„Geldentwertung bringt auch einen moralischen Verfall mit sich“

Ausgabe 241

(iz). Zu Recht beklagen dynamische und aktive Muslime in Deutschland, dass sie in der Öffentlichkeit häufig als Quoten-Vertreter wahrgenommen werden. Selten erhalten sie die Möglichkeit, auch zu anderen Themen als den üblich verdächtigen Stellung zu beziehen beziehungsweise einen konstruktiven Beitrag zu leisten.

Das ist schade, denn viele hätten zu relevanten Fragen durchaus auch hier was zu sagen. Ein Beispiel hierfür ist die 2007 ausgebrochene Finanzkrise sowie das ihr zugrunde liegende Geld- und Finanzsystem.

Einer, der darüber spricht, ist der junge Ökonom Achim Seger. Seger schloss seine bisherigen Studien als Diplombetriebswirt ab. Seine Abschlussarbeit behandelte das Thema „Das Islamische Riba-Verbot im Spannungsfeld der modernen Geldwirtschaft“. Mit ihm sprachen wir über die Kernelemente seiner Studien, über Ursachen und Auswirkungen der Finanzkrise sowie über mögliche Alternativen.

Islamische Zeitung: Lieber Achim Seger, was fasziniert Sie an den Themen Geld, Finanzwesen und an den Bestimmungen hierzu im islamischen Recht?

Achim Seger: Das Thema Geldwirtschaft geriet durch die Finanzkrise 2007 stark in meinen Fokus. Hier lassen sich natürlich gewisse Fragen stellen. Zum Beispiel nach den Geldsummen, die nicht mehr erklärbar sind. Durch die Krise wurden bei mir ganz fundamentale Fragen ausgelöst.

Das habe ich mit meinem privaten, muslimischen Umfeld verbunden. Mein Vater stammt aus Ägypten, wodurch ich mich dafür interessiere, wie eine islamische Perspektive dazu aussieht – Analysen und vielleicht Lösungsansätze. Dann habe ich mich an die Arbeit gemacht…

Islamische Zeitung: Eine wichtige Inspirationsquelle in Ihrer Diplomarbeit und Ihrer Forschung ist die sogenannte Österreichische Schule, eine Spielart der Ökonomielehre und der Geldkritik. Können Sie unseren Lesern kurz erklären, was sie darunter verstehen müssen?

Achim Seger: Ich habe mich in meiner Arbeit auf die Österreichische Schule der Nationalökonomie gestützt. Das ist eine Theorie, zu deren bekanntesten Vertretern Carl Menger, August von Hayek und Ludwig von Mises gehören. Ich habe mich auch viel mit Murray Rothbard beschäftigt. Man beschreibt sie als „Marktradikale“. Die Begründer waren Österreicher – es ist aber nicht so, dass die Theorie in Österreich praktiziert wird.

Prinzipiell fordern sie den freien Markt, Kapitalismus in Reinform. In der großen Diskussion, was mit unserem Geldsystem passiert, gibt es viel Kapitalismuskritik. In dieser Debatte interessierte mich auch die prokapitalistische Seite.

Islamische Zeitung: Obwohl Sie von „Kapitalismus in Reinform“ sprechen, gehört sie zu den Minderheiten­meinungen in der Wirtschaftslehre. Was ist deren Kritik an der heutigen Finanzordnung?

Achim Seger: Sie besagt, dass es derzeit in der Geldwirtschaft keinen Kapitalismus gibt. Demnach ist unser Geldsystem nicht kapitalistisch; ein freier Geldmarkt wäre es. Hier gibt es aber keine Freiheit, sondern ein Geldmonopol; das so genannte Zwangsgeld, mit einem System aus Zentralbanken. Hierzu gehört das Teilreservesystem, wodurch die Geldmenge verändert und erhöht wird. Nach ihrer Analyse widersprechen diese Dinge einem freien Markt.

Islamische Zeitung: Sie erwähnten das Teilreservesystem, das für die Funktion der Geschäftsbanken nicht unerheblich ist. Was müssen wir eigentlich darunter verstehen?

Achim Seger: Es ist gesetzlich geregelt, dass Privatbanken nur einen bestimmten Prozentsatz der Geldmenge, welche sie als Kredite ausgeben, bereithalten müssen. Aktuell liegt dieser bei einem Prozent in der Europäischen Union. Das heißt, die Banken müssen nur ein Prozent von dem Geld, das sie verleihen, auch physisch besitzen. Das erlaubt eine Ausweitung der Geldmenge, was die Österreichische Schule als Inflation bezeichnet. Diese wirkt sich negativ auf die Konsumenten aus, denn dadurch zahlen wir, die Käufer, höhere Preise. Inflation ist von Nachteil.

Islamische Zeitung: Jetzt gibt es den holprigen Begriff des „quantitative easing“, das von der Europäischen Zentralbank (EZB) betrieben wird. Was müssen wir uns darunter vorstellen und in welchem Zusammenhang steht es zur Funktion der Privatbanken?

Achim Seger: In meiner Arbeit habe ich hierfür das Zitat des „legalen Betrugs“ verwendet. Das ist die Ansicht der Österreichischen Schule. „Quantitative easing“ heißt, die EZB kann neues Geld ausgeben, indem sie Staatsanleihen kauft. Im Endeffekt druckt sich der Staat dadurch neues Papiergeld. Hierdurch entsteht neue Inflation, die die Verbraucher durch höhere Preise bezahlen.

Islamische Zeitung: Sie haben sich mit der Österreichischen Schule beschäftigt und ihre Analysen benutzt. Sie ist aber nicht deckungsgleich mit der muslimischen Ansicht zum Thema Finanzen und dem islamischen Wirtschaftsrecht. Wie sehen die Unterschiede aus?

Achim Seger: Deckungsgleich sind sie nicht ganz, aber doch in vielerlei Hinsicht. Ich habe mich eher auf Gemeinsamkeiten konzentriert. Kapitalismus und Islam kennen beide den freien Markt. Die Unterschiede liegen natürlich im Zins, den die Österreicher zulassen und argumentieren, er sei eine wichtige Preiseinheit. Im Islam ist er verboten.

Islamische Zeitung: Wie würden Sie die heutige Finanzkrise seit 2007 aufgrund Ihrer Kenntnis von beiden Denkmethoden beschreiben? Womit haben wir es zu tun?

Achim Seger: Was wir heute sehen und spüren, sind Auswirkungen von etwas, das früher passiert ist. Derzeit bemerken wir überhaupt erst die Folgen einer massiven Geldmengenausweitung – durch Zentralbanken und private Banken. Eine Krise setzt die Werte auf ihren eigentlichen Stand zurück, denn es gibt einen großen Unterschied zwischen Geldmengen und echten Gütern. Irgendwann wird sich das wieder zurücksetzen. Dann platzt die Blase der ungedeckten Geldmengen.

Islamische Zeitung: Dieses „Zurücksetzen“ klingt recht mechanisch, beinahe schon ereignislos. Am Beispiel Griechenland sehen wir, dass das in der Realwirtschaft und im Alltag der Menschen reale Folgen zeitigt. Wie übersetzt sich dieses „Zurücksetzen“ in der wirklichen Welt?

Achim Seger: Das ist nicht das erste Mal, dass dergleichen geschieht. Es gibt immer wieder Krisen, Staatsbankrotte, Schuldenschnitte oder andere verfügbare Optionen. Im Moment ist es ein globales Problem. Wir sind in einer neuen Situation, in der sich nicht genau sagen lässt, was wann geschehen wird. Es ist ein schleichender Prozess. Das System wird durch das „quantitative easing“ noch weiter aufgebläht und am Leben erhalten.

Aus meiner Sicht bewegen wir uns zurzeit in die falsche Richtung. Die Dinge verschlimmern sich und man arbeitet auf einen noch größeren Zusammenbruch hin.

Islamische Zeitung: Es gab ja historische Vorläufer, in denen Finanzkrisen zu enorm negativen Folgen insgesamt führten. So ging der Nazidiktatur ein weltweiter Zusammenbruch voraus. Kann man nicht sagen, dass es zivilisatorisch und gesellschaftlich bedrohliche Vorgänge sind, die uns mehr gefährden als der einzelne Ideologe?

Achim Seger: Auf jeden Fall. Das finde ich an der Kombination von Islam und Österreichischer Schule interessant. Beide gehen davon aus, dass das Geldsystem auch eine spirituelle Ebene hat. Das sehen wir gerade. Heute gibt es eine schleichende Entwertung von moralischen und ethischen Werten.

Geldentwertung bringt auch einen moralischen Verfall mit sich. Dadurch entsteht ein Prozess, durch den wir uns langsam auf einen chaotischen Zustand bewegen. Leider sehe ich da noch keinen Wendepunkt. Es ist wichtig, dass wir darüber sprechen. Momentan ist eher eine Zuspitzung zu beobachten.

Islamische Zeitung: In der muslimischen Welt, gerade den finanzstarken Wohlstandszonen, wird seit Jahrzehnten das Modell der so genannten Islamischen Bank diskutiert und praktiziert. Es gibt in diesen Ländern Institute sowie große, internationale Finanzkonglomerate, die es als Teil ihres Portfolios anbieten. Stellt das für Sie eine Alternative dar?

Achim Seger: Islamic Banking könnte durchaus eine Alternative sein – zum privaten Teilreservesystem. Ich sehe es aber nicht als den entscheidenden Durchbruch. Es geht nicht tief genug, denn es ignoriert die Geldschöpfung an sich. Auch wenn eine „islamische Bank“ Kredite ohne Zinsen vergibt, ist in jeder Geldeinheit (Dollar, Euro und allen anderen Währungen) bereits sehr viel Riba enthalten. Weil das Papiergeld aus dem Nichts entsteht, stellt es als solches schon Riba dar. Auf der nachgeordneten Stufe ließe sich darüber reden, was eine „islamische Bank“ tun könnte.

Islamische Zeitung: Da werden sich eine Menge Leute fragen, Sparer oder Anleger, ob es denn außer der Analyse, der Kritik, auch Alternativen gibt. Was kann man machen, auch als Ergebnis Ihrer Studien?

Achim Seger: Der Zusammenhang, und die Lösung, ist ein freierer Markt – dass alternative und parallele Währungen wie Dirham und Dinar wieder zuge­lassen werden. Das heißt, weg von dem erzwungenen Staatsgeldsystem, das nach meiner Analyse – was viele jetzt erleben – einfach Nachteile für die Mehrheit der Menschen mit sich bringt. Wir müssen auch im Geldsystem wieder den Wettbewerb der Ideen zulassen. Die besten Geldarten und -formate sollten sich durchsetzen können.

Islamische Zeitung: Lieber Achim Seger, wir bedanken uns für das Gespräch.