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Ich verbiete mir Hass

Ausgabe 297

Foto: Pradeep Thomas Thundiyil, Shutterstock

(iz). 2010 besuchte ich die Oberstufe in Braunschweig. Sarrazin veröffentlichte sein Buch – und meine Mitschüler bombardierten mich mit Fragen. Warum trinkst du keinen Alkohol? Warum heiratest du keine Deutsche? Wochen später kamen dieselben mit einer türkischen Zeitung und wollten, dass ich ihnen einen Artikel übersetze, zu dem Sarrazin abgebildet war: „Woher kommt der Hass?“ Das war die Frage, die ich übersetzen sollte. Doch das war meinen Mitschülern zu langweilig. „Endlich sagt das mal jemand!“, hören wir, wenn jemand etwas Hasserfülltes sagt. Nicht, wenn jemand Lieberfülltes von sich gibt.

Nach dem Abitur begann die Arbeit. Wolfsburg. Ein Jahr inmitten des gehobenen Bürgertums. Gäste aus aller Welt. Auch hier: Fragen, die ich aus Abiturzeiten kannte: „Warum bleibt ‘ihr’ nur unter euch?“ Wieder das Wort: „Lieblingstürke“ – Ich war immer der ­Lieblingstürke. Klingt wie ein Maskottchen. Immanuel Kants Rassenlehre und Voltaires Hass auf die Türken lebt in den Köpfen.

Seit 2012 halte ich Vorträge in Moscheen, an Unis. Mehr als einmal stelle ich den Jugendlichen die Frage: Wurde jemand von euch mal „Lieblingstürke“ genannt? – „Ja, aber ich bin auch der einzige Türke, den sie kennen.“ Was tue ich in der Zwischenzeit? Ich schreibe Gedichte: „Von Liebe wird gesprochen in den Werken, / Von Mut, Beharrlichkeit und edlem Streben; / Im Film, Gesang und Buch sind diese Stärken, / Doch welcher Mensch will ihnen Leben geben?“ Während ich Gedichte schreibe, heißt es in der Zeitung „Messer-Migranten“, „Reform des Islam“ usw. Das Einzige, das reformiert werden muss in Deutschland, sind die Menschen. Menschen, die nur in Ideologien denken können. Diese Menschen müssen reformiert werden.

NSU-Morde. Nicht bloß ein Journalist sprach von Döner-Morden. Nun, ich habe im Bachelor Germanistik und Philosophie studiert. Mit dem Master in NDL bin ich fast fertig. Daher ist mir bewusst: Jemand, der so etwas schreibt, weiß ganz genau, was er tut. Deutschlands Journalisten wissen ganz genau, was sie tun. Sie versuchen es so zu tun, dass sie dafür nicht vor Gericht gestellt werden können. In Hanau hieß es zwischenzeitlich „Shisha-Morde“: Jugendliche, die ihr Leben noch vor sich hatten, wurden in Hanau kaltblütig ermordet.

Sie wollten an diesem Abend den Alltagsstress vergessen. Wie viele von uns saßen schon in einer Shisha-Bar, redeten über Zukunftspläne, träumten – träumten davon Gedichte zu veröffentlichen und ganz Deutschland vors Gesicht zu halten, dass wir besser Deutsch sprechen, dass wir mehr mit Goethe und Schiller gemeinsam haben, als die Hetzer im journalistischen Gewand.

Journalisten säen Gedanken in die Köpfe. Idioten führen aus. Doch: wie Alkohol und Schweinefleisch verboten sind, ist auch Hass verboten. Ich schreibe weiterhin Gedichte, die alle meine Professoren an Goethe und Hölderlin erinnern. Während Deutschland weiter nur in Kategorien wie Rechts und Links denkt, dichte ich von Menschheit, sehe ich Individuen, persönliche Schicksale. Hass ist Haram. Tobias R., wisse: Wir hassen dich nicht. An alle andern Radikalen: Wir hassen auch euch nicht. Ihr wisst es nicht besser, deshalb hassen wir euch nicht. Die Liebe zu ­Allah verbietet es zu hassen.