Gesundheit: Den Hunger als Chance begreifen

Ausgabe 275

Foto: Jean Fortunet, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY 1.0

(iz). In Sachen Ernährung befindet sich der Mensch stets zwischen Hunger und Sättigung. Die korrekte Balance ist für ihn also, zu essen, wenn er hungrig ist – wenn er denn die Möglichkeit hat, tatsächlich hungrig zu sein. In unserer Zeit erleben wir eine Beschädigung dieser Fähigkeit, wirklichen Hunger zu spüren, denn es ist so viel an Essen da.

Dies hat zu einer Schwächung der ­Verdauungsorgane geführt, und durch diesen Schaden finden wir uns heute in einer Situation, in der wir Nährstoffe nicht gut verarbeiten können. Das Resultat ist, dass Rückstände dessen, was wir ausscheiden sollten, im Körper gehalten werden, weil wir sie nicht ausscheiden können. Somit beginnen wir, Krankheiten zu entwickeln, die mit der Vergiftung des Körpers zusammenhängen. Unter ihnen sind Arthritis, Psoriasis, Ekzeme, usw. Sie alle werden durch das Versagen des Körpers, Fäkalien richtig auszuscheiden, verursacht.

Eine der Möglichkeiten, die uns der Ramadan bietet, ist die Rolle, die der Hunger in unserem Leben spielt, wiederzuerkennen. Wenn wir aus Angst essen, führt dies immer zu einem Überschuss. Denn es ist kein Essen, um Hunger zu stillen, sondern ein Essen, um die Angst zu stillen, die wir verspüren, weil wir uns fürchten, nicht genug zu haben, um unserem Verlangen nachzukommen. Wir sehen, dass die Muslime diese Angewohnheit gerade im Ramadan entwickelt haben.

In dieser Zeit ist unser Zustand als Muslime, der kein guter ist, besonders sichtbar – in dem Moment, wenn das Fastenbrechen beginnt. Und dann machen wir all die Witze über das Tarawwih Gebet, welches mit einem über­füllten Magen verrichtet wird. Unsere Grund­aufgabe besteht für uns also darin, die Balance zum Hunger wiederherzustellen.

Jedoch ist es sehr schwer, in einer Zeit, die an sich unbalanciert ist, Balance zu finden. Wir lesen die Ahadith und die Ratschläge der Sufis und finden darin Anweisungen, wenig zu essen und zu schlafen. Aber die Natur unserer Epoche ist, dass wir übermäßig viele Stunden arbeiten. Wir haben die Nacht erleuchtet, indem wir durch Elektrizität künstliches Licht im Dunkeln geschaffen haben. Also gehen wir erst spät schlafen. Weiere Faktoren hierfür sind das Fernsehen und das Internet. All dies hält uns von einem natürlichen Schlafrhythmus ab. Wenn man spät schlafen geht und und lange Arbeitstage hat, wird man müde sein. Sind wir übermüdet, neigen wir dazu, Süßes essen zu wollen und generell Kohlenhydrate zu suchen. Der Körper schreit nach einfacher, schneller Energie.

Viele haben deswegen Ringe unter den Augen, denn die Nebenniere ist einem Druck ausgesetzt. Solche Leute werden meist auf Schokolade und andere ­Sü­ßigkeiten zurückgreifen. Und es ist fast unmöglich für sie, diese Angewohnheit zu ändern. Wenn sie es über einen Zeitraum hinweg aushalten, finden sie sich meist in einer Situation wieder, in der sie schließlich aufgeben und sich „vollstopfen“.

Der Mensch hat eine Fitra. Wenn wir diese nicht berücksichtigen, dann werden wir verlieren. Denn Allah sagt, dass nichts die Balance brechen wird. Wenn wir all diese schlechten Gewohnheiten bei­behalten und dem Körper nicht die Art von Bewegung und Ruhe sowie die Nahrung, die er tatsächlich braucht, zukommen lassen, wird er aufhören, eine natürliche Reaktion auf den Hunger zu haben. Daraus ergeben sich zwei sich gegen­überstehende Seiten: eine Kultur des Diätmachens und eine Kultur der Fettleibigkeit.

Viele Leute befinden sich daher in einem Ohnmachtszustand, weil sie einfach erschöpft sind. Sie können den Kreislauf der Kohlenhydrataufnahme nicht stoppen, weil der Körper ständig danach verlangt. Insulin wird ständig ausgeschüttet und das Resultat dessen ist, dass der Körper es in Fett wandelt und wir zunehmen. Unser Hungergefühl ist pervertiert, denn eigentlich ruft der Körper nach Erholung und wir geben ihm stattdessen Zucker.

Die verschiedenen Diätarten, die wir auf dem heutigen Markt finden, sind eine Ausprägung eben dieser Sache, nur in verschiedenen Gewändern. Oft sind sie bloß eine neue Art, uns genauso zu ernähren wie vorher, nur mit anderen Lebensmitteln, die wir nun für gesund halten. Ein wirkliches Umdenken unserer Lebensgewohnheiten findet dabei nicht statt.

Das ist eine Sache, welche die Lebensmittelindustrie sehr gut verstanden hat. Zucker macht süchtig, daher finden wir in den Supermärkten mehr und mehr Lebensmittel, die reichlich zuckerhaltig sind, denn wenn wir süchtig nach ihnen sind, ergibt dies einen großen Markt und die Lebensweise, die dieses Konsum­verhalten fördert, bleibt erhalten. Dies ist der Grund für die Vorherrschaft der kohlenhydratreichen Lebensmittel in den Geschäften – sie sichern Profit.

Ich bitte meine Patienten daher meist, einfach früh uns Bett zu gehen. Nach etwa zwei Wochen verändert sich ihr Verlangen nach Zucker und ihre Ernäh­rungsweise allgemein. Denn der Körper stellt seine Balance wieder her und die Pervertierung des Hungergefühls geht allmählich zurück.

Wenn wir uns die Entwicklung unserer Essgewohnheiten anschauen, sehen wir, dass das, was als traditionelle Ernährung in verschiedenen Völkern galt, heute im Prinzip nicht mehr existiert. Was wir für die traditionelle Küche eines Landes halten, ist es meist nicht. Denn wir waren geschichtlich nie in der Lage, Getreide und Kartoffeln in den Mengen zu produzieren, in welchen wir sie heute vorfinden. Erst durch die Schaffung von Düngemitteln waren wir imstande, Unmengen dieser Lebensmittel, die heute unser Hauptbestandteil an Nährstoffen sind, günstig anzubauen. Dies hat mit Tradition nichts zu tun. Der Großteil der wissenschaftlichen ­Literatur zum Thema Ernährung begüns­tigt diesen Umstand, denn sie wird von der Lebensmittelindustrie bezahlt, um Resultate zu erbringen, die in ihrem Interesse liegen.

Wenn wir aber unseren Fokus weg von Kohlenhydraten und hin zum Fett verlagern, finden wir, dass unser Energiehaushalt eine Veränderung durchläuft. Besteht unsere Ernährung hauptsächlich aus Gemüse und guten Fetten, Protein in Maßen und ein wenig Kohlenhydraten, kann der Körper Fett abbauen und Energie über einen längeren Zeitraum hinweg halten. Wenn wir ihm aber Zucker geben, dann wird er nur den Zucker verbrauchen, weil dies für den Körper am einfachsten ist, und unsere Fettleibigkeit bleibt erhalten oder steigt sogar. Lange haben wir geglaubt, dass Fett dick macht. Das Gegenteil ist der Fall. Es gibt uns exzellente Energie, so­lange es nicht in Verbindung mit Kohlenhydraten eingenommen wird beziehungsweise diese in sehr kleinen Mengen gehalten werden. Im Gemüse finden sich zudem alle Nährstoffe, die der Mensch benötigt – von Kohlenhydraten und Fetten, bis hin zu Proteinen, Mineralien und Vitaminen.

Grundlegend ist aber unser Problem, dass wir Gewohnheiten nicht ändern wollen. Wenn wir Gesundheit und gute, langanhaltende Energie in unserem Leben erreichen wollen, dann müssen wir uns und das was wir wollen, fundamental ändern.