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Paradoxer Diskurs über Kindergärten in Österreich

Ausgabe 247

Österreich hat wieder einmal eine Islam-Debatte. Nachdem in regelmäßigen Abständen über Kopftuch und Minarett debattiert wurde und auch das neue Islamgesetz, welches Anfang des Jahres beschlossen wurde, für viel Diskussionsstoff sorgte, geht es dieses Mal um muslimische Kindergärten. In diesen – so heißt es zumindest – werden Kinder mit religiösen Dogmen indoktriniert und regelrecht für eine Parallelgesellschaft herangezogen. Der österreichische Politologe und Islamophobieforscher Farid Hafez hält dem entgegen und verweist auf einige Tatsachen, die im Laufe der polarisierenden Debatte in den Hintergrund geraten sind.
Frage: Seit einigen Wochen wird in Österreich, konkret in Wien, eine hitzige Debatte um islamische Kindergärten geführt. Unter anderem heißt es sogar, dass die Kinder dort in einer Art Parallelgesellschaft aufwachsen würden. Inwiefern haben solche Aussagen mit der Realität zu tun?
Farid Hafez: Es geht bei der Debatte eigentlich um etwas vollkommen anderes. Sebastian Kurz, der Integrationsminister, der der christdemokratischen ÖVP angehört, bedient sich islamfeindlicher Versatzstücke, um gegen die von der Sozialdemokratie regierte Stadt Wien zu politisieren. Nachvollziehbar ist das insofern, als die ÖVP in Wien auf ein historisches Tief von unter zehn Prozent gesunken ist. Gleichzeitig macht es aber insofern keinen Sinn, da die ÖVP sich auf Bundesebene in einer Koalition mit der SPÖ befindet und es konsequenterweise zu einer Revanche gekommen ist. Die muslimischen Kindergärten sind hier nichts weiter als der Kollateralschaden.
Frage: Die Kritiker beziehen sich vor allem auf die Studie „Muslimische Alltagspraxis in Österreich“ von Ednan Aslan, der an der Wiener Universität Islamische Religionspädagogik lehrt. Was hat es damit auf sich?
Farid Hafez: Ednan Aslan ist ein sehr umstrittener Religionspädagoge, akademisch wie auch innerhalb der muslimischen Community. Er wird derzeit in den Medien als Vertreter des Instituts für Islamische Studien der Universität Wien angeführt. De facto trägt diese Bezeichnung ein manipulatives Moment in sich, da das Institut für Islamische Studien nicht mehr und nicht weniger als ein Forschungsprojekt darstellt. Der Schaden für die Universität Wien ist aber sicherlich nicht gering. Mit Verlaub: Dieser Projektzwischenbericht, der nach einer sechsmonatigen Laufzeit erstellt wurde, würde in meiner Lehrveranstaltung nicht einmal als Seminararbeit gelten. Darum geht es aber nicht. Es drängt sich der Eindruck auf, dass eine „Studie“, die vom Außenministerium finanziert wurde und von diesem mit in die Öffentlichkeit getragen wurde, eher den Beigeschmack einer politischen Auftragsstudie hat. So wird die Leserschaft auch leicht erkennen, dass darin mehr wertende Aussagen zu finden sind als Wissenschaft.
Frage: Wie kann es sein, dass sich viele politische Akteure – im rechten aber auch im linken Spektrum – dann auf eine derartig fragwürdige Studie und eine Person wie Aslan verlassen?
Farid Hafez: Das Gute an diesem Diskurs ist, dass es in diesem Falle keine Debatte der Mehrheitsgesellschaft gegen die Minderheit der Musliminnen und Muslime war. Vielmehr verhält es sich so, dass die Bundes-ÖVP die Wiener SPÖ angreift. Damit kann das etablierte sozialdemokratische Lager entsprechend reagieren. Und deswegen wird die Auftragsstudie entsprechend breit kritisiert. Im Falle des rechten Lagers scheint die Antwort darauf ja klar zu sein.
Frage: Aber ist es denn nicht so, dass Aslans Studie die Vorurteile, die viele Österreicher über Muslime haben, bedient und deshalb so schnell darauf zurückgegriffen wurde?
Farid Hafez: Durchaus. Dieser gesamte Diskurs basiert auf einer kritisch nicht hinterfragten Grundannahme, die Teil eines hegemonialen rassistischen Diskurses ist: Das Bild des gewaltaffinen Muslims, der in den Privatkindergärten herangezüchtet wird. Deswegen fallen selbst so manche selbstdeklarierte Antirassisten in die Falle, wenn sie dieses Vorurteil, das nicht geprüft wurde, als gegeben annehmen. Wie Sartre schon sagte: „Das Vorurteil fälscht die Erfahrung.“ Warum also nachhaken? Ein weiterer Punkt, auf den medial und politisch ein Fokus gelegt wird, ist die Finanzierung der Kindergärten. Oft wird dabei Saudi-Arabien in den Raum geworfen.
Frage: Was haben die Saudis mit der ganzen Sache zu tun und wie ist überhaupt der Umgang des österreichischen Staates mit anderen Kindergärten und ähnlichen Institutionen, etwa christlichen oder jüdischen?
Farid Hafez: Es gibt ein Problem, das die Wiener Stadtregierung meines Erachtens nach auch schlecht kommuniziert hat: Es gibt nämlich einerseits rechtlich gesehen keine muslimisch-konfessionellen Kindergärten. Andererseits gibt es aber Vereine von Kindergartenbetreibern, die gleichzeitig religiös gefärbt zu sein scheinen. Jetzt existiert ein paradoxer Diskurs über muslimische Kindergärten, die eigentlich nicht existieren. Eine weitere Problematik. Aslans „Studie“ entspricht nicht den Kriterien intersubjektiver Nachvollziehbarkeit, weshalb in Wirklichkeit dieses politische Pamphlet auch nicht sachlich diskutiert werden kann. In der Ausklammerung anderer Konfessionen zeigt sich der Rassismus augenscheinlich. Man spricht über eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, während andere ausgeschlossen werden. Und das bestätigt den Generalverdacht. Jüdische, christliche, Waldorf-Kindergärten, aber allen voran die Mehrheit, nämlich städtische Kindergärten, sollen keiner Qualitätsprüfung unterzogen werden.
Frage: Aber lassen sich unter den erwähnten Vereinen auch ausländische Akteure wie das Königreich Saudi-Arabien finden?
Farid Hafez: Saudi-Arabien hat in Österreich beinahe keine Institution. Es ist schwierig, aber auch sekundär zu sagen, ob sich hier so leicht eine Typologie machen lässt. Das hängt aber auch von der Fragestellung ab und was uns welche Kategorien für das Betreiben von Kindergärten sagen.
Frage: Nachdem das neue Islamgesetz in Österreich in diesem Jahr beschlossen wurde, machten Sie in Ihrer Kritik am Gesetz deutlich, dass der österreichische Staat selektiert mit den verschiedenen Religionsgemeinschaften umgehe. Inwiefern bestätigt die gegenwärtige Debatte das und was sagt sie allgemein über die Rolle des Islams in Österreich aus?
Farid Hafez: Der österreichische Integrationsminister meinte in einem Interview, mit katholischen Kindergärten gäbe es kein Transparenz-Problem, da es niemanden gäbe, der „versuchen würde, da irgendetwas zu verheimlichen“. Damit wird den muslimischen Betreibern von Kindergärten unterstellt, sie würden etwas verheimlichen. Und die Streuung dieses Generalverdachts – die ja auch im Islamgesetz kritisiert wurde – ist gesellschaftlich sehr gefährlich, da sie nicht auf Zusammenhalt, sondern auf Misstrauen setzt und zur Spaltung führen kann, wenn es keine progressiven Gegenkräfte dazu gibt.
Das Interview erschien erstmals am 18.12.2015 im online-Medium telepolis. Abdruck mit Genehmigung des Autors.