100 Friedenssoldaten in Somalia stationiert.

Kenia werde seine Truppen nach dem Geiseldrama nicht abziehen, schätzt Ferguson – schon aus Stolz: „Im vergangenen Jahr nannte Ugandas Präsident die kenianischen Streitkräfte eine Baracken-Armee. Es liegt an ihnen, das Gegenteil zu beweisen.“ Ein Abzug nach dem Drama im Einkaufszentrum ließe Kenias Präsident Uhuru Kenyatta schwach aussehen. Zudem sei er persönlich involviert, nachdem auch sein Neffe und dessen Partnerin bei den Anschlägen ums Leben kamen. „Außerdem weiß Kenyatta: Stabilität in Somalia bedeutet Stabilität in Ostafrika und auf der ganzen Welt“, so AMISOM-Sprecher Yao.