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Im eigenen Garten liegt Freiheit

Ausgabe 278

Foto: EwigLernender, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 3.0

(iz). In der Nähe von Los Angeles machte eine Familie es sich vor einigen Jahren zur Aufgabe, auf ihrem Grundstück, welches 2.000 Quadrat­meter umfasst, ihre Nahrung soweit sie es kann, selbst anzubauen. Auf ihrem Boden werden über 3.000 Kilogramm an Bio-Lebensmitteln angebaut und ihr selbst somit 90 Prozent ihrer Nahrung bereitgestellt. Die Familie gibt weniger als zwei Dollar pro Person an einem Tag für Grundnahrungsmittel aus und verdient mehr als 20.000 Dollar im Jahr durch den Verkauf des Überschusses an Lebensmitteln. Zudem verwenden sie keine Pestizide. Ihre Methode besteht darin, Permakultur zu pflegen, was dem Boden die benötigten Nährstoffe und Bakterien erhält.
Jules Darvaes, der 2016 verstarb, hatte nicht von Anfang an geplant, seinen Garten für die Landwirtschaft zu nutzen. Eine extreme Dürrephase jedoch machte ihn erfinderisch. Das Bewässern seines Gartens kostete so viel Geld, dass er sich dachte, er könne doch gleich etwas Nützliches damit machen, statt bloß das Gras am Leben zu erhalten. So fing er an, ein wenig Gemüse anzubauen. Das Interesse an Nahrungsmittelproduktion stieg und er beschloss, sich mit der industriellen Herstellung unseres Essens zu beschäftigen. Die Erkenntnis um die Verwendung krankheitserregender Pestizide machte ihn so wütend, dass er beschloss, sein Land so weit es geht für die eigene Produktion des Essens seiner Familie zu nutzen – mit Erfolg. Er empfand es als unhaltbar, seinen Kindern Lebensmittel auf den Teller zu setzen, die sie krank machen könnten und auf fragwürdige und untransparente Weise hergestellt wurden. So entstand das kleine Projekt „Path to Freedom“ (Weg zur Freiheit) und wuchs zu einer Einkommensquelle für die Familie. Denn Darvaes erkannte, dass die Unabhängigkeit von der Lebensmittelindustrie mit persönlicher, familiärer, gesundheitlicher, finanzieller und sozialer Freiheit einhergeht. Der Dokumentarfilm über ihn und seine Familie, „Homegrown Revolution – The Urban Homestead, Dervaes“ gewann 2009 einen Preis für Kurzfilme. Die Idee stieß auf Begeisterung und Nachahmer.
Diese Erkenntnis ist, liest man sich die Beiträge dieser Ausgabe (Seite 18 und 19) rund um die Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie mit wachem Geist durch, von größerer Bedeutung als je zuvor. Von Industrie sowie Politik eine Veränderung der jetzigen Lage zu fordern, ist lobenswert und wichtig. Große Entscheidungen, die die Möglichkeiten unseres Konsums hin zu einer fairen und gesunden Alternative ermöglichen, sind gesamtgesellschaftlich von Bedeutung.
Jules Darvaes und seine Familie machen jedoch vor, dass die Veränderung auch, und gerade, auf kleinster Ebene, beim Individuum und seinen nächsten Verwandten und Freunden bereits stattfinden kann. Womöglich ist dies die ­einzige Form tatsächlicher, gelebter Veränderung, denn sie beinhaltet uns selbst als Schlüsselaspekt und Kern der Sache. Sie entledigt uns des Wartens auf politische und wirtschaftliche Verantwortung anderer und rückt den Fokus auf das tatsächlich Machbare, selbst wenn es im kleinsten Rahmen geschieht.
Allein den Balkon, wenn man keinen Garten hat, dafür zu nutzen, um Kräuter oder kleine Gemüsesorten selbst zu hegen und zu pflegen, macht einen Unterschied. Diesen erkennt der „Bauer“ im Geldbeutel und auf dem Teller. Und vor allem in der Lebensfreude, die durch den kreativen Prozess ensteht. Es ist ein befriedigendes und urnatürliches Gefühl, das zu essen, was man selbst angebaut hat. Getreide zu kaufen, wenn möglich beim regionalen Bauern, und es selbst zu ­mahlen, ja sogar Kaffeebohnen selbst zu mahlen, ist eine Beschäftigung, die eine Abwechslung zum Computer-Alltag schaffen kann und dem Verzehr der Lebensmittel eine persönlichere Note verleiht. Der Geruch frisch gemahlenen Kaffees kommt als zusätzlicher Genuss hinzu.
In Städten lebende, weitestgehend von der Natur abgetrennte und vollzeit­beschäftigte Menschen können sich Schrebergärten anmieten, und diese, wie Jules Dervaes, zum Anbau nutzen. Dies kann eine gemeinschaftliche Handlung sein, um Freunde, Kinder und Verwandte zusammenzubringen. Nicht wie sonst im Café oder vor dem Fernseher, sondern in der freien Natur und in einer gemeinsamen Handlung, die für alle einen Vorteil birgt. Die Arbeit wie auch die Ernte können geteilt werden, und der Weg zum gemeinsamen Kochen und Verzehr ­dürfte ebenso nicht weit sein.
In einer Zeit, in der wir uns von einander abgeschottet und nicht mehr wirklich in Verantwortung für einander sehen, kann ein solches Zusammen­kommen eine Heilung und Befreiung darstellen. Die gesundheitsfördernden Aspekte sind zahlreich. Die Lebensmittel sind gesund, regional, ja sogar lokal, sie werden mit dem eigenen Schweiß bezahlt und die Freude über eine ertragreiche Miniernte wird umso größer, wenn man die Arbeit dahinter versteht. Zudem befreit eine solche Transaktion von der Illusion, das Essen sei rund um die Uhr zu haben, ungeachtet der Saison oder den Umständen der Produktion. Wir könnten uns so wieder zurück in die fun­damental reale Ebene unserer Existenz bewegen. Genuss hat einen Preis, und ein gesättigter und gesunder Magen braucht Leute, die sich bereiterklären, die Lebensmittel im Einklang mit den Gesetzen der Natur, die Allah uns klargemacht hat, zu produzieren.
Eine Trennung von Mensch und Verantwortung führt geradewegs zu Ungerechtigkeit. Was wir in der Lebensmittelindustrie sehen, ist unsere eigene Abkehr davon, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, beziehungsweise, die Dinge aus unseren eigenen Händen gegeben zu haben. Allah machte uns zu den Khulafa, den Statthaltern, auf dieser Erde. Bleiben wir in der Mentalität verhaftet, bloße Konsumenten statt Verantwortliche zu sein, können wir nicht darauf hoffen, wirkliche Veränderung bewirken zu können. Wandel fängt in den eigenen Absichten an und manifestiert sich in konkreten Handlungen. Mit veränderten Individuen, die sich zusammenschließen, kann erst ein Wandel im gesamtgesellschaftlichen Kontext angestoßen werden. Denn so wie bei Familie Darvaes in Los Angeles, finden gute Aktionen immer jene, die sich dafür begeistern und dabei mitmachen oder sie nachahmen wollen.