Hintergründe zur Neuen Kriegführung: Selbstmordattentäter und Drohnenlenker fordern das Recht heraus

Ausgabe 241

(iz). Spätestens seit dem Aufflammen des Terrorismus in aller Welt und dem globalen Krieg gegen den Terror wird auch die Krise des internationalen Rechts augenfällig. Hierbei geht es nicht nur um die Rechtspraxis, sondern auch um die rechtsphilosophische Begründbarkeit neuer Phänomene staatlicher Gewaltausübung. Typischerweise liegen dabei die Probleme der modernen Rechtsphilosphie meist im Kontext der technischen Revolution und den zahlreichen Innovationen im Sicherheitsbereich und in der Militärtechnik verborgen. Wenn der Krieg – wie Heraklit meinte – der „Vater aller Dinge” sei, dann sind die philosophischen Konsequenzen dieses Neulandes kaum abzusehen.

Eine Zeit lang wirkten Drohnen wie ein technischer Spleen ohne großen Praxisbezug. Das war einmal. Heute werden diese Flugmaschinen zunehmend zu einem Symbol einer neuen Zeit. Drohnen liefern Pakete, kundschaften den Nachbarn aus oder sind fliegende Reporter, die von amerikanischen Fernsehanstalten an die Orte mit „Breaking News“-Potenzial gesendet werden. Natürlich wird schon die zivile Nutzung von Drohnen einige gesellschaftliche Debatten auslösen müssen. Aber, hier liegt der Kern, Drohnen fordern vorrangig als Kriegswerkzeug unsere ethischen Grundlagen heraus.

In Deutschland hören wir schon länger von Drohnenangriffen in Afghanistan, Pakistan oder im Jemen. Weniger bewusst sind wir uns über den Umstand, dass wir hier eine wichtige Infrastruktur für ihre Attacken und deren Folgen ­bereitstellen. Mitten in Deutschland liegt die US-Basis Rammstein, die mit einer Satelliten-Relaisstation die Angriffe ­koordinieren soll. Das US-Gelände ist dabei, wie es wohl Carl Schmitt bezeichnen würde, ein „Ort ohne Ordnung“. Hier gelten die deutschen Gesetze nur eingeschränkt.

Im Mai beschäftigte sich das Verwaltungsgericht Köln mit dem Verhältnis Deutschlands zu dieser Einrichtung.

Die Richter wurden mit einer Klage einiger Jemeniten konfrontiert, die den Tod dreier, wie sie behaupten, völlig unschuldiger Angehöriger durch einen US-Drohnenangriff beklagten und sich auch selbst alltäglich bedroht sehen. Signifikant war das Urteil deswegen, weil die Richter die strategische Rolle der US-Basis im weltweiten Drohnenkampf – im Gegensatz zur Bundesregierung – erst gar nicht bezweifelten oder abstritten. Die Richter sahen die Kläger auch durchaus als Schutzpflichtberechtigte des Art 2 II 1 GG an.

Dem eigentlichen Anliegen der Kläger, die Bundesregierung zum Einschreiten zu bewegen, kamen die Juristen nur nicht nach. Es sei strittig, inwieweit derartige Angriffe wirklich völkerrechtswidrig ­seien. Überhaupt könne man der Exekutive nicht vorschreiben, wie sie ihre grundrechtlichen Schutzpflichten konkret ausgestalte. Natürlich konnte sich das ­Gericht wohl praktisch nicht vorstellen, die Regierung letztlich zur Aufkündigung der alten Stationierungsverträge zu verpflichten.

Schon das Verfahren auf unterster Instanz deutete an, welche grundsätzlichen Fragen zwischen Recht und Politik beziehungsweise Technik und Moral das Phänomen der Drohnen anrührt. Eine öffentliche Debatte über die moralische Frage, die diese Technik auslöst, kommt allerdings nur langsam in Gang. In den USA zeigte neulich eine Umfrage des Pew Research-Center, dass eine Mehrheit die weltweiten Drohnenangriffe ihrer Regierung unterstützt. Immerhin macht sich die Hälfte der Befragten ernste Sorgen um die zivilen Opfer.

Bei den Feldzügen mit Fernbedienung gibt es tatsächlich nur wenig Transparenz über die Zahl der Angriffe sowie das Ausmaß der zivilen Opfer. In den vier Jahren von 2009 bis 2012 hat zum Beispiel die US-Luftwaffe 1.336 Attacken (bei etwa sechs Toten pro Angriff) in Afghanistan geflogen. Hinzu kommen, von Journalisten nur inoffiziell erfasst, über 500 Drohnen-Bombardements in Pakistan, Jemen und Somalia. Das bedeutet, dass allein in Afghanistan wohl 10.000 Menschen per Knopfdruck den Tod fanden. Fakt ist übrigens auch, dass immer mehr Länder in aller Welt sich bewaffnete Drohnen anschaffen wollen.

Schon länger streitet ein Fachpublikum aus Juristen, Technikern und Aktivisten diverser Nichtregierungsorganisationen (NGO) um die Einordnung der Frage, was es künftig bedeutet, wenn „Maschinen Menschen töten“. Unstrittig ist dabei, dass die alten Vorstellungen räumlich eingegrenzter militärischer Gefechte und die daraus nötig werdende Hegung des Krieges sich langsam auflösen. Die Maxime des klassischen Krieges, die vergangene Soldatengenerationen ausmachte und die sich in dem ethischen Grundsatz „Man darf nicht töten, wenn man nicht bereit ist, zu sterben“ zeigt, löst sich auf.

Tatsächlich entsprechen die Techniker, die in ihren Büros sitzen und per Joystick die Attacken ausführen, gar nicht mehr dem Bild des todesmutigen Soldaten. Der französische Philosoph Gregoire Chamayou hat zu diesem Thema ein brillantes Buch verfasst: „Ferngesteuerte Gewalt: Eine Theorie der Drohne“. Chamayou ist überzeugt, dass die Akzeptanz der Drohnentechnik die ethischen und rechtlichen Grundlagen unserer Gesellschaften dramatisch verändern wird. „Die Drohnenlenker“, so Chamayou, „sind vom Widerspruch einer Gesellschaft durchdrungen, die sich nach außen hin im Krieg befindet, aber im Innern lebt, als wäre Frieden“.

Detailliert zeigt der Philosoph die Abgründe auf, die sich für uns aus der Menschenjagd mit der Maschine ergeben. Dabei sind zunächst die zivilen, unschuldigen Opfer zu beklagen. Diese ergeben sich nicht nur aus dem berühmten Fehler im System, zum Beispiel der falschen Identifizierung des Feindes, sondern sind in einer offen bekannten Maxime der militanten Assoziationstechnik überhaupt verborgen. „Sobald wir entschieden haben, dass eine Person ein Übeltäter ist“, berichtet ein Stratege des Drohnenkampfes, „werden auch die Menschen, die mit ihr Umgang haben, zu solchen“.“Für alle Menschen, manchmal auch Kinder und Frauen, gelten so die Regeln eines sehr ‘kurzen Prozesses’”.

Eine weitere, grundsätzliche Neuorientierung der Kriegsführung wird in dem Buch Chamayous außerdem klar. Schon heute verändert der Einsatz von Drohnen die Idee räumlich einzugrenzender Konflikte. Nach Ansicht einflussreicher US-Juristen werden die Grenzen der künftigen Schlachtfelder bald nicht mehr von geopolitischen Linien bestimmt, sondern vielmehr davon, wo sich die Parteien eines bewaffneten Konfliktes befinden. Das heißt, international operierende Terroristen oder diejenigen „Widerstandskämpfer“, die dazu erklärt werden, könnten zumindest theoretisch eines Tages auf der ganzen Welt gejagt und ausgeschaltet werden. Was dies für das Klima unserer Zivilgesellschaften bedeuten würde, kann man sich noch kaum vorstellen.

Was aber bedeutet es für die Natur unserer Regierungen, wenn sie derartige Techniken anwenden? Chamayou sieht die Tendenz hin zu einem Regime militärischer Gewalt mit humanitärem Anspruch („Mord und Care“), die er als humilitäre Macht bezeichnet. Wenn wir die Lizenz zum weltweiten Töten ohne Prozess akzeptieren, müssen sich unsere Gesellschaften selbst militarisieren. Nur im andauernden Kriegsmodus kann der Wegfall fairer Verfahren überhaupt begründet werden. Das Argument der Effizienz dieser Waffen, die Regierungen gerne bemühen und die den Drohnenkrieg als kleineres Übel im Gegensatz zu großen Kriegseinsätzen sehen wollen, kontert der Franzose mit einem Zitat Hannah Arendts: „Politisch betrachtet bestand die Schwäche des hier zur Diskussion stehenden Argumentes schon immer darin, dass diejenigen, die das kleinere Übel wählen, rasch vergessen, dass sie sich für ein Übel entscheiden.”

Viele kritische Beobachter der neuen technologischen Großprojekte, die unter dem Sammelbegriff Big Data firmieren, ordnen die Praxis der Drohnenkriege letztlich in die Welt technisch-säkularer Allmachtsphantasien ein. Dabei ist klar, dass nur auf der Grundlage ungeheurer Datenmengen, die zum Beispiel fliegende Kameras und permanente Kommunikationsüberwachung liefern, die moderne Kriegsführung per Drohnen überhaupt denkbar ist.

Die Datenverarbeitung ist damit zu einem der wichtigsten Herrschaftsinstrumente geworden. Der UN-Sonderberichterstatter Christof Heyns spricht in dem konkreten Zusammenhang der High-Tech-Vebrecherjagden plakativ wie zutreffend von „death by algorithm“, vom „Tod durch den Algorithmus“.

Auf der Grundlage der zügellosen Datenerfassung sollen künftig nicht nur Terroristen identifiziert werden, sondern auch ihre potentiellen „Komplizen“ frühzeitig erkannt und sogar ihre möglichen Taten vorausschaubar werden. Die Idee der absoluten Sicherheit vor Terroristen, die durch die Effizienz von Luftschlägen im Modus des kurzen Prozesses erreicht werden soll, ist also längst keine Sciencefiction-Träumerei mehr. Der Einsatz der Drohnen verändert dabei nicht nur die Idee des Krieges, sondern auch die Formensprache des Rechtsstaats.

In der islamischen Welt hat sich der Terrorismus nur auf Grundlage der Krise des islamischen Rechts überhaupt durchsetzen können. Der nihilistische Selbstmordattentäter, der seinen Körper als ultimative Waffe einsetzt, begegnet heute seinem Gegenspieler, dem Drohnenlenker, der nichts persönlich einsetzen oder riskieren will und dennoch mit aller Härte tötet. Seine unwidersprochene Existenz deutet auf ernste Krisen des säkularen Rechts hin.