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Interview: Imam Benjamin Idriz über die Zukunft der Community und seiner Pläne in München

Ausgabe 239

(iz). In den letzten Monaten häuften sich Meldungen und Stellungnahmen über Meinungsverschiedenheiten zwischen Mitgliedern des Koordinationsrates der Muslime. Dabei ging es nicht nur um Personalien oder Einzelinteressen, sondern auch um Grundfragen der zukünftigen Ausrichtung.
Wir sprachen mit Imam Benjamin Idriz über Fragen der muslimischen Selbstorganisation, zukünftige Möglichkeiten der deutschen Community sowie sein Großprojekt in München. Idriz ist seit Längerem Imam der erfolgreichen, multikulturellen Gemeinde im bayrischen Penzberg und plant derzeit den Bau eines großen Zentrums in der Landeshauptstadt München.
Islamische Zeitung: Lieber Benjamin Idriz, heute, mehrere Jahre nach Einweihung der beeindruckenden Moschee im bayrischen Penzberg, streben Sie und Ihr Team den Bau eines wesentlich größeren Zentrums in der Landeshauptstadt München an. Wo steht das Projekt derzeit und was sind die größten Hindernisse, die Sie überwinden möchten?
Benjamin Idriz: Zunächst einmal sind es nicht die Hindernisse, sondern die Unterstützung, die das Projekt erfährt, die ich für ausgesprochen bemerkenswert halte. Diese Unterstützung kommt nämlich nicht nur von Muslimen (wo sie selbstverständlich sein sollte), sondern aus der ganzen demokratischen Gesellschaft, aus verschiedenen Religionsgemeinschaften, aus Verbänden, von den Medien und aus allen Fraktionen des Münchner Stadtrats.
Nachdem eine extremistisch-islamfeindliche Minipartei über mehrere Jahre hin versucht hat, Unterschriften gegen das Projekt zu sammeln um damit einen Volksentscheid dagegen herbeizuführen, hat der Stadtrat dies als unzulässig abgelehnt, weil die islamfeindlichen Hetzer nachweislich mit falschen Behauptungen gearbeitet hatten. In derselben Sitzung hat der Stadtrat stattdessen eine Resolution „Solidarität mit den Muslimen in unserer Stadt“ beschlossen!
Das derzeit einzige Hindernis liegt in der Finanzierung. Es wäre natürlich schön, ein solches Projekt mit Spenden von Muslimen (und Nichtmuslimen) aus Deutschland zu realisieren. Für die Grundstücks- und Baukosten wird es aber, wie es scheint, nicht ohne einen oder mehrere Großspender aus der Golfregion gehen. Unsere Anfragen laufen in mehreren Ländern (Oman, Katar, VAE) – hier brauchen wir jetzt dringend baldige Antworten – sonst wird die Chance auf ein repräsentatives und zentral gelegenes Grundstück vergeben.
Islamische Zeitung: In der Vergangenheit haben Sie den Gedanken entwickelt, mit einem eventuellen Zentrum in München auch die Möglichkeit einer, mit anderen europäischen Einrichtungen vernetzt, Ausbildung einheimischer Imame anzubieten. Steht dieser Punkt noch im Blickpunkt Ihrer Bemühungen?
Benjamin Idriz: Das war von Anfang an einer der Hauptgedanken bei diesem Projekt. Dass inzwischen in Deutschland universitäre Zentren für islamische Theologie eingerichtet worden sind, ist eine ausgesprochen positive Entwicklung und entspricht dem, was wir die ganze Zeit befürwortet haben, auch wenn bisher dort ja noch keine Ausbildung für Imame stattfindet. Mit solchen Zentren, und falls möglich auch mit anderen europäischen Einrichtungen, wird unser „Münchner Forum für Islam“ gerne kooperieren – zum gegenseitigen Nutzen. Denn Imam wird man nicht allein durch Bücher und in Hörsälen. Hier braucht es die Einbindung in das „richtige Leben“ einer Gemeinde, die Erdung durch die tagtägliche Praxis. Das MFI könnte hier zum Beispiel die Möglichkeit von Praktika anbieten, die die universitäre Ausbildung (wenn es sie einmal für Imame geben wird) ergänzen.
Islamische Zeitung: Im Rahmen der aktuellen Debatte zur muslimischen Gemeinschaft wurde auch gefordert, Finanzierungen aus dem Ausland, analog zum österreichischen Gesetz, abzuschaffen. Ganz unabhängig davon, dass das sicherlich nicht beim Kampf gegen Radikalisierung helfen dürfte, lässt sich ein Riesenprojekt wie Ihres überhaupt ohne ausländische Hilfe realisieren?
Benjamin Idriz: Hier muss man unterscheiden, für den Erwerb des Grundstücks und für die Baukosten wird es, wie gesagt, ohne ausländische Großspender nicht gehen. Was aber dann den Betrieb des Zentrums angeht, werden Einflussnahmen von außen ausgeschlossen. Es ist ein wesentlicher Bestandteil des Selbstverständnisses dieses Projekts, dass Islam am Hier und Jetzt orientiert sein soll, also da, wo Menschen sich entschlossen haben, ihr Leben zu verbringen und die Zukunft ihrer Kinder und Enkel liegt. Die Bindung an Herkunftsländer war eine notwendige Phase in den ersten Jahrzehnten muslimischer Einwanderer in Deutschland. Aber jetzt muss etwas Neues entstehen, sonst blockieren wir die Zukunft des Islam in Deutschland.
Islamische Zeitung: Gibt es einen Druck auf öffentlich auftretende Gelehrte wie Sie, Rhetorik und Inhalte eines politisch-korrekten Diskurses zu übernehmen?
Benjamin Idriz: Meine Rhetorik und die Inhalte dessen, wofür ich stehe, was ich denke, sage und lebe, entstammen dem Qu’ran und der Sunna. Es geht darum, unsere Quellen in unsere heutige Wirklichkeit zu übertragen und uns ununterbrochen zu fragen: was bedeutet diese oder jene Aussage für uns hier und heute? Daraus resultiert eine sehr weitgehende Übereinstimmung zwischen dem Islam und den Werten einer demokratischen Gesellschaft. Mit Druck von woher auch immer hat das nichts zu tun.
Was wir allerdings schon spüren, ist der ständige Druck, sich gegenüber den nicht enden wollenden Verbrechen zu distanzieren, die im Namen unserer Religion begangen werden. Hier ist es schmerzlich, dass Politik und Gesellschaft nicht wahrhaben, dass uns als Muslime diese Verbrechen genauso selbstverständlich entsetzen, wie andere auch; oder sogar noch mehr, denn es ist schließlich unsere Religion, die von den Verbrechern missbraucht wird. Das eigentliche Problem ist dabei aber nicht der Druck sich zu distanzieren – sondern die Tatsache, dass solche Verbrechen immer wieder verübt werden.
Islamische Zeitung: Sind Sie mit der Rolle zufrieden, die Gelehrte heute in der innermuslimischen Debatte spielen? Es ließe sich ja kaum behaupten, dass diese – und ihr Wissen – einen nennenswerten Einfluss auf die Entscheidungsbildung hätten…
Benjamin Idriz: In den letzten drei Jahren können wir Muslime durchaus ein starkes religiöses Autoritätsdefizit wahrnehmen. Die traditionellen Azhar-Gelehrten sind entweder entmachtet oder stehen unter politischem Druck, wie die Persönlichkeiten Al-Qaradawi oder Al-Tayyib. Hier in Europa war der ehemalige Großmufti von Bosnien Mustafa Ceric eine Stimme, auch er ist nicht mehr in der Position, in der er war. In Syrien ist Said Ramadan Al-Bouti grausam ermordet worden, und so sind in den letzten Jahren die bekanntesten Gelehrten von der Weltszene verschwunden. Leider gehen positive Stimmen, wie die von Mehmet Görmez, dem Religionsoberhaupt der Türkei, in dem großen Trubel unter.
Wo keine Autorität – dort herrscht Chaos. Und dieses Vakuum füllen heute selbsternannte Pseudo-Gelehrte. In Deutschland stehen wir nicht anders da. In dem Maß, in dem neu ausgerichtete Zentren wie eben unser MFI in Deutschland entstehen werden, kann auch das, was an den Universitäten stattfindet, viel mehr an die Basis und in die Gemeinden dringen. Diese Entwicklung kommt gerade erst in Gang, aber sie ist, glaube ich, auf die Dauer sicher nicht aufzuhalten.
Islamische Zeitung: In der Vergangenheit haben Sie sich skeptisch in Sachen des „organisierten Islam“ geäußert. Was hat Ihren Sinneswandel, den Beitritt zum Zentralrat der Muslime, hervorgerufen?
Benjamin Idriz: Meine Gemeinde in Penzberg ist multiethnisch und hat aus dem Zusammenwirken von Menschen mit unterschiedlichen Wurzeln ungeheuer profitiert. Genau das möchte der Islam ja von uns! Deshalb kann sich die Gemeinde als Ganzes keinem ethnisch oder national orientierten Verband anschließen. Der Zentralrat vertritt meines Erachtens eine Ausrichtung, die dem entspricht.
Organisierte Strukturen für die Muslime in Deutschland habe ich schon immer befürwortet; in dem von mir mit herausgegebenen Buch „Islam mit europäischem Gesicht“ wird ein entsprechendes Modell entworfen. Es sollte aber nicht aus mehreren parallelen und womöglich konkurrierenden Verbänden bestehen, sondern aus einer umfassenden, anerkannten Institution.
Islamische Zeitung: Nachdem der KRM an die Wand gefahren scheint, sehen Sie Alternativen für die Zukunft? Wenn ja, welche?
Benjamin Idriz: Wir haben in den letzten Monaten erlebt, dass endlich eine muslimische Stimme in Deutschland sehr viel mehr wahrgenommen wurde, als das früher der Fall war. Das haben wir Muslime doch seit langem ersehnt und auch gefordert. Sollten wir nicht dankbar sein, dass das jetzt zu gelingen scheint und alle gemeinsam den- oder diejenigen nach Kräften unterstützen, die sich mit Erfolg darum bemühen?
Wenn manche diese Entwicklung gerade jetzt torpedieren, ist das ein verheerendes Signal an die Politik und an die Öffentlichkeit: Ihr könnt die Muslime weiterhin ignorieren, ihr braucht sie weiterhin nicht ernst zu nehmen und nicht einzubinden, sie werden sich auf absehbare Zeit selbst blockieren. Hier müssten wirklich alle muslimischen Entscheidungsträger ihre Verantwortung ernster nehmen, als ihre jeweiligen Einzelinteressen.
Islamische Zeitung: Es gibt eine Vielzahl von Aspekten, die im Denkschemata des politisch organisierten Islam nicht vorhanden sind – was sich auch als „muslimische Zivilgesellschaft“ bezeichnen ließe. Wie könnte diese Zivilgesellschaft zukünftig angemessen Beachtung finden?
Benjamin Idriz: Viele Muslime halten sich von Moscheen fern, weil deren Ausrichtung oder Orientierung an andere Ländern sie nicht anspricht. Hier brauchen wir neue Angebote. Diese Angebote können und sollten aber über die Gebete hinausgehen. Seit wir in München einen provisorischen Sitz für das MFI eröffnet haben, ist aus dem Stand eine sehr vitale Gemeinde entstanden, die Muslime anspricht, die teilweise seit vielen Jahren auf so etwas gewartet haben. Dazu gehören nicht nur die Freitagsgebete, sondern soziale Angebote, Vorträge und Diskussionen, die kritisch und offen gehalten werden, sodass sich auch solche angezogen fühlen, die der Religion bisher vielleicht eher noch distanziert gegenüber stehen.
Islamische Zeitung: Ihre Penzberger Gemeinde ist seit Jahrzehnten multikulturell geprägt und bietet umfassende Aktivitäten an. Handelt es sich dabei um das Modell der Zukunft?
Benjamin Idriz: Es wird wohl auch in Zukunft solche Muslime geben, die emotional an der Bindung an frühere Herkunftsländer festhalten wollen, und das kann ja auch sehr wertvolle Aspekte beinhalten. Aber die Zukunft des Islam in Deutschland wird nicht dominant türkisch, bosnisch oder arabisch sein – sonst wäre er tatsächlich kein Teil Deutschlands. Der Prophet Muhammad hat nicht Mekka nach Medina verpflanzt, sondern nach der Hidschra in Medina etwas Neues geschaffen.
Islamische Zeitung: Lieber Imam Benjamin, wir bedanken uns für das Gespräch.
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