Glen Jäger wirft einen kritischen Blick an den Golf

Ausgabe 277

Foto: StellarD, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 4.0

(GFP.com). Ein wenig ruhiger ist es im vergangenen Jahr um Qatar geworden. Das kleine Emirat am Persischen Golf ist mehr als zuvor mit sich selbst beschäftigt, seit es am 5. Juni 2017 von Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und einigen weiteren Ländern der muslimischen Welt mit einer politisch-ökonomischen Totalblockade belegt wurde.
Zuvor hatte es jahrelang immer wieder Schlagzeilen gemacht – mit seinem Sender Al Jazeera, der sich ab 2011 auf die Seite des Arabischen Frühlings stellte und seiner Intervention in die regionale Außenpolitik. Das Emirat, das Milliardensummen in deutsche Großkonzerne wie Volkswagen und die Deutsche Bank investiert hat und auch darüber hinaus zunehmend mit deutschen Firmen kooperiert, mischte an vorderster Front in der nah- und mittelöstlichen Politik mit.
Der Sozialwissenschaftler Glenn Jäger nimmt in seinem kürzlich erschienen Buch „In den Sand gesetzt“ Qatar umfassend in den Blick. Den Hauptfokus legt er auf die Vorbereitungen für die Fußball-WM im Jahr 2022, die das Emirat ausrichten wird. Schon die Vergabe der WM an Qatar hat weithin für Stirnrunzeln gesorgt. Eine Fußball-Weltmeisterschaft in der glühenden Wüstenhitze der Arabischen Halbinsel? In einem Land, das im Gegensatz zu anderen Interessenten über keine wirkliche Fußballtradition verfügt? Die Umstände haben schon bald Anlass zu bohrenden Nachfragen und zu kritischen Recherchen geboten. Man erfährt unter anderem, wie Mohamed Bin Hammam, ein Jugendfreund des Emirs von Qatar, ab 1996 Mitglied im FIFA-Exekutivkomitee, Deutschland half, die notwendigen asiatischen Stimmen für die Vergabe der Fußball-WM 2006 zu bekommen. Wäscht eine Hand die andere? Jedenfalls zeigte sich, dass schon vor der Entscheidung für den Austragungsort Qatar deutsche Fußballfunktionäre wie etwa Franz Beckenbauer das Emirat zu bereisen begannen. Und nicht nur sie.
Auch deutsche Politiker gaben sich in jener Zeit in Qatar fast die Klinke in die Hand. Qatar hatte – ganz unabhängig von der Fußball-WM – begonnen, Wirtschaft und Infrastruktur systematisch auszubauen, um perspektivisch seiner völlig einseitigen Abhängigkeit von Erdöl und Erdgas zu entkommen. Dazu diente, wie Jäger es schildert, unter anderem ein Großprogramm mit dem Titel „Qatar National Vision 2030“, das wiederum bei deutschen Unternehmen Interesse an teils milliardenschweren Aufträgen weckte. Konnte da nicht die Fußball-WM dem Emirat ­weitere Anreize und interessierten Firmen ­zusätzliche attraktive Aufträge bieten? Wie auch immer – die Pläne, mit denen Qatar sich erfolgreich um die WM-Vergabe bewarb, wurden in Frankfurt am Main entwickelt, vom Architektur- und Planungsbüro AS+P (Albert Speer und Partner).
Die Verbindung der großen Gesamtschau auf Politik und Ökonomie mit dem detailreichen Blick auf die Vorbereitungen für die Fußball-WM 2022, die vieles überhaupt erst verständlich werden lässt – das ist die große Stärke des gut geschriebenen, sehr zu empfehlenden Buchs, das Jäger vorgelegt hat.
Glenn Jäger, In den Sand gesetzt, Köln 2018, PapyRossa Verlag, 311 Seiten, ISBN 978-3-89438-662-7, Preis: EUR 16,90