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Ibn Salul und die Karikaturisten

Screenshot: YouTube

„Er muss raus aus unseren muslimischen Häusern und Moscheen in die Öffentlichkeit, er muss da sein, wo die Menschen sind, in Bibliotheken, Schulen, Universitäten, Parlamenten, Medien, Museen, Theatern…“

(iz). So wie jedes Ding seine Grenzen hat, hat auch die Freiheit ihre Grenzen – nämlich dort, wo das Recht und die Würde der anderen verletzt wird. Unsere Werte müssen sich auf eine Philosophie stützen, die selbst die Gefühle eines Einzelnen achtet, und umso mehr die einer ganzen Religionsgemeinschaft. Daher lassen sich die Muhammad-Karikaturen und ähnliche Beleidigungen nicht mit Bezug auf die Meinungsfreiheit rechtfertigen.

So denke ich, so denken vielleicht auch viele, aber nicht alle. Und alle müssen nicht gleich denken. Es gibt Künstler, die gar nicht unbedingt die Absicht haben, durch ihre, für uns abscheulichen Kunstwerke, andere zu beleidigen. Und es gibt solche, die das Ziel verfolgen, einen Keil zwischen friedlich zusammenlebende Gesellschaften zu treiben und den Glauben von mehr als einer Milliarde Menschen zu verspotten.

Die Beleidigungen können bei den Muslimen ihre Liebe zum Propheten Muhammed nie infrage stellen. Tatsache ist, dass sie dazu geführt haben, dass einige Muslime, die bisher die eigene Religion nicht bewusst gelebt haben, aber auch viele Nichtmuslime, mehr Interesse und Zuneigung zum Islam entwickelt haben. Andererseits mobilisieren solche Darstellungen die Extremisten auf beiden Seiten. Einfache Bürger wie Politiker, die für ihre ideologischen und politischen Zwecke die Situation aufheizen, schädigen das friedliche Zusammenleben und nähren den Hass zwischen den Gesellschaften.

Niemand muss einverstanden sein, wenn Meinungsfreiheit ausgerechnet dadurch geschützt und gestärkt werden soll, dass verächtlich gemacht wird, was anderen Menschen viel bedeutet. Das ist das eine. Das andere ist, dass wir Muslime Demokratie und Meinungsfreiheit damit schützen und stärken müssen, indem wir für die Achtung vor der Würde und den Rechten der anderen eintreten. Was die Muslime unerträglich finden, ist, wenn jemand Opfer der Meinungsfreiheit wird. Aggressive Antworten auf Beleidigungen ist aber offenkundig Schwachsinn. Nun fragen die Muslime, wie wir denn auf die „Muhammed-Karikaturen“ und ähnliche Diffamierungen reagieren sollen. Die Antwort ist bei Gott und beim Propheten Muhammed selbst zu finden. Ich versuche, durch diesen Artikel eine Antwort zu entwickeln.

Ibn Salul als Prototyp der Karikaturisten
Die islamischen Geschichtsbücher und die Sunna bzw. Hadith-Sammlungen überliefern, dass ein Mann namens Abdullah ibn Salul ein gnadenloser Gegner des Propheten war und sich als Anführer einer Gruppe hervorgetan hat, die den Propheten immer wieder attackiert und beleidigt hat. Dieser Ibn Salul ist ein Prototyp für alle Menschen zu allen Zeiten, die bewusst oder unbewusst, unter dem Deckmantel der Kunst oder Meinungsfreiheit, den Propheten Muhammed „beleidigen“ oder „erniedrigen“.

Aber kann der Prophet Gottes überhaupt beleidigt und erniedrigt werden? Nein! Der Prophet Muhammed, als „das beste Modell“ (Koran 33:21), wird über Zeiten und Grenzen hinaus bei Millionen von Menschen das höchste Ansehen genießen, was diejenigen die ihn verspotten ihm aus Unverständnis missgönnen. Der Prophet Muhammed wird wie kein anderer Mensch weltweit zu jeder Minute rund um die Uhr und rund um den Globus im muslimischen Gebetsruf gelobt. So ein Mensch kann niemals erniedrigt werden. An ihn kann kein spöttisches Niveau herankommen.

In der Auseinandersetzung mit Ibn Salul hat sich der Prophet niemals „beleidigt“ gefühlt, war seine Reaktion gegen ihn immer gelassen und besonnen. Al-Buhakri, der als authentischer Hadith-Sammler und Biograph des Propheten bekannt ist, überliefert, dass der Prophet Muhammed einmal ein Gespräch mit Ibn Salul führen wollte, um Frieden mit ihm zu schließen. Er machte sich auf den Weg mit seinem Esel in Richtung des Wohnortes von Ibn Salul. Als Ibn Salul den Propheten sah, beleidigte er ihn mit den Worten: „Weg von mir, dein Gestank und der Gestank deines Esels stören mich“! Als ein Freund des Propheten Muhammed das hörte, stand er auf und wollte, um den Propheten zu verteidigen, Ibn Salul attackieren. Sofort beruhigte der Prophet seinen Freund, bat ihn, nicht aggressiv zu handeln und verhinderte so eine gewalttätige Auseinandersetzung. Dies ereignete sich nicht etwa in Mekka, wo die Muslime schwach waren, sondern in Medina, als der Prophet und die muslimische Gemeinde stark waren.

Der Koran erzählt, dass Ibn Salul in seinem Hass gegenüber dem Propheten so weit ging, dass er ihm und seiner Gemeinschaft mit der „Vertreibung aus Medina“ drohte (Koran, 63:8), woraufhin sein Freund ‘Umar bin Khattab den Propheten um Erlaubnis bat, Ibn Salul zu töten. Der Historiker und Korankommentar Ibn Tabari belegt in seiner Exegese zum obengenannten Vers, dass der Prophet Muhammed diesen Wunsch von Ibn Khattab strikt zurückwies und sagte: „Ich will nicht als Muhammed in Erinnerung bleiben, der erlaubt hat, seinen Wegbegleiter zu töten“. Wohlgemerkt, der Prophet bezeichnete „Ibn Salul“ als „Wegbegleiter/Freund“!

Der Hadith-Gelehrte Al-Bazzar überliefert, dass der Sohn von Ibn Salul den Islam annahm und den Propheten fragte, wie er mit seinem Muhammed feindlich gesinnten Vater umgehen solle. Der Prophet antwortete: „Respektiere deinen Vater und gehe mit ihm bestens um“. Bemerkenswert ist eine Anekdote, die von Ibn ‘Abbas (dem Cousin des Propheten und zugleich ältestem Koran-Exegeten) überliefert wird: Als Ibn Salul krank geworden war, besuchte ihn der Prophet. Und als er starb, bedeckte ihn der Prophet mit seinem Hemd und nahm an seiner Beerdigung teil.

Wir können an diesen Beispielen erkennen, wie der Prophet trotz der harten und jahrelangen Anfeindungen Ibn Saluls auf Diffamierungen gelassen und souverän reagiert hat. Zu keiner Zeit unternahm er etwas gegen ihn.

Die Ehefrau des Propheten Aischa berichtet, dass einige ihm feindlich gesinnte Menschen ihn mit den Worten „Tod (arab. saam) sei mit dir“ begrüßt haben, worauf der Prophet mit „Friede (arab. salam) sei mit dir“ konterte. Wütend auf deren Gruß, sagte seine Frau zu ihnen: „Fluch auf euch“. Der Prophet wies sie zurecht: „Aischa, rede nicht so! Gott liebt die Sanftmütigkeit in allen Dingen. Reagiere nicht gewalttätig und mit Beschimpfungen.“ (Überliefert von Bukhari)

Der Umgang des Propheten mit Ibn Salul und ähnlichen Menschen war immer entsprechend seines Prinzips: „Ich wurde nicht herabgeschickt als ein Fluchsondern als eine Gnade.“ (Überliefert von Muslim).

Warum reagierte der Prophet auf Hetze und Spott so gelassen?
Der Koran ist die Richtschnur für den Propheten und somit für die Muslime. Er gibt Orientierung, wie sich der Mensch in Situationen verhalten soll, wenn auf Kosten von Gott, des Korans oder seines Propheten gespottet wird. Der Koran thematisiert solche Fälle an mehreren Stellen. An keiner Stelle erlaubt er eine aggressive Reaktion – weder im Wortlaut noch in der Tat. Hier einige Bespiele und Ratschläge aus dem Koran:

Der Koran berichtet, dass der Prophet Muhammed mehrmals als „Verrückter!“ (vgl. die Verse 15:6; 26:27; 37:36; 44:14; 51:39; 52:29; 68:2; 68:51 und 81:22) oder „lügnerischer Zauberer!“ (38:04) bezeichnet wurde. Gott erinnert ihn daran, dass auch andere Propheten vor ihm verspottet wurden: „Und fürwahr, selbst vor deiner Zeit sind Propheten verspottet worden“ (6:10 auch 43:7 und 51:52).

Natürlich ist es für einen Menschen, der versucht, Frieden und Barmherzigkeit in der Gesellschaft zu stiften (21:107), schwer, Beleidigungen zu ertragen. Gott beschreibt diese menschliche Situation, tröstet ihn und gibt ihm Orientierung: „Wir wissen gut, dass deine Brust beengt ist wegen der blasphemischen Dinge, die sie sagen: aber lobpreise du den grenzenlosen Ruhm deines Erhalters und rühme Ihn.“ (15:97-98)

Gott rät ihm, Geduld zu demonstrieren und Distanz einzunehmen: „Ertrage mit Geduld, was immer die Leute gegen dich sagen mögen, und meide sie mit schicklicher Meidung“ (73:10).

Als ein Schritt über die Geduld hinaus, ist ihm empfohlen, Böses mit Gutem abzuwehren: „Aber was immer sie sagen oder tun mögen, wehre das Übel, das sie begehen, ab mit etwas, was besser ist“ (23:96). Warum? Weil wir beauftragt sind, „Feinde“ in „Freunde“ umzuwandeln. Das kann nur gelingen, wenn wir mit Besserem entgegnen: „Die gute und die schlechte Tat sind nicht einander gleichzusetzen. Entgegne mit etwas Besserem! Und wenn zwischen dir und ihm Feindschaft ist, dann soll es sein, als wäre er ein enger Freund!“ (41:34).

Sogar wenn Menschen Gott/Allah oder den Koran verspotten, empfiehlt der Koran, zu ihnen Distanz einzunehmen: „Wenn du nun solche triffst, die sich in (blasphemischer) Rede über Unsre Botschaften ergehen, kehre ihnen den Rücken, bis sie über andere Dinge zu reden beginnen“ (6:68).

Distanz also, bis sie ein anderes, besseres Thema finden. Gott verbietet uns, Menschen zu schmähen, die ein anderes Gottesverständnis haben, als wir (6:108). Wenn aber nicht Distanz zu Menschen eingenommen wird, die Gott oder den Propheten verspotten, und stattdessen mit gleichen Methoden oder gar mit Gewalt reagiert wird, dann führt das dazu, dass sowohl diejenigen, die spotten als auch diejenigen, die sich davon provozieren lassen, auf gleicher Stufe sind. Gott warnt: „Er hat euch in dieser göttlichen Schrift geboten, dass immer, wenn ihr Leute die Wahrheit von Gottes Botschaften leugnen und über sie spotten hört, ihr ihre Gesellschaft meiden sollt, bis sie von anderen Dingen zu reden beginnen – sonst werdet ihr wahrlich wie sie werden!“ (4:140).

All diese Koranverse und die Haltungen des Propheten zeigen, dass Gott und Sein Gesandter gegen jegliche Art von Aggression und Gewalt sind, wenn andere sich über unsere religiösen Symbole lustig machen. Diejenigen, die Gewalt ausüben und solche, die Sympathie mit den Gewalttätern zeigen, aber auch solche, die dazu schweigen, sind es, die tatsächlich dem Islam mehr schaden. Sie tragen gerade nicht dazu bei, sondern sie verhindern es direkt oder indirekt, unseren barmherzigen Propheten richtig darzustellen. Solange solche Menschen vorgeben, im Namen des Islam zu handeln, solange werden wahre Musliminnen und Muslime sich darüber empören und ihren Widerspruch gegen die, die den Islam von innen heraus beschädigen, laut und deutlich öffentlich kundtun. Denn tun sie es nicht, dann beleidigen sie selbst, stillschweigend, den Propheten.

Was also tun?
Die Liebe zu Gott und Seinem Gesandten soll allein durch mehr Demut, Barmherzigkeit, Geduld und Wohltaten in unseren Herzen und in unserem Handeln ausgedrückt werden! Je mehr wir Liebe und Sanftmütigkeit demonstrieren, desto mehr handeln wir im Sinne des Propheten. Jeder von uns soll ein „lebender Muhammed“ sein, der, in seinem Tun und Handeln Spuren der Barmherzigkeit auf der Erde zurücklässt.

Nicht müde werden, die Werte der Meinungsfreiheit zu betonen, und dass wir Gewalt ohne Wenn und Aber verurteilen. Zugleich klarstellen: Ja zu Humor, Scherz und Kunst, aber die Beleidigung von heiligen Symbolen kann nicht akzeptiert werden, und zwar egal um welche Religion es sich handelt.

In der Geschichte waren Religion und Kunst immer Geschwister, allerdings haben sich beide, angestiftet von Muhammed-Karikaturen, so entfremdet, dass beide daran leiden. Was nötig ist, ist Kunst und Religion wieder zu versöhnen. Hier sind die in Europa lebenden muslimischen Künstler aufgefordert, ihre Kunst auf die Bühne zu bringen und die Schönheit der Kunst zu demonstrieren. In der Zeit des Propheten Muhammed waren es ausgerechnet nichtmuslimische Künstler bzw. Poeten, die den Propheten verspotteten. Der muslimische Poet und Wegbegleiter des Propheten Hassan Ibn Thabit spielte eine entscheidende Rolle, wenn es darum ging, die humanen Eigenschaften des Propheten Muhammed innerhalb der Kunstwelt zu präsentieren. Analog zu Hassan Ibn Thabit sollen die muslimischen Poeten, Dichter, Maler, Musiker, kurzum Künstler das gnadenvolle Gesicht des Propheten in Kunstsprache übertragen.

Die Imame und Theologen, aber auch andere Muslime, sind aufgefordert, in den jeweiligen Sprachen der Länder, in Deutschland auf Deutsch, in Frankreich auf Französisch, Texte und Bücher zu verfassen, oder Videobotschaften zu senden, in denen wir die Barmherzigkeit des Propheten Muhammed wiedergeben und präsentieren. Er wurde als „Barmherzigkeit und Gnade für alle Welten“, also für alle Völker entsendet, wie der Koran sagt (21:107). Viele Muslime haben ihn allerdings nur für sich beansprucht und ihn in das Getto ihrer eigenen Kreise eingesperrt!

Mit dem Karikaturen-Streit haben die Karikaturisten geschafft, was wir nicht geschafft haben: nämlich den Prophet Muhammed auf die Weltszene zu bringen. Jetzt sind wir herausgefordert und aufgefordert, den Propheten in bester Art und Weise auf der Weltbühne zu präsentieren. Er muss raus aus unseren muslimischen Häusern und Moscheen in die Öffentlichkeit, er muss da sein, wo die Menschen sind, in Bibliotheken, Schulen, Universitäten, Parlamenten, Medien, Museen, Theatern… Sind wir bereit, entsprechende positive und qualitative Angebote zu liefern? Wenn nicht, dann warum jammern?! Wenn ja, dann ab heute! Heute ist sein Geburtstag, Friede sei auf Ihn und auf die friedliebenden Menschen!