Im Bundesstaat Uttar Pradesh mobilisiert die radikale Hindutva-Bewegung

Ausgabe 220

Die angeblich größte Demokratie der Welt kämpft seit dem Tag ihrer Gründung mit nicht enden wollender Gewalt auf kommunaler Ebene. Diese hat sozi­ale, ökonomische und wirtschaftliche Ursachen. Nicht erst seit den Massakern von Bombay 1992 nutzen faschistoide De­magogen im Namen des Hinduismus das Gewaltpotenzial politisch aus.

(Islamophobia Today). Anfang September dieses Jahres kam es im nordindischen Bundesstaat Uttar Pradesh zu einem weiteren anti-muslimischen Gewaltausbruch durch die Anhänger der hindu-faschistischen Hindutva-Bewegung. Auslöser soll ein angebliches ­Video gewesen sein, auf dem Muslime vermutet wurden, wie sie zwei Hindu töteten. Die Gewalt des Mobs war nur einer von hunderten Vorfällen, zu denen es bereits in diesem Jahr in Indien kam. In Uttar Pradesh war es der 30. seit der Wahl des amtierenden Premierministers.

Polizei und Politik haben das Video und diejenigen, die es im Internet veröffentlichten, für die Auslösung der Brutalitäten im Distrikt von Muzaffarnagar verantwortlich gemacht. Von extremen Elementen des Hindu-Nationalismus wurde kolportiert, es stelle die Tötung zweier Hindus dar. Recherchen der loka­len Polizei ergaben nicht nur schnell, dass der Mitschnitt seit 2010 im Netz verfügbar ist, es zeige vielmehr, wie zwei pakistanische Teenager in der Stadt Sialkot gelyncht würden.

Die Aktionen der aufgehetzten Menge haben zu enormem Leid geführt. Moscheen wurden geplündert und niedergebrannt sowie unzählige muslimische Häuser und Geschäfte beraubt und zerstört. Solche Massenausschreitungen heizten Befürchtungen an, die kommunale Gewalt könnte noch weiter außer Kontrolle geraten. Die Behörden riefen in Folge die höchste Sicherheitsstufe aus. In den letzten Jahrzehnten wurde Uttar Pradesh zum Ort der schlimmsten religiösen Gewalt des Landes überhaupt. Hunderte Sicherheitskräfte waren bereits auf den Straßen, als Einwohner im ­Distrikt Muzaffarnager noch in Polizeistationen Schutz suchen mussten. Die Gegend liegt rund 100 Kilometer nordöstlich von der Hauptstadt Neu Delhi entfernt.

Premierminister Manmohan Singh verurteilte die Gewalt und versprach der Staatsregierung „jede notwendige Unter­stützung, um die Lage zu meistern“. „Die Anzahl der Toten ist auf 28 gestiegen. Wir haben ebenfalls 90 Personen verhaftet“, sagte der Polizeioffizier Arun Kumar in Muzaffarnagar, wo eine Minderheit der Bevölkerung von 38 Prozent muslimisch ist. Der stellvertretende Innenminister Singh kündigte die ­sofortige Entsendung tausender Paramilitärs an, die in die am stärksten von Gewalt betroffenen Zonen gebracht werden ­sollten. Mit 200 Millionen Menschen ist Uttar Pradesh der bevölkerungsreichste Staat Indiens. „Wir fühlen uns in diesem Dorf nicht sicher, wo wir nur zehn Prozent der Bevölkerung stellen“, berichtete Mohammed Haneef, ein muslimischer Einwohner aus dem Dorf Kharad, das 45 Kilometer nördlich von Muzaffarnagar liegt, der Tageszeitung „The Indian Daily“.

Das politisch entscheidende Uttar Pradesh erlebte 1992 tödliche Unruhen, nachdem 1992 eine Moschee von einem Hindu-Mob zerstört worden war. Mehr als 2.000 Menschen – überwiegend muslimisch – wurden ermordet, nachdem die Moschee von Ayodhya aus dem 16. Jahrhundert in einem der schlimmsten Fälle kommunaler Gewalt demoliert wurde.

Die jüngste Gewalt hat Spekulationen ausgelöst, wonach politische Parteien den Staat vor den allgemeinen Wahlen im nächsten Jahr entlang religiöser Trennlinien zu polarisieren suchen. Die regierende, säkulare Samajwadi-Partei beschuldigte die hindu-nationalistische Bharatiya Janata Party (BJP) die Spannungen mit verhetzenden Reden anzuheizen.