Interview: Politikwissenschaftler Heiner Bielefeldt über Beschneidungsurteil und Religionskritik

Ausgabe 206

(KNA). Die Debatte um die Beschneidung bedeutet für den UN-Sonderberichterstatter über Religionsfreiheit, Heiner Bielefeldt, eine Zäsur: Erstmals finde ein verächtlicher Grundton gegenüber Religionen breitere Resonanz. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur warnte der Politikwissenschaftler vor Respektlosigkeit gegenüber Religionen.

Frage: Herr Professor Bielefeldt, wie bewerten Sie die Diskussionen?

Heiner Bielefeldt: Dass eine emotional geführte Debatte stattfindet, kann nicht überraschen, weil es um ­wichtige Fragen geht: Kinderrechte, Elternrechte sowie die Religionsfreiheit. Erschre­ckend sind aber das Ausmaß an Polari­sierung, kulturkämpferischer Aufheizung und der sehr aggressiv ­verächtliche, ausgrenzende Ton. Wir erleben gerade eine neue Bruchlinie in der deutschen Gesellschaft. Das macht mir ­Sorgen.

Frage: Wo sehen Sie die Grenzen legitimer Kritik überschritten?

Heiner Bielefeldt: Wenn es um Meinungsäußerungen geht, ist – wenn man von Extremfällen absieht – in juristischer Betrachtung bei uns fast alles möglich. Die Schwelle für strafrechtliche Eingriffe in die Meinungsfreiheit ist hoch und muss auch ganz hoch bleiben. Aber für eine Gesprächskultur sind Slogans wie „Glaubst Du noch, oder denkst Du schon?“ sehr befremdlich und schädlich.

Frage: Dürfen Außenstehende die Religionen nicht dazu auffordern, sich zu modernisieren?

Heiner Bielefeldt: Veränderungen dürfen auch von außen thematisiert und angeregt werden. Aber im herrischen Ton mit dem Strafrecht zu drohen, ist kein geeignetes Mittel, um interne Debatten voranzubringen. Das ist vielmehr Ausdruck von Respektlosigkeit.

Frage: Kinderärzte haben sich nach dem Urteil zu Wort gemeldet und warnen vor Komplikationen und kindlichen Traumata.

Heiner Bielefeldt: Es gibt medizinisch verschiedene Einschätzungen, die sich teils widersprechen. Ich bin kein Mediziner und kann und will das nicht beurteilen. Wichtig ist, dass die Gesichtspunkte zum Schutz des Kindes klar zur Sprache kommen. Wir müssen schauen, wie wir alle Argumente zusammenbringen. Soweit ich weiß, hat der Kinderrechtsausschuss der UNO, der für die Umsetzung der UNO-Kinderrechtskonvention verantwortlich ist, die Praxis der Knabenbeschneidung als solche bislang nicht öffentlich kritisiert, wohl aber angemessene medizinische Bedingungen dafür gefordert.