Innere Sicherheit: Zwischen 2001 und 2012 kam es zu mehr als 200 aktenkundigen Angriffen. Von Massouda Khan

Ausgabe 204

Seit 20012 verzeichnen muslimische Gemeinden in Deutschland regelmäßig Übergriffe gegen ihre Einrichtungen. Bisher erfassen die Sicherheitsbehörden solche Tate nicht gesondert, was von Muslimen kritisiert wird.

(IZ/Agenturen/Migazin). Am 29. April meldete die „Berliner Morgenpost“, dass an der repräsentativen Sehitlik Moschee, einem architektonischen Juwel Berlin, zu einer erneuten Vandalisierung gekommen ist. Der Moscheevorsitzende Ender Cetin bat laut „Morgenpost“ den Senat unter Klaus Wowereit daraufhin um die Bereitstellung von Wachschutz und forderte mehr Sicherheit für die renommierte Gemeinde. Zuvor wurden zwei abgetrennte Schweinsköpfe vor dem Gotteshaus abgelegt. Dies war beileibe nicht das erste Mal, dass die ­Sehitlik Moschee, die auf dem historischen türki­schen Friedhof liegt, ins Fadenkreuz ­einer anti-muslimischer Attacken geriet. In der Vergangenheit kam es zu versuchten Brandstiftungen und zum Angriff mit Farbbeuteln. „Wir empfinden diese Atta­cke als große Beleidigung. Wir sind in gro­ßer Sorge“, sagte Cetin.

Seine Gemeinschaft ist zur Besorgnis vieler deutschen Muslime beileibe nicht die einzige Moschee, die in den mehr als zehn Jahren seit dem 11. September 2001 zum Ziel anti-muslimischer Beschmierungen, versuchter Brandstiftungen und anderer Angriffe wurde. Nach Schätzung des Koordinationsrates der Muslime in Deutschland (KRM) habe es zwischen 2001 und 2012 mehr als 200 solcher krimineller Akte gegeben.

Wie die Antwort auf eine Anfrage der linken Bundestagsfraktion ergab, gibt es im Bereich der politischen Kriminalität keine Kategorie für „Islam-“ oder „Muslimfeindlichkeit“. Beide werden bisher unter „Hasskriminalität“ subsumiert. 2011 habe es nach Angaben des Bundes­innenministeriums (BMI) mehr als 30.000 „politisch motivierten Straftaten“ gegeben. 3,3 Prozent – oder 1.010 – ­fielen dabei auf „Ausländerkriminalität“. Mehr als die Hälfte (16.873) wird „Rechtsextremisten“ zugeschrieben. Bundesinnen­minister Hans-Peter Friedrich zeigte sich besorgt, dass insbesondere die Anzahl von Verbrechen aus „fremdenfeindlichen Motiven“ zugenommen habe.

Außerdem sei diese rechtsextreme ­Kriminalität durch eine „innewohnende Bru­talität“ gekennzeichnet – mit einer deutlich höheren Quote an Verletzten im Verhältnis zur Menge der ­Straftaten. „Unter Berücksichtigung der Morde des NSU und des bisherigen Ergebnisses der noch andauernden Überprüfung von Altfällen auf etwaige rechtsextreme Hintergründe sind bislang 60 Todesopfer rechter Gewalt seit dem Jahr 1990 zu verzeichnen“, sagte Friedrich vor Pressever­tretern. Bei einer Reihe von Drohanrufen und volksverhetzenden Schmierereien will die Bundesregierung zwar ein fremdenfeindliches Motiv, aber keinen rechtsgerichteten Hintergrund erkennen.

Laut Angaben des ­Koordinationsrates seien ab 2001 alle zweieinhalb Wochen eine Moschee oder eine andere muslimi­sche Einrichtung in Deutschland angegriffen worden. In vielen Fällen stehen die Ansichten der mutmaßlichen Täter fest – durch Schmierereien, Schweinsköpfe oder anti-muslimische Symbole. Dieser Trend setzt sich unglücklicherweise bis heute fort.

So wurde am 9. Mai die Zentrum-Moschee in ­Recklinghausen mit nazistischen Symbolen verschandelt. Moscheevorsitzender Sinan Ösen reagierte laut dem online-Magazin „Migazin“ gelassen: „Das sind nur ganz wenige, nur eine kleine Minderheit von Rassisten und Nazis. Davon werden wir uns nicht beeindrucken lassen und Ruhe ­bewahren.“

Angesichts der schlechten Aussichten auf Aufklärung solcher Verbrechen vermuten die Migazin-AutorInnen, dass es eine wesentlich größere Dunkelziffer bei den Attacken gegen Muslime gibt. „Islamfeindlichkeit kann nicht einfach unter ‘Fremdenfeindlichkeit’ oder ‘Hassde­likte’ subsumiert werden, sondern muss als eigenständiger Tatbestand von rassis­tischer Gewalt gewertet werden. Das ist bislang bei der Polizei noch nicht der Fall, und so kommt es zu den Verzerrun­gen und der Irrung, das muslimfeindlichen Straftaten bislang nicht gibt“, ist die kritische Einschätzung von Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrates der Muslime in Deutschland (ZDM).

Bisher ist unklar, ob und in welchem Maße gezielte öffentliche Kampagnen gegen spezifische Moscheen in konkreten Übergriffen resultieren. Die Tageszeitung „Junge Welt“ beispielsweise sieht einen Zusammenhang zwischen der Kampagne gegen die Moschee im Berliner Stadtteil Heinersdorf, an der auch der damalige CDU-Landesvorsitzende Pflüger teilnahm, und einem Brandanschlag auf die Moscheebaustelle am 21. März 2007. Bisher ist noch nicht in Gänze erforscht, wie sehr anti-muslimische Rhetorik aus der Mitte Gesellschaft Zündstoff für den Angriff auf Moscheen in Deutschland liefert.