Geschichte: Seit mehr als hundert Jahren arbeiten die albanischen Gelehrten an umfassenden Übersetzungen. Von Dr. Xhabir Hamiti

Ausgabe 205

(iz). Die ersten Kontakte zwischen dem Islam und Albanern lassen sich bis in 10. Jahrhundert zurückverfolgen. In dieser Zeit erreichten muslimische Händler aus Spanien (Al-Andalus) die östliche Adria. Laut historischen Aufzeichnungen waren die Albaner – die in der Antike auch Illyrer genannt wurden – Heiden, bevor sie das Christentum annahmen. Sie lebten entlang der adriatischen Küste und ihrem bergigen Hinterland.

Obwohl der Katholizismus weit vor dem Islam hier ankam, war er trotzdem im geringerem Maße unter den Illyrern verbreitet. Der Islam, der sich unter den Osmanen auf der gesamten Balkanhalbinsel ausbreitete, wurde im wesentlich stärkeren Maße akzeptiert. Zuvor lebten die Albaner lange unter der Herrschaft der byzantinischen Reiches. Seine Staatsreligion war das orthodoxe Christentum.

Die Historiker sind sich einig darüber, dass der Islam in den albanischen Siedlungsgebieten während des 17. Jahrhun­derts seine größte Ausbreitung ­erreichte. Das osmanische Reich hatte aber niemals die Absicht, seinen Untertanen ­(darunter den Albanern) den Islam aufzuzwingen. Unzählige osmanische Dokumente – insbesondere die Fermane der Sultane – dokumentieren den Respekt für die religiö­sen Gemeinschaften in den von ihnen regierten Gebieten.

Die Anstrengungen zur Übersetzung der Bedeutungen (und ihre Kommentie­rung) des Qur’an waren für die muslimi­schen Gelehrten ein wichtiger Bestandteil, die Botschaft Allahs weiterzugeben. Diese Bewegung erreichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihren Höhepunkt. Das Lesen und Auswendiglernen des Qur’ans, die Übersetzung seiner Bedeutungen und deren Interpretation begann natürlich bereits, als die ersten Albaner den Islam annahmen. Anfänglich fand dies auf mündlicher Basis in Madrassen und anderen Lehreinrichtungen statt. Die alba­nischen ‘Ulama, die um die Bedeutung der qur’anischen Lehren wussten, trugen mit der schriftlichen Übersetzung zur Kultur Albaniens bei.

Daher ist es nicht überraschend, dass sich in muslimischen Bibliotheken ­Dokumente von unschätzbarem Wert finden. Es ist eine Tatsache, dass sich in jedem muslimischen Haushalt solche Manuskripte gab, die mit großer Sorge bewahrt wurden. Bis heute blieben ­einige Manuskripte erhalten.

Qur’anstudien auf Albanisch wurden zuerst in den muslimischen Publikationen ihrer Zeit („Zani i Naltë“,“ Kultura Islame“, „Takvim“, „Edukata Islame“, „Dituria Islame“, „Jeta Myslimane“, etc.) veröffentlicht. Dabei handelte es sich um Kommentare und Übersetzungen einzelner Qur’anverse, Kommentare einzel­ner Suren etc. Zu Beginn der 1930er wurden die ersten Anstrengungen unter­nommen, maßgeblichere Arbeiten über das Wort Allahs zu veröffentlichen.

Albanischsprachige Veröffentlichungen zum Thema sind jüngeren Datums als anderswo in der Region – die beispiels­weise serbische oder bosnische Texte. Dies liegt daran, weil die Albaner erst vergleichsweise spät eine territoriale Souveränität erhielten, während unter den Osmanen das Albanische in Madrassen und weiterführenden Lehreinrichtungen nicht benutzt wurden. Nach der albanischen Unabhängigkeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts beherrschten nur wenige die Schriftsprache.

Bereits zuvor gab es teilweise Übertragungen des Qur’ans ins Albanische (beispielsweise von Naim Frashëri, ­Tahir Efendiu, Muhamed Kyçyku etc.). ­Frashëri schrieb 1870 ein sehr interessan­tes Buch namens „Telbi i Kur’anit“. Es ist eine Zusammenstellung von Qur’anversen, die ins Albanische übertragen wurden. Die am häufigsten übersetzten Suren sind die Al-Fatiha, Ja-Sin und letzten zehn Qur’ansuren. Diese Übertragungen wurden in verschiedenen Magazinen veröffentlicht. Im 20. Jahrhundert zeichneten sich die folgenden ­Gelehrten durch ausgesuchte Übertragungen aus dem Qur’an aus: Hafiz Ali Korca, Ibrahim Dalliu, Vehbi Dibra, Ismet Dibra, Ferid Vokopola, Haki Sharofi, Sherif ­Putra, Qazim Hoxha, Sadik Bega, H. Sherfi Ahmeti, Hajrullah Hoxha, etc.

1929 konnte Ibrahim Dalliu den ­ersten Band seines Werkes („Die Essenz der Bedeutungen des Qur’an“) veröffentlichen, dass systematische Kommentare enthielt. Darin kommentierte er die ersten acht Suren und schuf damit ein Vorbild, wie der Qur’an in Zukunft kommentiert ­werden sollte. Seine Initiative wurde durch den Scharia-Rat in Albanien kontrolliert. Dallius Ziel war es, ein Buch mit den Bedeutungen des Edlen Qur’ans zu veröffentlichen. Bis heute gilt dieses Werk als der umfangreichste Versuch seiner Art in der albanischen Sprache (trotz der Tatsache, dass es unvollendet blieb).

Viele Gelehrte sind der Ansicht, dass 1945 die Kopie einer vollständigen Übersetzung der qur’anischen Bedeutungen der Muslimischen Gemeinschaft Albanien übergeben wurde. Dieser Text wurde von einer Übersetzergruppe angefertigt, die von einer professionellen Kommission gegengelesen wurde. Diese Übersetzung blieb unveröffentlicht. Angeblich befindet sie sich in den Archiven der Muslimischen Gemeinschaft. Die erste vollständige Übersetzung wurde 1982 von Sheh Jahja Shehu fertig­gestellt. Aus unbekannten Gründen blieb der Text aber bis heute unveröffentlicht. Das Manuskript wird in der Sadi ­Tarikat Tekke in Gjakova aufbewahrt. Sie basiert auf einer früheren, bosnischen Übertragung von Ali Karabeg und Panda ­Cuasevic. Ohne die arabischen Verse hat es 951 Seiten.

Zur ersten albanischen Veröffentlichung kam es 1985. Ihre Übersetzung wurde von Dr. Feti Mehdiu angefertigt. Finanziert wurde sie vom Vorstand der Islamischen Gemeinschaft im Kosovo. Als erste vollständige Übersetzung der qur’anischen Bedeutungen wurde sie von den albanischen Muslimen begrüßt. Dr. Mehdiu verzichtete auf Fußnoten und Kommentare einzelner Qur’anverse. Gelehrte kritisierten den Text aber in Hinblick auf die wissenschaftlichen Kriteri­en, die für eine solche Übersetzung notwendig seien. Er wurde mit einigen Änderungen 1999 erneut in Istanbul aufge­legt. Hinzu kamen hier die Verse des arabischen Originals.

Die zweite Übertragung wurde 1988 von Hasan Nahi, einem Dozenten der Alauddin-Madrassa in Prishtina fertiggestellt. Nahi verfügte über die professio­nellen Voraussetzungen für diese Aufgabe. Er war ein Kenner der arabischen Sprache und der islamischen Terminologie im Allgemeinen. Seine Übersetzung hat 610 Seiten und bietet neben dem Text auch das arabische Originals. Seine Kommentare wurden in Klammern eingefügt. Bisher wurde Nahis Text zwei Mal (2000 in Prizren und 2006 in Tira­na) herausgegeben.

Die dritte Übersetzung der qur’anischen Bedeutungen wurden 1988 vollendet. Ihr Autor war der herausragende Gelehrte und Philosoph Sherif Ahmeti. Dies ist die bisher beliebteste Übersetzung und wurde ebenfalls von der Islami­schen Gemeinschaft im Kosovo veröffentlicht – und erneut in Rom, Ägypten und Medina aufgelegt. Alleine in Medina wurden eine Millionen Exemplare ­gedruckt. Vor allem in Albanien wurde sie umsonst verteilt, um das religiöse Vakuum zu füllen, dass dort vom kommunistischen Regime hinterlassen wurde. Begleitet wird die Übertragung von kurzen Kommentaren und Erklärungen, die nützlich für den Leser sind.

Dieser Text ist – wie andere vor ihm auch – nicht perfekt. Trotzdem ist er der gefragteste unter den Lesern. Zusammen mit dem arabischen Text hat das Buch 903 Seiten.