Hintergründe zum Al-Sisi-Besuch in Berlin

Ausgabe 241

(GFP.com). Proteste begleiteten den aktuellen Besuch des ägyptischen Staatspräsidenten Abd al Fattah al Sisi in Berlin. Ursache war zum einen, dass Al Sisi ungeachtet brutaler Maßnahmen der ägyptischen Behörden gegen die Opposition und trotz des wiederholten Aufschubs der Parlamentswahl von Bundespräsident Joachim Gauck und Bundeskanzlerin Angela Merkel empfangen wurde. Darüber hinaus richteten sich die Proteste gegen die direkte Kooperation deutscher Stellen mit den ägyptischen Repressionsapparaten.

Das Berliner Bemühen um eine neue Zusammenarbeit mit Kairo war der jüngste Schritt in einer Reihe gescheiterter Versuche, stärkeren Einfluss auf Ägypten, einem Schlüsselland der arabischen Welt, zu nehmen. Die Kooperation der Bundesrepublik mit dem Mubarak-Regime endete mit dessen Sturz; ihre Zusammenarbeit mit der ägyptischen Muslimbruderschaft endete 2013 mit der gewaltsamen Absetzung des Präsidenten Muhammad Mursi durch das ägyptische Militär. In beiden Fällen hat die deutsch-ägyptische Kooperation repressive Elemente gestärkt. Berlin knüpft nun erneut daran an.

Mit ihrer Unterstützung für die ägyptischen Repressionsapparate schließt die Bundesrepublik direkt an ihre frühere Kooperation mit dem Regime von Husni Mubarak an. Zu dessen Amtszeit (1981 bis 2011) arbeitete die Bundesrepublik nicht nur politisch und ökonomisch eng mit Kairo zusammen, sondern auch in den Bereichen Militär, Polizei und Geheimdienst. Die Streitkräfte beider Länder unterhielten ein Kooperationsprogramm; die Bundeswehr bildete ägyptische Offiziere aus. Der Bundesnachrichtendienst zählte den Geheimdienst General Intelligence Service, der sich offiziell mit Terrorismusbekämpfung befasste, zu seinen Partnerdiensten. Bundespolizei und Bundeskriminalamt unterhielten ihrerseits Verbindungsbeamte bei der ägyptischen Polizei, die mit Maschinenpistolen vom Typ MP5 des deutschen Herstellers Heckler und Koch ausgerüstet waren.

Noch im Oktober 2010 führte das BKA einen Lehrgang zum Thema „Open Source Internetauswertung“ für den ägyptischen Staatssicherheitsdienst durch, der zu dieser Zeit nicht nur Oppositionelle im Internet überwachte, sondern auch Angebote für nötige Software von einer deutschen Firma bekam. Die Wut über die Repression des Kairoer Regimes und seiner deutschen Helfershelfer entlud sich letztlich in den Massenprotesten zu Jahresbeginn 2011, die am 11. Februar 2011 zu Mubaraks Sturz führten.

Das Experiment der Berliner Polit-Technologen, sich mit Hilfe der Muslimbruderschaft dauerhaft Einfluss in Ägypten zu sichern, ist mit Mursis Sturz durch das Militär im Juli 2013 ebenso gescheitert wie zuvor das Bestreben, in Kooperation mit dem Mubarak-Regime eine starke Stellung in Kairo zu halten. Gravierende Folgen hat es jedoch für Ägypten mit sich gebracht. Einerseits hat es „islamistische Kräfte“ gestärkt, von denen einige Teile nach Mursis Sturz zu offenem Terrorismus übergegangen sind, der das Land nun an den Rand des Abgrunds treibt.

Andererseits nimmt das neue Regime von Abd al Fattah al Sisi den neuen „islamistischen Terrorismus“ zum Anlass für blutige Repressionsexzesse, die sich gegen jegliche Opposition richten und die Gewalt des Mubarak-Regimes noch in den Schatten stellen. Von mehr als 40.000 politischen Gefangenen wird berichtet; über 80 Inhaftierte sollen seit Mursis Sturz durch Folter umgebracht worden sein. Zudem wurden zahllose Todesurteile verhängt.

Dabei konstatieren Experten, „dass Al Sisi auf weitaus höhere Resonanz im Volk stößt als seinerzeit Mubarak“. Dies sei auf die Angst vor dem Terrorismus sowie vor allem „auf den Verfall von Staatlichkeit in anderen arabischen Ländern wie Libyen, Syrien oder Irak zurückzuführen“, heißt es in einer aktuellen Analyse des German Institute of Global and Area Studies (GIGA): „Viele Ägypter befürchten, dass ihr Land dasselbe Schicksal ereilen werde.“ Der Absturz Libyens, Syriens und des Irak in mörderische Bürgerkriege, der in der ägyptischen Bevölkerung Schrecken auslöst und viele zur Tolerierung der Gewaltexzesse des Regimes treibt, von denen sie sich Stabilität erhoffen, ist – ungeachtet jeweiliger innerer Ursachen – im Wesentlichen das Produkt westlicher Einmischung und westlicher Überfälle gewesen.

Nach einer kurzen Phase scheinbarer Distanz, die auf den Putsch im Sommer 2013 und auf die schlimmsten Massaker des Regimes mit mutmaßlich mehr als 1.400 Todesopfern in der zweiten Jahreshälfte 2013 folgte, startete Berlin nun in die nächste Phase der Kooperation mit Ägypten. Mitte März hat Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel den ägyptischen Staatspräsidenten nach Berlin eingeladen; Anfang Mai hat Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier ihn in Kairo besucht.

Gleichzeitig verhandelt die Bundesregierung mit ägyptischen Stellen über ein Polizeiabkommen – und hat eine konkrete Polizeikooperation bereits in die Wege geleitet. So sollten ägyptische Sprengstoffexperten zu einem BKA-Sprengstoff-Symposium eingeladen werden; zudem waren eine „Besprechung“ und ein „Expertenaustausch“ mit Polizisten und Geheimdienstlern zum Thema „Terrorismusbekämpfung“ geplant.

Wie die Bundesregierung mitteilte, definiert Artikel 1 des ägyptischen Terrorismus-Gesetzes eine „terroristische Vereinigung“ folgendermaßen: „Jede Entität, die in irgendeiner Weise die öffentliche Sicherheit oder Ordnung stört oder die Interessen der Bevölkerung bedroht.“ Darunter lässt sich so gut wie alles fassen, was der ägyptischen Regierung – aus welchem Grund auch immer – nicht behagt.

Neben dem allgemeinen Bemühen, wieder stärkeren Einfluss auf Kairo zu erlangen, lässt sich Berlin bei der Annäherung vor allem von zwei Motiven leiten. Zum einen richtet sich die ägyptische „Terrorismusbekämpfung“ auch gegen den ägyptischen Zweig des „Islamischen Staats“ (IS) – die auf dem Sinai aktive Terrorgruppe Ansar Bait al Maqdis, die sich seit November 2014 „Staat Sinai“ nennt und westliche Interessen bedroht.

Zum anderen beinhaltet die Kooperation auch Maßnahmen gegen Flüchtlinge. Wie die Bundesregierung mitteilt, führt die Bundespolizei für ihre ägyptischen Kollegen drei Schulungen „zur Urkunden- und Dokumentensicherheit“ sowie eine Schulung „zum Thema Grenzkontrolle und Rückführungen“ durch.

Hintergrund ist, dass zahlreiche Flüchtlinge vor allem aus Syrien über Ägypten nach Libyen gelangen, von wo sie über das Mittelmeer nach Europa aufbrechen. Die Unterbindung unerwünschter Einwanderung in die EU zählt damit ebenfalls zu den Zielen der neuen deutsch-ägyptischen Repressionskooperation.

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