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Istanbuler Schule hilft syrischen Kindern. Von Gioia Forster und Linda Say

Europa fühlt sich von dem Flüchtlingszustrom überfordert. Syrer sollen in der Türkei bleiben. Doch dort droht Hunderttausenden Flüchtlingskindern der Verlust ihrer Schulbildung. Eine junge Syrerin bietet etlichen Kindern einen Lichtblick.
Istanbul (dpa). Das Gelächter von Kindern hallt durch das Treppenhaus des mehrstöckigen Hauses. Neben den Türen hängen selbst gebastelte Schilder in Pink. „Zweite Klasse“ steht dort auf Arabisch und Türkisch, umrahmt von Glitzersternen und Hello-Kitty-Figuren. Als Sanabil Marandi das Klassenzimmer betritt, rufen die syrischen Grundschüler im Einklang „Guten Morgen“. In Sekundenschnelle haben die Mädchen die 31-Jährige umringt. Die junge Schulleiterin ist beliebt. Denn dank ihr können die Flüchtlingskinder überhaupt zur Schule gehen – hier, im Exil in Istanbul.
„Bildung ist der Schlüssel für die Zukunft“, sagt Marandi, eine Syrerin mit hübschem Gesicht. Ihre Haare hat sie zu einem lockeren Zopf gebunden. Vor Beginn des syrischen Bürgerkriegs war sie Grundschullehrerin in der Küstenprovinz Latakia. Im Zufluchtsland Türkei suchte sie eine arabische Schule für ihre zwei Stiefsöhne – und sah, wie schwer es für syrische Familien um sie herum war, überhaupt Unterricht für ihre Kinder zu finden. Sie hätte mit ihrem griechischen Mann die Türkei verlassen können. Doch sie wollte bleiben. „Wir hatten die Idee, eine Schule für syrische Kinder zu gründen.“ Heute gehen 1550 Schüler in Marandis Schulen.
Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks sind 2,3 Millionen registrierte syrische Flüchtlinge in der Türkei, mehr als in jedem anderen Land. Die Hälfte von ihnen ist jünger als 18 Jahre alt. Der Regierung zufolge leben zwar knapp 264 000 Syrer in Flüchtlingslagern, und fast alle Kinder dort bekommen Unterricht. Doch die meisten syrischen Flüchtlinge leben außerhalb der Lager.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) kritisiert, dass rund 400 000 syrische Kinder in der Türkei derzeit überhaupt nicht zur Schule gehen. „Eine ganze Generation könnte ohne Bildung heranwachsen“, sagt Stephanie Kim Gee von HRW.
Zwar dürften Syrer seit anderthalb Jahren offiziell türkische Schulen besuchen. Doch die Realität sehe anders aus. Zum einem sei für viele die Sprachbarriere zu groß und die Chancen gering, zusätzlichen Türkischunterricht zu bekommen. Zum anderen müssten viele Kinder arbeiten, um ihre Familien zu unterstützen. Auch der Mangel an sozialer Integration sei ein großes Problem. Vor allem in den Städten gibt es dem Bildungsministerium zufolge zudem große Kapazitätsprobleme. Demnach gehen nur rund 65 000 syrische Kinder in türkische Schulen.
Ein Lichtblick sind Einrichtungen wie Marandis „Fackeln-der-Freiheit-Schulen“. Auch andere Privatpersonen, Stiftungen oder Organisationen wie das Kinderhilfswerk Unicef gründen und finanzieren Schulen. Sie bieten Flüchtlingen die Möglichkeit, ihre Schuldbildung auf Arabisch und mit einem syrischen Lehrplan fortzusetzen.
Marandi weiß, wie groß der Bedarf an Bildung ist. „Wenn Schüler auf mich zukommen und sagen, sie wollen lernen, dann kann ich ihnen nicht sagen, dass wir keinen Platz haben“, sagt die 31-Jährige. Ihre erste Schule in Kahramanmaras – rund 100 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt – hatte zunächst 150 Schüler. Das erste Jahr bezahlten sie Miete, Gehälter der Lehrer und Schulbücher aus eigener Tasche. Im zweiten Jahr meldeten sich 600 Schüler an.
„Ich hatte Angst, dass wir das nicht schaffen“, erinnert sich die 31-Jährige. Doch sie schlug sich weiter durch, bekam Unterstützung unter anderem von den Maltesern und deutschen Geldgebern und eröffnete vier weitere Schulen in der Türkei. Marandi verlangt an ihren Schulen keine Gebühren – ein Segen für die Familien. „Für die Schüler sind die Schulen wie ein Zuhause.“
Vor einigen Wochen haben die Behörden ihre erste Schule in Kahramanmaras geschlossen. Die Begründung: Sie habe nicht die richtige Genehmigung. 1100 Schüler standen plötzlich ohne Unterricht da. Die Türkei zu verlassen kommt für Marandi aber nicht infrage. „Es macht mich glücklich – ich bin Lehrerin, dies ist mein Job“, sagte sie. Und hat schon ihr nächstes Ziel vor Augen: eine zweite Schule in Istanbul zu eröffnen.
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