Gewalt ist eine soziale Krankheit

Ausgabe 249

Foto: NATO

(IPS). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist der Ansicht, „Gewalt ist eine vermeidbare Krankheit“. Menschen würden nicht gewaltsam geboren, vielmehr lebten wir alle in gewalttätigen Kulturen. Dies kann durch gewaltfreie Friedensbemühungen und der Suche nach einem „gerechten Frieden“ geändert werden.
Ich glaube, dies ist eine Zeit, in der Europa vor Weichenstellungen steht. Und harte Entscheidungen bezüglich seiner Politik und Prioritäten fällen muss. Die Herausforderung durch Flucht und Zuwanderung hat die besten und die schlechtesten europäischen Werte gezeigt. Das beste Beispiel war die barmherzige Antwort von Papst Franziskus und des italienischen Volkes, von Regierungen und politischen Führern wie Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel sowie von Millionen einfachen Bürgern in ganz Europa. Sie tun ihr Bestes, um den Flüchtlingen und Einwanderern zu helfen, die aus vom Krieg erschütterten Ländern angekommen sind.
Das Schlimmste war die Lehre der Furcht. Angeheizt wurde sie von negativen Kräften. Diese bewirkten einen Anstieg von Rassismus, Islamfeindlichkeit, Hassverbrechen und -reden sowie Faschismus in einigen europäischen Städten – Metropolen, die bisher als Orte der kulturellen Vielfalt und der Duldsamkeit bekannt waren. Der Strom der Flüchtlinge und Zuwanderer wird sich weiterhin nach Europa ergießen. Die Frage lautet: Was ist die Rolle Europas und seiner Bürger? Ich hoffe, dass es weiterhin Mitgefühl an den Tag legen wird und diejenigen aufnimmt, die so verzweifelt sind, dass sie ihre Liebsten verlassen, um ihr Leben zu retten oder anderswo ein besseres zu finden.
In der EU reisen junge Europäer in andere Staaten und versuchen, dort einen Job zu finden. Sparmaßnahmen, die von vielen Regierungen erzwungen werden, treiben die Menschen weiter in die Armut. Trotz eines Mangels an Jobs und der sich ergebenden Armut für viele Familien, bestehen Führer auf die bisherige Politik und unterstützen ausländische Kriege, anstatt die menschliche Sicherheit der EU-Bürger, die Gesundheitsvorsorge, Bildung und Umwelt zu fördern.
Die britische Regierung hat jüngst weitere Einsparungen beschlossen. Das hat die sozialen Dienste für viele arme Familien verringert. Gleichzeitig versprach sie eine Erneuerung der nuklearen Trident-Raketen (die Atomwaffen befinden sich, obwohl auf europäischem Boden, unter Kontrolle der US-Regierung). Das geschieht alles trotz Millionen von Bürgern, die gegen Atomwaffen protestieren und ein nuklearwaffenfreies Großbritannien und eine nuklearwaffenfreie Welt fordern.
Viele europäische Regierungen belügen sich selbst. Sie leugnen die Krise. Solange eine mutige Politik keine Wende herbeiführt und mehr Geld in die menschliche Sicherheit investiert, um Arbeitslosigkeit und Armut zu beheben, wird es keinen Wandel zum Besseren in unseren Gesellschaften geben. Jedoch brauchen wir keine Sparmaßnahmen. Wir leben in einer sehr reichen Welt. Es sind nur ihre Prioritäten, die falsch sind.
Die NATO und Europa geben Milliarden aus. Damit werden Militärübungen und Angstmacherei finanziert. Sie sollen die Menschen mental auf Feindschaft und Krieg vorbereiten. Gleichzeitig füllen sie die Taschen von Reichen, Waffenproduzenten und Kriegsgewinnern. Im November 2015 konzentrierten sich die politischen Führer der Welt und die Medien auf die Flüchtlingskrise und die Gewalt von illegalen Gruppen wie Daesh und anderen Extremisten. Gleichzeitig fand eine der wirklichen Bedrohungen für das Überleben der Menschheit in Nordeuropa statt. Die NATO führte das größte Manöver seit 13 Jahren aus.
Ich glaube, dass sich Europa (und die ganze Welt) jetzt harte Fragen stellen und harte, mutige und entschlossene Entscheidungen treffen muss. Wollen wir den Weg zu einem erneut bewaffneten Europa und einer hochgerüsteten Welt beschreiten? Wollen wir Feindbilder schaffen und andere Länder sowie ihre Führer dämonisieren? Wollen wir „Regimewechsel“ durch ein falsch verstandenes Schutzrecht einfordern? Oder wollen wir anfangen, unsere Herzen und unseren Verstand zu entwaffnen, unsere Waffen zu demontieren und dadurch Krieg und Militarismus beenden?
Europa und die Welt brauchen eine neue Vision der Einheit und der Entwaffnung ganzer Regionen. Die Gemeinschaften müssen ermächtigt werden, damit die Menschen sich befähigt fühlen und wirkliche Demokratie Realität werden kann.
Wir haben dafür ausreichend Vorstellungsvermögen und Genius. Mit Selbstbewusstsein und Vertrauen in uns und den Anderen können wir uns von Nationalismus und Krieg fortbewegen.
Die Autorin ist Friedensaktivistin und erhielt 1976 den Friedensnobelpreis.