IZ-Leser schreiben: Chronologie der Ereignisse im Nahen Osten

(iz). Die grauenhafte Eskalation der Gewalt im Nahen Osten veranlassen mich zur chronologischen Rekonstruktion der jüngsten Ereignisse in der Region.

Allein die Vorstellung, dass ca. zwei Millionen Menschen in Gazastreifen (kleiner als Bremen) eingepfercht werden, raubt einem den Atem. Furchterregend und panisch wird es dann, wenn man in Erfahrung bringt, dass dieses dicht besiedelte Gebiet der Welt vollends abgeschnitten und hermetisch abgeriegelt ist. Die Außengrenzen und der Personenverkehr werden schärfsten durch die Israelis der Kontrolle unterzogen, einmal abgesehen von der sklavischen Abhängigkeit von der ausländischen Hilfe (Wasser-, Stromversorgung, Telekommunikation etc.). Ein belagertes, würdeloses, unsicheres und unfreies Leben kennzeichnen also diese Topografie.

Vor ca. einem Monat kam es zu einer epochalen Zäsur bzw. einer Annäherung zwischen den verfeindeten Brüdern: Hamas und Fatah. Die beiden Bewegungen schlossen miteinander ein Bündnis, demnach Hamas sich der palästinensischen Behörde unterordnet und ihre Macht über Gaza an Mahmud Abbas, den jetzigen Präsidenten der palästinensischen Autonomiebehörde, übergibt. Geplant war auch die Errichtung einer technokratischen Regierung der nationalen Einheit, die sich aus den zwei Bewegungen und anderen Unabhängigen zusammensetzen sollte. Dass Hamas sich auf eine Bewegung wie Fatah einlässt und sich sogar ihr unterordnet, darf keinesfalls unkommentiert an uns vorbeigehen.

Dieser neu eingeschlagene Kurs von Hamas impliziert auch, dass sie kein Problem damit hat, die faktische Existenz Israels anzuerkennen, wenn dessen Regierung ehrliches Interesse an den Tag legen und über die Zukunft der Gesamtregion verhandeln sollte. Schließlich ist das genau der Vorwurf, den ein beträchtlicher Teil der Weltgemeinschaft gegen sie erhebt, sie deshalb international marginalisiert und Israel Anlass zu barbarischen Angriffen auf die Zivilbevölkerung gibt. So wundert es wenig, dass Netanjahu diesem Bündnis der beiden Bewegungen ablehnend gegenüberstand, Abbas daraufhin vor die Wahl zwischen Hamas und Israel stellte und mit scharfen Sanktionen drohte, falls Fatah sich auf Hamas einlässt und mit ihr weiterhin kooperiert.

Es ist offenkundig im Interesse Netanjahus und seinesgleichen bzw. der auf Stärkung und Vergrößerung Israels in der nahöstlichen Region hinarbeitende zionistischen Strömung, dass dieser Konflikt noch Jahrzehnte dauert und der illegale und rechtswidrige Siedlungsbau bzw. Landnahme weiter fortschreitet. Zeit ist dabei ein wichtiger, keinesfalls zu unterschätzender Faktor für ihn. Er wird nur dann verhandeln, wenn seine zionistische Siedlungspolitik sich dem Ende zuneigt und er dadurch das ganze Palästina besetzt hält. Erst dann wird er verhandeln, aber bitte dann nur über den Status Quo, die ratlos zuschauende Weltgemeinschaft vor vollendete Tatsachen stellend. Es ist für jeden, der sich in diesem Konflikt nur halbwegs auskennt, ein abgekartetes und leicht zu durchschauendes Spiel.

In diesem, und nur in diesem Kontext kann man weitere Ereignisse verstehen. In diesem Sinn kommt ihm, Netanjahu, der Mord an drei israelischen Religionsstudenten wie gerufen. In der Regel steht Hamas öffentlich zu ihren Gewalttaten unmittelbar nachdem sie sie ausgeführt hat. Auch wenn es keine greifbaren Beweise vorliegen, die vielleicht Hamas als schuldig entlarven können, wird letztere zwanghaft dieser Tat bezichtigt. Israel bereitet daraufhin die Operation der sog. „eisernen Kuppel“ gegen Gaza vor und trommelt mehr als 40.000 Reservisten zusammen.

Diese kriegsankündigende Geste seitens Israels lässt daher die Frage erübrigen, wer mit dem Kriegshandlungen angefangen hat. In den westlichen Medien bekommen wir als Leser oder Zuschauer wiederholt vorgekaut, dass Hamas der Akteur ist, der mit einfach gestrickten Raketen Israel dauerhaft unter Beschuss nimmt und dass Israel sich nur verteidigt, was die bisherige kurz gefasste Chronologie der Ereignisse in Abrede stellt. Dabei bleibt der Rachemord am jungen Palästinenser durch einige Israelis noch unberücksichtigt, die ihn zum Trinken von Benzin nötigten und danach ihn bei lebendigem Leib verbrannten. Wiederum eine zweifelsohne feige und kriminelle Tat, die jedoch verglichen mit der ersten keinen nennenswerten medialen oder moralischen Aufschrei erzielte.

Die Entführung und die Tötung der drei israelischen Jugendlichen liefern für die Israelis den Grund, Gaza maßlos zu bombardieren, jahrzehntelang etablierte Infrastruktur und Familienhäuser zu zerstören, unschuldige Kinder und Frauen zu töten. Erst heute ist die Rede von über 350 Toten und weit über 1.800 Verwundeten unter den Palästinensern. Es handelt sich schlicht und ergreifend um einen ungleichen und unverhältnismäßigen Kampf mit schwer absehbaren Folgen, und dessen Ausgang von vornherein antezipierbar scheint.

Mit seiner militärischen, blutvergießenden Barbarei und seinem illegal seit Jahrzehnten getriebenen Landraub trotz der weltweiten, aber leisen und unfruchtbaren Kritik tut sich Israel keinen Gefallen. Es heizt nur an und provoziert unermüdlich, wohl wissend, dass es als verhätscheltes Waisenkind unwidersprochen und kritiklos sein Unwesen weiterhin treiben darf und auf vorbehaltlose Unterstützung setzen kann.

Tatsächlich kann es sich vielleicht das Ja-Wort und die Unterstützung der westlichen Regierungen sichern, nicht aber kategorisch die öffentliche Meinung deren Völker. Wohin man schaut, sind nur Hass und endlose Ressentiments, mit denen man ihm und seinen Bürgern allerorts begegnet. Umfragen sprechen hierzu eine nicht misszuverstehende Sprache. Letztlich bleibt angesichts dieser Gegen-Die-Wand-Politik Israels zu schlussfolgern, dass die Lösung dieses Jahrzehnte überdauerten Konflikts in weite Ferne gerückt ist.