Ging es bei der umstrittenen Plakataktion um einen praktischen Nutzen? Von Khalil Breuer

Ausgabe 208

„Die Markierung von Muslimen als ‘Islamis­ten’ ist somit längst eine Form der Machtausübung geworden, über die Verfassungsschutzämter und Medien ohne ­effektive richterliche Kontrolle verfügen können.“

(iz). Eigentlich war es ein Fall für den Bundesrechnungshof: Das Innenministerium gab mehrere hunderttausend Euros für eine Plakataktion mit zweifelhafter „Botschaft“ aus. Nur, um das Vorhaben später erst einmal auf Eis zu legen – nach eigenen Anga­ben aus Sicherheitsgründen.

Das Motiv war einfach gestrickt. Eigentlich ganz nett aussehende Immigrantenkinder wurden vom BMI „vermisst“, sind also in die Fänge von Islamis­ten und Hasspredigern geraten. Die Botschaft kam so bedenklich simpel rüber: Wir Bürger sollen alle aufpassen, unkon­trollierten dunklen Bartwuchs beobachten, aber natürlich auch blonde verführte Jünglinge, die unter Gebetskappen verschwinden, melden.

Der praktische Nutzen der Aktion dürfte bei Null liegen. Falls es um den praktischen Nutzen wirklich ging: Wahrscheinlicher sollte die Aktion wohl das diffuse Bedrohungsbild nähren, dass nun schon seit Jahren die Wachstumsraten in Sachen Sicherheitsbudget stützt. „Der moderne Staat, verletzlich, bedroht, feingliedrig“„, dieses Bild des, wie Jean Christophe Rufin sagt, offiziell „morbiden“ Staates, muss heute laufend propagiert werden, wohl um die tatsächliche Unein­nehmbarkeit der Staatsstrukturen in Nebel zu hüllen.

Bleiben wir auf dem Teppich: Noch nie hatte der moderne Staat so viele Sicher­heitsstrukturen, verfügte über eine solche feingliedrige Überwachungstechnik, beschäftigte so viele Beamte, ­V-Leute und Spitzel. Kurz gesagt: Eine feindliche Übernahme durch Extremisten oder ein Staatsstreich ist heute nicht mehr als eine theoretische Möglichkeit. (Vernachlässi­gen wir hier die praktische Frage, ob der Staat ähnlich gut aufgestellt ist, wenn man an die Angriffe auf seine Ordnung aus dem ökonomischen Bereich denkt. Ein Staatsstreich der Banken ist ein reales Bedrohungsszenario, dass bisher nur langsam wissenschaftlich aufgearbeitet wird.)

Es gibt wohl überhaupt nur zwei Phänomene, die rational die Sicherheit des Staates, wenn auch mit völlig unterschiedlicher Potenz herausfordern könnten: Der Wahnsinn und der Hunger. In beiden Fällen gibt es keine absolute Sicherheit. Jede Volksgruppe kann den Ex­tremismus in seiner militanten Wahnform beherbergen: ein Hooligan, ein reli­giöser Fanatiker, ein Rechter, Linker, ein Papstanhänger, ein Waffennarr oder ein Schuldner. Sie sind die, unter uns leben­den Indianer und mögliche Amokläufer, die das sicherheitspolitische Restrisiko darstellen. Damit müssen wir leben.

Die andere Form der Staatsbedrohung ist ungleich fundamentaler. Es ist die in jeder ökonomischen Krisen mögliche Rückkehr zum Urzustand: Die Massen können gefährlich werden, wenn es statt Brot und Spiele, nur noch Spiele gibt. Parallel kann man auch über die Gefahr nachdenken, dass sich diejenigen, die etwas zu verlieren haben, sich des Staates vorab bemächtigen. Damit müssen wir auch leben.

Ironischerweise haben immer mehr Bürger – gerade nach der undurchsichti­gen Rolle der Dienste im Falle der NSU – Angst vor den Überwachungsbehörden. Hinter den dunklen Jalousien arbei­ten tausende Menschen. Es ist eine ziemlich große Parallelgesellschaft. Innenminister Friedrichs hilflose Idee neuer mons­tröser Superbehörden vernachlässigt schlicht den menschlichen Faktor. Es ist kein Problem der Software. Die Mitarbeiter der Geheimdienste gehören schon jetzt diversen Gruppen und Seilschaften an, sie stehen unter dem Einfluss von Lobbyisten, Parteien, sie ­deuten Gefahren, pflegen Vorlieben, haben Kontakte zu Diensten dritter Staaten, arbeiten für die Interessen der Industrie oder wen auch immer.

Die „plakative“ These der Sicherheits­behörden im Bereich des „Islamismus“ ist, dass jede religiöse Einstellung in eine ideologische Einstellung münden kann, die wiederum jederzeit in den Wahnsinn übergehen kann. Diese Stufentheorie wendet sie in erster Linie auf die muslimi­sche Glaubensgruppe an. Sie hat daher insbesondere die muslimische Bevölkerung in eher unbedenkliche und beinahe schon bedenkliche Kategorien eingeteilt, subtil verknüpft mit der Intensität der Glaubensausführung. Zugespitzt formu­liert: Wer kaum betet, soll weniger anfäl­lig für Extremismus sein, wer in die Moschee geht, auf den muss man eben ein Auge werfen.

Eines der Desaster der Strategie der Behörden um den politische Islam zeigt sich in der – auch in der Deutschen Islamkonferenz vorgeführten – Dialektik zwischen „konservativen“ und „liberalen“ Muslimen. Immer mehr junge Muslime glauben nun, man müsse sich nun genau zwischen diesen beiden Extremen entscheiden, als könne man „liberal“ oder „konservativ“ beten oder die Zakat zahlen.

Ich bin der Meinung, dass Muslime, die Straftaten begehen, verfolgt werden sollten. Formen der Gesinnungsschnüfe­lei oder staatliche Aktionen, die über re­ligiöse Einstellungen spekulieren oder gegen diese Stimmung mit meinem Steuergeld macht, lehne ich dagegen ab. Nur zur Erinnerung: Der Begriff des „Islamis­mus“ ist völlig unbestimmt. Er umfasst im Moment in seiner Schnittmenge und je nach Belieben „Orthodoxe, Funktionäre, organisierte Muslime, Gläubige, Gesinnungsraudis, aber auch Schwerverbrecher und Mörder“. Die Markierung von Muslimen als „Islamisten“ ist somit längst eine Form der Machtausübung geworden, über die Verfassungsschutzämter und Medien ohne ­effektive richterliche Kontrolle verfügen können.

Natürlich hat dies längst zu einer ­Einschüchterung unter Muslimen geführt. Sie flüchten offensichtlich aus der Öffentlichkeit, nur „vermisst“ sie dort keiner.