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Islamkonferenz zum ersten Mal in aller „Öffentlichkeit“

Foto: Imam Benjamin Idriz, Facebook

„Weil es im Integrationsgeschäft auch um Ressourcen und Deutungsmacht geht, hat Modell ‘Staat lädt Muslime an den Tisch der Republik’ Spaltungen innerhalb der islamischen Akteure verstärkt. Die DIK wurde eine Art Dompteurin beim Wettstreit der vertretenen Muslime und Musliminnen um die Gunst des Staates.“ Prof. Dr. Schirin Amir-Moazzami
Berlin (KNA/dpa/iz). Wohin bewegt sich der Islam in Deutschland, und wohin sollte er sich bewegen, um ein harmonischer Teil der Gesellschaft zu sein? Zum Auftakt der vierten Deutschen Islamkonferenz (DIK) in Berlin entfachte die Frage scharfe Kontroversen. Der vielbemühte Satz, dass es den einen Islam gar nicht gibt, wurde dabei sehr greifbar. Immer wieder gerieten Muslime unterschiedlicher Orientierung bei den Podien am Mittwoch und Donnerstag teils heftig aneinander. Die innermuslimische Debatte um die Zukunft dieser Religion in Deutschland tobt heißer denn je.
Genau das sollte wohl ein Ziel der Veranstaltung gewesen sein, wie Bundesinnenminister und Gastgeber Horst Seehofer (CSU) zu Beginn deutlich machte. In früheren Plenen ging es um einen Austausch zwischen Staat und muslimischen Verbänden. Am Mittwoch und Donnerstag nun ließ man Muslime auch untereinander diskutieren. Sie alle gehörten zu Deutschland, so der Minister. Entfalten könne sich der Islam hierzulande nur auf dem Boden der deutschen Werteordnung. Extremismus und Antisemitismus dürften die Muslime in ihren Reihen nicht dulden. „Die Grenze ist das Grundgesetz.“
Seit Gründung der DIK vor zwölf Jahren hat es Fortschritte gegeben, etwa den Aufbau islamisch-theologischer Seminare an deutschen Universitäten. Doch es bleiben viele Probleme. Noch immer gibt es in Deutschland keine nennenswerte Ausbildung der Imame durch die Verbände. Ein Podium zu diesem Thema ließ vermuten, dass sich daran so schnell nichts ändern wird. Und noch immer fehlt dem Staat eine Institution, die von sich behaupten kann, für alle gläubigen Muslime im Land zu sprechen. „Ich bin ratlos, warum das so ist“, meinte Seehofer.
Es bestehen Unterschiede
Wer die zweitägigen Diskussionen verfolgte, begriff allerdings recht bald: Es existiert eine tiefe Kluft zwischen angeblich „konservativen“ und säkular ausgerichteten Muslimen, die sich gegenseitig Diffamierung vorwerfen. Andererseits kommt der Staat um das Gespräch mit den großen Organisationen nicht herum, repräsentieren sie doch rund 70 Prozent aller Moscheegemeinden.
Auch die Muslime unter den seit 2015 ins Land gekommenen Geflohenen – inzwischen machen sie ein Viertel der knapp fünf Millionen Muslime aus – erreicht er am ehesten dort. Im Übrigen seien konservative Positionen keine Straftat und gehörten zur Meinungsvielfalt, bemerkten Funktionäre wie Erol Pürlü vom Verband der islamischen Kulturzentren (VIKZ).
Angesichts der festgefahrenen Debatte stellt sich die Frage, was eine solche Veranstaltung überhaupt leisten kann. Doch hier erscheint Minister Seehofer optimistisch. Er hofft in den kommenden vier Jahren auf einen regen Gesprächsprozess, der den „dynamischen Wandel“ in der innerislamischen Debatte abbildet und zur Beheimatung der Muslime beiträgt. Im Mittelpunkt sollen dabei „alltagspraktische Fragen“ des Zusammenlebens stehen. Noch ist nicht ganz klar, was er damit meint.
Gründe sind skeptisch und fordern Religionsgemeinschaft
Die Grünen erwarten nicht, dass die Deutsche Islam-Konferenz (DIK) unter dem Vorsitz von Bundesinnenminister Horst Seehofer schnelle Ergebnisse liefern wird. „Es ist zu befürchten, dass eine Menge der Debattenzeit erstmal darauf verwendet werden muss, die entstandenen atmosphärischen Störungen zu glätten“, sagte Bundestagsfraktionschefin Katrin Göring-Eckardt der Deutschen Presse-Agentur.
Göring-Eckardt forderte einen Neuanfang des Dialogforums. Sie sagte, dazu gehöre auch, dass in Deutschland mehr Imame ausgebildet würden. Die Grünen-Politikerin sagte: „Es braucht endlich konkrete Vorschläge zur Anerkennung islamischer Religionsgemeinschaften.“
Unterschiedliche Bewertungen unter Muslimen
Von Seiten muslimischer Stimmen in Deutschland waren sehr unterschiedliche Einschätzungen zu hören. Von Zustimmung, über Freude an der eigenen Teilnahme bis zur Kritik der Veranstaltung und ihrer Ausrichtung waren sehr unterschiedliche Einschätzungen zu hören. Ungeachtet dessen, wie man diese bewertet, verweisen sie auf inhaltliche Differenzen in der innermuslimischen Debatte, die bisher weder angemessen ausgetragen noch ausgeglichen worden.
Direkt im Vorfeld des jetzigen DIK-Plenums war vom Grünen-Politiker Cem Özdemir die wohlfeile Ansicht zu hören, das Grundgesetz stehe über den Offenbarungen religiöser Menschen. IZ-Herausgeber Abu Bakr Rieger fand auf Facebook eine inhaltliche Entgegnung auf diese oft geäußerte Forderung. „Bevor ich den Satz weiter kommentiere, muss ich zunächst den heute typischen ‘Disclaimer’ vorausschicken: Ich bin selbst Jurist und schätze durchaus die Errungenschaften des Rechtsstaates und lebe weiß Gott lieber in unserer Demokratie als in einer Diktatur“, schrieb der Publizist und Jurist in dem sozialen Medium. „Ich verteidige natürlich meine Identität als deutscher Bürger, denn die Aussicht auf den Verlust dieser Eigenschaft, die Reduktion auf das nackte Leben, gehört, ausweislich des globalen Flüchtlingselendes, zweifellos zu den großen Bedrohungsszenarien dieses Jahrhunderts.“
Jeder Gläubige, der in der Bibel, der Thora oder dem Qur’an lese, werde mit dieser gedanklichen Konstruktion aus dem Hause Özdemir dennoch wenig anfangen können. Das könne auch daran liegen, dass man das Grundgesetz wohl kaum mit feuchten Augen rezitieren könne und es weder Schöpfer noch Schöpfung zu erklären vermag. „Diese zentralen Fragen der Existenz kann kein politisches Werk erklären. Der populistische Satz lenkt aber auch subtil von der eigentlichen Sorge ab: Ist der Politik das Grundgesetz – wie es Özdemir suggerieren will, wirklich heilig?“
Dr. Aydin Süer, Vorstandsmitglied der Alhambra Gesellschaft e.V., war eine der muslimischen RednerInnen, die auf dem Event einen Impulsvortrag hielt. Mit dem Referat wollte sich Dr. Süer unter anderem mit den muslimischen Identitäten in Deutschland auseinandersetzen. In ihrem veröffentlichten Redetext heißt es unter anderem: „(…) obwohl die innermuslimischen Differenzen, von denen ich eben sprach, zunächst eher gesellschaftspolitischer und nicht theologischer Natur waren, haben sie doch eine theologische Relevanz. Es stellt sich jetzt nämlich die Frage, was denn eigentlich – wenn nicht eine ethnische oder kulturelle Identität – muslimische Religiosität im Kern ausmacht. Also: Was genau ist es, das ich bewahren muss? Was kann ich beibehalten? Und wovon sollte, kann oder muss ich mich sogar lösen?
(…) Vor genau diesem Hintergrund sind nun auch die unterschiedlichen Positionen zu beurteilen, die zur Sprache gebracht werden. Hier hat die Forderung nach einem deutschsprachigen Islam genauso ihre Berechtigung wie die Bedenken hinsichtlich einer möglichen Entstellung des Islams. Die Berührungsängste Vieler mit einem wie auch immer gearteten deutschen Islam dürfen wir daher nicht einfach als kruden Konservatismus, als Nationalismus oder Chauvinismus abtun.“
Zu den ausdrücklichen Kritikern des nun zu Ende gegangenen Plenums der Deutschen Islamkonferenz gehört der Generalsekretär des Islamrats, Murat Gümüs. Auf Twitter schrieb er: „1,5 Jahre Vorbereitungsgespräche und Veranstaltungen für die inhaltliche Planung der Deutschen #Islamkonferenz #DIK. Ergebnis: Weder in der Grundsatzrede noch auf der anschließenden Podiumsdiskussion wurde die grassierende #Islamfeindlichkeit auch nur mit einem Wort angesprochen.“
Gümüs legte noch einmal auf Facebook nach und wiederholte die Kritik seines Verbandes am Konzept eines sogenannten deutschen Islam: „Wir werden auch darüber reden müssen, ob und inwieweit es sinnvoll ist, einen Islam etablieren zu wollen, der sich an einer nationalen Identität orientiert. Wenn es in Zukunft ‘deutsche Muslime’ geben soll, wird es zwangsläufig Muslime geben, die nicht ‘deutsch’ oder ’deutsch genug’ sind, also ‘ausländische Muslime’? Wir werden darüber reden müssen, ob das die Integration fördert oder neue Ausschlussmechanismen installiert.“
Der junge muslimische Theologe Samet Er nahm ebenfalls an der DIK teil. Ihm fehlten relevante Themen, die alle Muslime betreffen, sowie auch Teilnehmer aus einem jüngeren Alterssegment. „Was mir gefehlt hat war vor allem, dass relevante Themen, die ausnahmslos jeden Muslim betreffen, wie etwa die Seelsorge oder die Soziale Arbeit nicht konkret diskutiert wurden. Also auch mögliche Präventionsansätze, welche sowohl für die Muslime als auch für die Mehrheitsgesellschaft hilfreich sind. Außerdem haben mir junge Gesichter gefehlt. Soweit beobachtet, gehörte ich zu den jüngsten Teilnehmern der Islamkonferenz, was sehr schade ist. Mindestens ein jugendlicher Podiumsteilnehmer und mehrere junge Stimmen aus dem Publikum würden ganz klar und deutlich zeigen, dass wir eigentlich sehr weit vorangekommen sind.“
Akif Sahin, muslimischer Blogger und Publizist, veröffentlichte noch am Abschlusstag der DIK einen mehrschichtigen und kritischen Text zum Ausgang des diesmaligen Plenums unter ministerieller Ägide. „Die Neuauflage der Deutschen Islam Konferenz (Islamkonferenz) wird meiner Meinung nach keinen wirklichen Fortschritt für die Muslime in Deutschland bringen“, schrieb Sahin. „Dafür sind wir einfach in den vergangenen 12 Jahren mit zu viel Erwartungen und vor allem leeren Versprechungen bei jedem neuen Anlauf abgespeist worden.“ Es sei nicht sinnvoll, sich dieses Mal Hoffnungen zu machen.
Einer, der von dem Blogger beschriebenen Unterschiede ist die geänderte Rolle noch unbekannter Organisationen und Einzelpersonen. Das liege nicht nur an der medialen Berichterstattung über sie und – so möchte man hinzufügen – an ihrem symbolischen Kapital. Es liege auch an einer neuen Welt, in der es nicht mehr auf die Größe ankomme, sondern auf Inhalte und Positionen. „Hier haben die kleinen Akteure ihre Hausaufgaben gemacht, während größere Akteure schon bei den Vorbereitungen zur Islamkonferenz eher mit gedanklichen und personellen Absurditäten auf sich aufmerksam gemacht haben.“
Prof. Dr. Bülent Ucar, Leiter des Instituts für Islamische Theologie und aktueller Teilnehmer an der Deutschen Islam Konferenz, wandte sich gegen den, auch im Vorfeld medial angeheizten Gegensatz zwischen „konservativ“ und „liberal“. Diese Dichotomie sei nicht so einfach, wie manche es gerne hätten. Beide hätten ihre Berechtigung, obgleich das eher politische Begriffe seien. „Konservativ zu sein ist weder verboten, noch eine Sünde in diesem Land. Schließlich sitze ich hier mit dem CSU-Vorsitzenden auf dem Podium. Wir leben in keinem Gesinnungsstaat.“