Hintergrund: ECRI hat die Bundesregierung bereits mehrfach aufgefordert, das europäische Diskriminierungsverbot zu unterzeichnen

Berlin (GFP.com). Eine Kommission des Europarats wirft der Bundesregierung mangelnde Bemühungen im Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung von Minderheiten vor. Wie es in einem Bericht der European Commission against Racism and Intolerance (ECRI) heißt, der am gestrigen Dienstag veröffentlicht worden ist, ist das Niveau von Gewalt aus rassistischer Motivation in Deutschland weiterhin “hoch”.

Auch im Alltag seien zahlreiche Diskriminierungen zu verzeichnen. Die Wahrscheinlichkeit, eine Arbeitsstelle zu erhalten, sinke um rund ein Viertel, wenn man sich in einem kleineren oder mittleren Unternehmen unter einem türkischen Namen bewerbe. Dabei sei zu konstatieren, dass die Bundesregierung sich diversen Gegenmaßnahmen verweigere; so habe sie etwa das Diskriminierungsverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention bis zum heutigen Tag nicht unterzeichnet.

Die Vorwürfe wiegen umso schwerer, als Berlin in wachsendem Maße die Diskriminierung von Minderheiten in anderen Staaten instrumentalisiert, um außenpolitisch Druck auf diese auszuüben. Die von der ECRI neu belegten doppelten Standards entlarven einmal mehr den instrumentellen Charakter der deutschen Menschenrechtspolitik.

Menschenrechts-PR
Der Bericht der European Commission against Racism and Intolerance (ECRI), der am gestrigen Dienstag veröffentlicht worden ist, bilanziert rassistische Diskriminierung und Gewalt sowie Diskriminierung und Gewalt gegen Menschen mit nicht-heterosexueller Orientierung in Deutschland. Er wird zu einer Zeit veröffentlicht, da Berlin seine immer aggressivere Weltpolitik propagandistisch mit der Behauptung zu legitimieren sucht, man kämpfe für Menschen- und Minderheitenrechte in aller Welt. Der aktuelle ECRI-Bericht zeigt nun, dass Diskriminierung in Deutschland selbst weit verbreitet und gesellschaftlich tief verankert ist.

Rechte Gewalt
Wie es in dem Bericht heißt, ist in der BRD seit der Übernahme der DDR “die Zahl der Morde und das Niveau der Gewalt aus rassistischer Motivation” durchweg “hoch”. Offiziellen Angaben zufolge seien 2012 in Deutschland 524 so genannte “hate crimes” verübt worden – 12,2 Prozent mehr als im Jahr 2010. NGOs kämen sogar auf deutlich höhere Zahlen, heißt es weiter. Demnach wurden 2011 allein in den östlichen Bundesländern und Berlin 706 Fälle rechter Gewalt verzeichnet.

Glaubt man den deutschen Behörden, wurden von 1990 bis 2011 genau 63 Menschen von Tätern mit rechtem Hintergrund ermordet. NGOs geben die Anzahl rechter Morde zwischen 1990 und 2011 mit 182 an – fast dreimal soviel. Die Bundesregierung, die noch im September 2011 bekräftigt hatte, ihre Angaben seien “nicht in Zweifel zu ziehen” , hat nach Bekanntwerden der NSU-Morde einer Neuberechnung zustimmen müssen.

Inzwischen werden von der Polizei nach einer Vorauswahl aus der Statistik 745 Tötungsdelikte und Tötungsversuche mit 849 Opfern (1990 bis 2011) überprüft, bei denen es laut einem Zeitungsbericht “Anhaltspunkte für ein möglicherweise rechtsextremistisches Tatmotiv” gibt. Ergebnisse werden im Sommer erwartet.

Rassistischer Bestseller
Der ECRI-Bericht weist darüber hinaus darauf hin, dass Rassismus in Deutschland allgemein weit verbreitet ist. Demnach stimmt, wie eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung nachgewiesen hat, ein Viertel der Bevölkerung (25,1 Prozent) “fremdenfeindlichen” Aussagen zu. Eine Bielefelder Studie kommt zu dem Ergebnis, dass beinahe ein Sechstel der Bevölkerung (16 Prozent) die Meinung vertritt, Weiße beherrschten “zu Recht” die Welt.

Ausdrücklich bedauert die European Commission against Racism and Intolerance die anti-islamischen Äußerungen des früheren Bundesbank-Vorstands Thilo Sarrazin (SPD), unter anderem diejenigen aus seinem Buch “Deutschland schafft sich ab”. Darin fänden sich “rassistische Bemerkungen”, die nachweislich “den eugenischen Theorien der Nationalsozialisten nahestünden”, urteilt die Kommission.

Angesichts der Nähe einiger Äußerungen zu Aussagen des französischen Rechtsextremisten Jean-Marie Le Pen, die in Frankreich zu einer Verurteilung führten, erstaune es, dass Sarrazin nicht einmal aus der SPD ausgeschlossen worden sei. Tatsächlich sind die rassistischen Thesen seines Buches in bedeutenden Medien weiterverbreitet worden; das Buch selbst, inzwischen eines der meistverkauften Sachbücher des Jahrzehnts, ist in einem Verlag aus dem einflussreichen Bertelsmann-Imperium erschienen. Es handelt sich um die renommierte DVA.

Alltagsdiskriminierung
Gravierend ist dem Bericht zufolge auch die rassistische Alltagsdiskriminierung in der Bundesrepublik. Exemplarisch führen die Autoren aus, dass bereits die räumliche Segregation von Menschen, die aus Ländern außerhalb der EU eingewandert sind, die Chancen ihrer Kinder, die deutsche Sprache zu erlernen, und damit jegliche Bildungschancen stark vermindert.

Weiter wird vermerkt, dass die Wahrscheinlichkeit für ein Kind aus reicheren Schichten, eine Empfehlung für das Gymnasium zu bekommen, dreimal so hoch ist wie für Kinder aus ärmeren Schichten; dies wirke sich, heißt es, besonders auf Kinder mit Migrationshintergrund negativ aus. Auch die Arbeitslosenquote, die in den letzten Jahren gesunken sei, zeige deutliche Anzeichen von Diskriminierung. Sei sie bei Ausländern im Jahr 2005 etwa 2,15 mal so hoch gewesen wie die durchschnittliche Rate, so habe sie 2011 schon das 2,35-fache betragen.

“Eine Studie zeigt, dass eine Bewerbung unter einem türkischen Namen die Chancen, angestellt zu werden, um 14 Prozent senkt”, stellt der ECRI-Bericht fest; bei kleineren und mittleren Unternehmen liege dieser Wert sogar bei 24 Prozent. “Sinti und Roma und Menschen mit afrikanischer Herkunft sind von solcher Diskriminierung ebenfalls ernsthaft betroffen”, heißt es weiter. Sinti und Roma seien auch darüber hinaus “beträchtlicher Diskriminierung” ausgesetzt.

Kein Diskriminierungsverbot
Bei alledem weist die Kommission darauf hin, dass nicht nur gesellschaftliche Entwicklungen, sondern auch fehlende staatliche Maßnahmen Diskriminierung und Gewalt begünstigen. So hat die ECRI die Bundesregierung bereits mehrfach aufgefordert, das Diskriminierungsverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention zu unterzeichnen – vergeblich: Berlin verweigert sich der Forderung konsequent. Stattdessen nutzt die Bundesregierung ähnliche Vorwürfe, um massiven Druck auf fremde Staaten auszuüben, freilich nur dann, wenn sie – wie etwa Russland – deutschen Politikvorstellungen nicht entsprechen.