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In Gemeinschaft leben

Ausgabe 268

Foto: Khalil Mitchell

Allah sagt in Seinem Edlen Qur’an: „Oh ihr Menschen, Wir haben euch ja von einem männlichen und einem weiblichen Wesen erschaffen, und Wir haben euch zu Völkern und Stämmen gemacht, damit ihr einander kennenlernt. Gewiss, der Geehrteste von euch bei Allah ist der Gottesfürchtigste von euch. Wahrlich, Allah ist Allwissend und Allkundig.“ (Al-Hudschurat, 13)
(iz). Heute müssen wir mehr denn je fest an der Gesellschaft des anderen festhalten. Dies ist keine Zeit für Isolation. Das Modell des Staates und des Individuums ist brüchig geworden, wie wir kürzlich nach der schrecklichen Feuersbrunst in einem Londoner Hochhaus feststellen mussten. Der Staat versagte in seinen selbst-definierten Aufgaben. Er kümmerte sich nicht um seine Bürger und schien komplett handlungsunfähig zu sein.
Nicht nur wirkten seine Vertreter komplett unfähig für Mitgefühl oder Einfühlsamkeit. Sie waren nicht in der Lage, die fundamentalsten Hilfsmaßnahmen zu koordinieren. Menschen blieben bedürftig zurück. Ihnen fehlten Nachrichten, Erleichterung, grundlegende Dinge oder sogar ein Ort zum Übernachten. Sie wurden im Stich gelassen. Der Staat scheiterte, aber die Menschen sprangen ein. Sie spendeten, öffneten ihre Türen, koordinierten und füllten das Vakuum, das der Staat hinterließ. Als die vielgerühmten Regierungsstrukturen zusammenbrachen, stand die Gemeinschaft auf.
Gemeinschaft ist der Schlüssel zum Erfolg des menschlichen Wesens. Es gibt Dinge im Laufe unseres Lebens, die wir nicht alleine bewältigen können; nicht durch uns selbst überwinden können. Es ist egal, wie viele Strukturen wir errichteten. Es spielt keine Rolle, wie viele Gesetze wir erlassen. Die ­Isolation zerstört uns. Aber das Modell der Moderne ist eines der stetig anwachsenden Isolation, bei dem der Staat als Ersatz für unseren Mitmenschen agiert. Es funktioniert nicht, wie der Brand in London zeigte. Gemeinschaft und Zusammensein sind entscheidend.
Solche Manifestationen des Gemeinschaftsgefühls wie in London sind nicht länger die Norm. Es braucht außerordentliche und schreckliche Umstände, um sie an den Tag zu bringen. Außerhalb von ihnen setzen sich Teilnahmslosigkeit und Blindheit durch. Wie lange lebte diese Gemeinschaft in Kensington, umgeben von den reichsten der Reichen, die für sie keinen Finger der Großzügigkeit rührten? So groß ist die Dunkelheit der Moderne, dass wir nicht sehen können, bis ein Feuer vor unseren Augen brennt.
Gemeinschaft ist so klar die Antwort für unsere Schwierigkeiten, aber es ist genauso klar, dass jede Generation beobachtet, wie sie sich weiter auflöst. Also ist es unsere Aufgabe als Muslime, sie wiederzubeleben. Wir kennen sie besser als die meisten anderen, denn wir kennen ihre Bedeutung. Es war kein Zufall, dass viele der ersten Nothelfer in London Muslime waren. Ein Großteil der Hilfe wurde von ihnen organisiert. Gemeinschaft bedeutet uns noch etwas. Wir haben noch ein Maß an Brüderlichkeit und Dschama’at. Sie waren immer der Eckstein unseres großen Dins.
Wir wissen, dass wir nicht geschaffen wurden, um alleine als Einsiedler zu leben. Dass wir auf diese Erde gebracht wurden als ihre Kalifen. Und das bedingt Austausch und keinen Rückzug. Das Beispiel des Propheten, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, war das Knüpfen von Bindungen und nicht ihre Trennung. Dieser Din ist einer der sozialen Interaktionen und der gemeinsamen Anbetung, nicht nur der individuellen ‘Ibadat.
Die Vervollkommnung aller Säulen des Islam, die scheinbar individuelle Anbetung bedeuten, findet sich nur in Gemeinschaft. Das Glaubensbekenntnis ist nicht besiegelt, solange es nicht bezeugt wird. Das Gebet ist bedeutungsvoller und wertvoller in Gesellschaft. Zakat wird nicht an sich selbst oder abhängig bezahlt, sondern an die Bedürftigen der Gesellschaft. Fasten am besten mit anderen gebrochen. Das Bittgebet wird eher beantwortet, wenn es einen breiten Rahmen hat und mehr Menschen miteinbezogen werden.
Der Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte: „Die Hand Allahs ist mit der Gruppe.“ Diese Dschama’at, diese Gruppe, von der wir sprechen, ist nicht nur eine wahllos zusammengewürfelte Sammlung von Leuten. Denn jede Gesellschaft kann schädlich sein, wenn sie auf der Lüge basiert und nicht auf der Wahrheit. Man muss nur die zerstörerische Wirkung eines Mobs betrachten. Menschen, die auf der persönlichen Ebene scheinbar zivilisiert und vernünftig sein können, können als Gruppe verrückt und irre handeln.
Das Geheimnis des Erfolgs in dieser Sache ist – wie bei allen anderen – Unterscheidungsvermögen (arab. Furqan). Diejenigen, mit denen wir Zeit verbringen, prägen unser Selbst. Sie werden einen auf ihr Niveau bringen – ungeachtet der eigenen Qualitäten –, bis man so wie sie wird. Das ist die unausweichliche Folge von Gesellschaft. Die Folgen sind schnell zu spüren und können innerhalb von Wochen beinahe permanent werden.
Wer vierzig Tage mit einer Gruppe verbringt, wird einer von ihnen. Der Gesandte Allahs, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte: „Männer folgen dem Din ihres engen Freundes. Also schaut genau hin, mit wem ihr euch anfreundet.“ Sind die Leute rechtschaffen oder handeln sie falsch? Verbringen sie ihr Leben mit nützlichen Dingen oder sinnloser Zeitverschwendung? Erinnern sie uns an unseren Herrn oder veranlassen sie uns zum Vergessen?
Es gibt in Wahrheit nur zwei Kategorien von Menschen: Diejenigen, die uns erheben und solche, die uns hinabziehen. Es gibt keine dritte Kategorie. Denn der Mensch ist immer im Wandel und steht niemals still. Beide ­Kategorien wurden vom Gesandten Allahs, Heil und Segen auf ihm, in einem bekannten Hadith beschrieben: „Das Gleichnis eines guten Gefährten und eines schlechten ist wie ein Parfumhändler und der Geselle eines Schmieds. Der Parfümhändler wird euch etwas davon geben, ihr kauft bei ihm oder ihr erfreut euch an seinem angenehmen Geruch. Der Schmied wird entweder eure Kleider ­verbrennen oder ihr leidet unter seinem abstoßenden Geruch.“
Der gute Gefährte ist derjenige, von dessen Gesellschaft man Nutzen zieht, selbst wenn er nichts für einen tut. Und der schlechte schädigt einen, selbst wenn er nichts gegen einen unternimmt. Die gute Gesellschaft erhebt uns und erinnert uns an Allah. Und das Maß, in dem sie das tut, ist das Kriterium, anhand dessen wir jeden beurteilen, dem wir begegnen. Es geschah nicht umsonst, dass Allah die Gläubigen als gegenseitige Freunde beschrieb. Der Prophet sagte: „Die Gläubigen sind füreinander wie die Klinker einer gut gemauerten Wand. Jeder stärkt den anderen.“
Sobald man die richtigen Menschen gefunden hat, soll man an ihrer Gesellschaft festhalten und sie niemals loslassen. Man sollte wissen, dass es zwei Arten von Gemeinschaft gibt – den breiteren sowie den inneren Kreis. Und der Mensch muss beide haben, um sicher zu sein. Wir brauchen die zweite Stufe der Dschama’at, um wirklich überleben zu können.
Dieser Kreis korrespondiert mit unserem gelebten Alltag. Es sind die Leute, mit denen wir tatsächlich regelmäßig Zeit verbringen. Solch eine Gruppe von Männern und Frauen muss in der Lage sein, sich aufeinander zu verlassen – durch dick und dünn, Überfluss und Hunger. Sie sind füreinander da – in den besten Zeiten und den schlimmsten. Solche Leute brauchen keine Katastrophen, um großzügig, liebend und menschlich zu sein. Sie sollten klar, offen und frei sein. Und es darf keinen Tratsch und keine üble Nachrede geben. In diesem Fall können wir nicht auf Erfolg hoffen. Im Nachwort seines Buches „The Entire City“ schreibt Schaikh Dr. Abdalqadir as-Sufi: „Entscheidend sind einige wenige Gefährten für Gesellschaft im Dunklen.“ Ein Kreis von „Männern und Frauen, die nicht durch Blut oder Rang verbunden sind, sondern eine geteilte Qualität des Lebens, die reine Anbetung des Herrn der Welt verlangt. Ein anhaltender Wettstreit unter seinen Mitgliedern“ in Großzügigkeit, Hilfe, Wachstum, Lernen und gegenseitiger Sorge.