Interview mit dem Juristen Cefli Ademi zu den islamischen Grundlagen

Ausgabe 204

(iz). Fallen Begriffe wie „Islamisches Recht“, „Schari’a“ oder „Fiqh“ gehen bei ­vie­len Menschen die Alarmglocken los. Vorgefertigte Vorstellungen ersetzen eine unverstellte Diskussion, und ­Muslime, die sich auf ihre religiös-normative Schriftquellen berufen möchten, werden so nicht selten in die Defensive gedrängt. Momentan dominiert die so genannte „Islamische Theologie“ den intellektuellen Diskurs über solche Fragen. Eine eigenständige muslimische Position in Sachen Recht, jenseits der im Aufbau befindlichen Lehrstühle an mindestens vier deutschen Universitäten, findet nur in manchen Nischen statt. Um mehr darüber zu erfahren, sprachen wir mit dem Volljuristen Dr. Cefli Ademi. Ademi schloss 2006 sein Jurastudium an der Universität Bielefeld mit dem 1. Staatsexamen ab und absol­vierte 2010 sein zweites. Zwischen 2007 und 2009 war er Lehrbeauftrag­ter an der rechtswissenschaftlichen ­Fakultät der Uni-Bielefeld sowie zwischen 2007 bis 2011 Doktorand an der Bucerius Law School. Im ­Semester 2011/2011 hatte er unter anderem eine Stelle als Lehrbeauftragter an der WWU-Münster zur „Einführung in die islamische Jurisprudenz“. Seit August 2011 ist Dr. Cefli Ademi stellvertretender Leiter des Fachbereichs Recht der Stadt Gütersloh. Sein gegenwärtiger Forschungsschwerpunkt lautet: „Islamische Jurisprudenz mit Blick auf die Bundesrepublik – Religionsverfassungsrecht mit Blick auf den Islam.“

Islamische Zeitung: Zeitgenössische, ideologische Bewegungen in der muslimischen Welt, die ihre Anhänger auch in Deutschland haben, haben sich oft genug – bei Tageslicht besehen – vom Recht abgesetzt oder versucht, dieses zu instrumentalisieren. Oft genug schreiben diese sich die sloganhafte Forderung nach der „Schari’a“ auf die Fahnen. Was ist denn diese „Schari’a“ überhaupt?

Dr. Cefli Ademi: Kein anderer Begriff ist hierzulande (juristisch) derart negativ konnotiert. Er wird fälschlicherweise ­häufig mit dem „Islamischen Recht“ vermengt. Was wir mit Gewissheit sagen können ist, dass wir die Schari’a in ihrer Gesamtheit nicht mit Gewissheit ­erfassen können. Die absolute Schari’a und die absolute Wahrheit kennt einzig Gott. Während „Schari’a“ terminologisch schlicht „der Weg zur unerschöpflichen Quelle“ bedeutet, meint er in ­normativer beziehungsweise technischer Hinsicht die bei Gott zusammengefasste Beurteilung menschlichen Verhaltens, die nicht explizit „kodifiziert“ ist, sondern aus göttlichen Quellen (Qur’an und authentischer prophetischer Tradition „Sunna“) zu ermitteln versucht werden soll. Die (Rechts-)Gelehrten bescheiden sich seit jeher damit, der göttlichen Beurteilung menschlichen Verhaltens, die in der absoluten Schari’a zusammengefasst sind, möglichst nahezukommen. Sie suchen also nach dem Wahrscheinlichsten. Dies drückten sie von Anbeginn an in dem Schlusssatz ihrer Werke aus: „Gott weiß es besser“. Die durch vielfältige Denkkunst aus göttlichen Quellen abgeleitete Formulie­rung praxisbezogener Bestimmungen menschlichen Verhaltens äußert sich in der Fiqh-Disziplin. Fiqh aber ist das rela­tive Werk von Rechtsgelehrten und nicht die absolute Schari’a selbst. Anders ausgedrückt: Fiqh ist ein relatives „Bildnis“ der absoluten Schari’a. Schari’a ist und kann also kein „Gesetzbuch“ sein, obgleich einige brüllende Unkundige durch „inhaltsleere“ Schari’a-Forderungs-Slogens beziehungsweise Anti-Schari’a-Slogans (je nach Perspektive) das Gegen­teil suggerieren (wollen).

Islamische Zeitung: In Deutschland munkeln manche Islamkritiker, dass das islamische Recht bereits Einzug in die deutsche Rechtsprechung gehalten habe. Wie ist dieser Eindruck ­entstanden?

Dr. Cefli Ademi: „Einzug“ nur insoweit, wie es die deutsche Rechtsordnung zulässt und soweit es nicht gegen fundamentale Rechtsgrundsätze verstößt, also gegen den so genannten ordre ­public. Diese so genannten „Islamkritiker“ (ist übrigens ein unsinniger Begriff, insoweit bestimmte Islamverständnisse beziehungsweise Perzeptionen über den Islam kritisiert werden) haben augenscheinlich weder hinreichende Kenntnisse vom „islamischen Recht“, noch von der deutschen Rechtsordnung. Auf der Basis ihrer verzerrten Perzeptionen über den Islam oder das „Islamische Recht“ versuchen sie das vermeintlich „Andere“ zu definieren, um sich selbst dann „auf der anderen, und zwar gefährdeten Seite“ orten zu können. Im Übrigen ist das Schüren von Angst vor einer vermeintlichen „Judaisierung“ und „Islamisierung“, seit dem Holocaust beschränkt man sich hierzulande auf letzteres, durch europäische Kulturalisten kein neues Phänomen, wie es Karl-Josef Kuschel in seinem Meisterwerk: „Vom Streit zum Wettstreit der Religionen – Lessing und die Herausforderung des ­Islam“ eindrucksvoll festgestellt hat. Die Einhaltung rituell-gottesdienstlicher Normen wird größtenteils verfassungsrechtlich gewährleistet und garantiert, etwa das Beten, Fasten etc. ­Religiös-rechtliche Normen haben sich ­hingegen grundsätzlich dem „objektiven Recht“ des jeweiligen Staates – hier der Bundes­republik – unterzuordnen (Territorialprinzip). Sie können nur dort berücksich­tigt werden, wo es die deutsche Rechtsordnung erlaubt. Diese sieht insoweit vor, dass im Bereich des öffentlichen Rechts (und dazu gehört auch das Strafrecht) uneingeschränkt deutsches Recht gilt. Lediglich im Privatrecht kann bei internationalen Sachverhalten entsprechend „ausländisches“ Recht, auch solches, das möglicherweise islamrechtlich geprägt ist, Anwendung finden, wenn es sachnäher ist und nicht gegen den ­ordre public verstößt. Maßgeblich bleibt für die Rechtsprechung in Deutschland also das deutsche Recht. Das Einzige, wovor man sich inso­fern also fürchten könnte, wäre eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem „Islamischen Recht“, die von der verfas­sungsrechtlichen Wissenschaftsfreiheit garantiert wird. Wir konstatieren also: Wieder einmal viel Lärm um Nichts!

Islamische Zeitung: Des Öfteren hört man in Deutschland oder in England von muslimischer Mediation bei zivilrechtlichen Streitfällen. Wie würden Sie das als Jurist einstufen?

Dr. Cefli Ademi: Gegen generelle, außergerichtliche Streitschlichtungen ist nichts einzuwenden, auch bei muslimischen Streitparteien und Schlichtern nicht. Sollten Sie aber mögliche „islami­sche Schiedsgerichte“ meinen, über die kürzlich medial weitestgehend ­emotional gestritten wurde, so bleiben viele Fragen offen: Wie soll so etwas genau ­aussehen? Auf der Basis welcher schiedsgerichtlichen Rechtsordnung, ist doch das „islamische (Zivil-)Recht“ – entsprechend der islamischen Tradition – nicht kodifi­ziert, ganz einfach deshalb, weil es „das“ islami­sche Zivilrecht nicht gibt, sondern vielmehr mehrere, nebeneinander stehende islamische Zivilrechtsverständnisse?! Meinungsverschiedenheiten darüber, was konkretes (islamisches) „Recht“ ist, sind der traditionellen „Islamischen Rechtswissenschaft“ systemimmanent. Bezeichnenderweise kommen solche Vorstöße in Deutschland nicht von Muslimen. An dieser Stelle sollten wir auch vermeiden, unterschiedliche europäische Rechtssysteme miteinander zu vermengen und rechtssystemkonforme Institutionen und Lösungen auf andere, dafür möglicherweise ungeeignete Rechtssyste­me unreflektiert zu übertragen.

Islamische Zeitung: Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts häuft sich der Typus des Rechtsgelehrten, der entweder zum Politiker mutiert oder als Dienstleister für die Wirtschaft arbeitet. Ist dies vorgesehen? Wenn nein, wie kann der Kontrolle des Rechts vorgebeugt werden.

Dr. Cefli Ademi: Die innere Einstellung und Motivation von Rechtsgelehrten entzieht sich naturgemäß der islamrechtlichen Kontrolle. Auch die „Kontrolle des Rechts“ kann naturgemäß nur bedingt gewährleistet werden, zumal es mehrere Rechtsverständnisse gibt und sich die Frage stellt, welchem Rechtsver­ständnis die Kontrollbefugnis zusteht und wer dies wiederum bestimmt. Ihre Sorge ist im Übrigen auch kein neues Phänomen. Genau dieselbe ­Sorge hat den großen Rechtssystematiker Asch-Schafi’i im 8./9. Jahrhundert zu seinem bahnbrechenden rechtssystematischen Werk „Ar-Risala“ verleitet. Bereits erarbeitete wissenschaftliche Standards, die (islam-)juristische Methodologie sowie juristische Argumentationsmuster ermöglichen eine nachvollziehbare Eruierung konkreten „Rechts“. Die Authentizität des ermittelten „Rechts“ lässt sich an der wissenschaftlichen Nachvollziehbarkeit des Weges dorthin messen. In die Herzen schauen kann hingegen nur ­Allah. Idealerweise müssten Glaube, Wissen und Taten eines islamischen Rechtsgelehrten korrespondieren, so wie es von frühislamischen (Rechts-) Gelehrten bekannt ist. So genannte Rechtsschulgründer wie etwa Abu Hanifa, Malik oder Ibn ­Hanbal verbrachten gerade wegen dieser ethisch erwünschten Kongruenz zwischen Glaube, Wissen und Verhalten einen Teil ihres Lebens im Kerker oder starben darin, weil sie sich von damaligen Herrschern nicht instrumentalisieren ließen.

Islamische Zeitung: In Deutschland wird seit geraumer Zeit an und in den Lehrstühlen für die so genannte „isla­mische Theologie“ gearbeitet. Müsste man sich nicht vielmehr als Lehrstühle für islamisches Recht deklarieren, da die meisten Regelungen des Islam rechtliche Ursprünge ­beziehungsweise Ableitungen haben?

Dr. Cefli Ademi: Es geht nicht bloß um die Gründung konkreter ­Lehrstühle, sondern genereller „Zentren für Islamische Theologie“, in denen dann konkrete Lehrstühle zu bestimmten islamischen Disziplinen etabliert werden sollen. Insoweit sollen auch so genannte Lehrstühle für „Islamisches Recht“ entstehen. Grundsätzlich plädiere ich dafür, äußerst sensibel mit Begrifflichkeiten bezie­hungsweise Bezeichnungen umzugehen, weil sie die Tür für eine ­möglicherweise verzerrte Wahrnehmung der zu lehrenden Substanz öffnen. Sie sind also der erste Schritt zum richtigen oder verzerrten Verständnis. Hat man einmal diesen falsch etikettierten Raum betreten, mit begriffsbedingt falschen substanziellen Erwartungen, kann es passieren, dort nicht mehr rauszufinden. Über die Bezeichnung der Zentren mit „Zentren für Islamische Theologie“ wurde heftig diskutiert, zumal eine auch substanzielle Schwerpunktverlagerung – entgegen der islamischen Tradition – zugunsten der Theologie befürchtet wird. Während die größte Herausforderung für christliche Gelehrte seit jeher darin bestand und besteht, Gott (theos) logisch beziehungsweise rational (logos) zu erklä­ren, vor allem vor dem Hintergrund der Trinitätslehre, und die aus der griechi­schen Philosophie stammende Bezeichnung „Theologie“ insoweit adäquat erscheint, fehlt für eine mögliche analoge Anwendung dieser Bezeichnung auf die islamische Wissenschaftstradition eine vergleichbare Interessenlage. Denn die größte Herausforderung der islamischen Gelehrten (im Übrigen sowohl männlichen als auch weiblichen Geschlechts) lag und liegt in der (juristi­schen) Hermeneutik des Qur’an sowie (beziehungsweise mithilfe) der Prophetentradition, um daraus individuelle sowie kollektive Verhaltensnormen gleichermaßen abzuleiten. Ohne vor dem Hin­tergrund der an sich „unsagbaren“ Transzendenz theologisch darüber zu spekulieren, wie Gott existiert, sind die Islamgelehrten vielmehr von der Prämisse ausgegangen, dass Er existiert, um sich nunmehr darauf zu konzentrieren, zu verstehen und zu ermitteln, was Gott uns im Qur’an (und durch den Propheten) für ein glückseliges Leben in beiden Welten mitteilt. Mit „Theologie“ haben sich islamische Gelehrte verhältnismäßig wenig beschäf­tigt, und zwar vermehrt erst nachdem die griechische Philosophie in den islami­schen Wissenschaften Eingang fand. Gegen die Verwendung des Begriffes bestünden aber keine Bedenken, solange man auf diese Hintergründe ­aufmerksam macht. Auch über den terminologischen Griff zum „Islamischen Recht“ für die Bezeich­nung einer der wichtigsten islamischen Kerndisziplinen sollte kritisch reflektiert werden. Diese Bezeichnung halte ich deshalb für nicht geglückt, zumal in den geplanten Lehrstühlen nicht nur ­konkretes (islamisches) „Recht“ kontextuell behan­delt und vermittelt werden soll, sondern vor allem auch die Wissenschaft, die konkretes „Recht“ und zwar nicht nur im klassisch-kulturübergreifenden, sondern auch im islamspezifisch-spirituellen Sinne (siehe oben) hinterfragt, ermittelt und seine Anwendung bestimmt, also „islamische Jurisprudenz beziehungsweise Rechtswissenschaft“ insgesamt. Die letztere Wortkombination halte ich für die Bezeichnung der insofern geplanten Lehrstühle daher für sachgerechter.

Islamische Zeitung: Wir leben in einer Zeit, in der die rechtliche und politische Begrenzung der ökonomischen Macht zu scheitern scheint. Könnte hier ein Blick auf das ökonomische Recht des Islam helfen?

Dr. Cefli Ademi: Definitiv, vor allem wegen der darin bedingungslos geforderten „Realwirtschaft“, der untersagten Spekulationsgeschäfte sowie des missbil­ligten Handels mit im Großen und Ganzen allgemein als unethisch empfundenen Gütern, sowie des grundsätzlich ablehnenden Umgangs mit ­Zinsgeschäften. Alles Aspekte, deren Nichtbeachtung die gegenwärtige Wirtschaftskrise, die ­gerade und vor allem auch eine ethische Krise ist, im Kern mehr oder minder (mit-)ausgelöst hat. Ich würde mich aber davor hüten, von einem „Islamischen Wirtschaftssystem“ zu sprechen – wie es ­häufig getan wird, das es als solches nicht gibt, sondern vielmehr von einer islamischen Ethik in der Wirtschaft.

Islamische Zeitung: Lieber Dr. Ademi, vielen Dank für das Gespräch.