Jurist Fateh-Moghadam sieht „Zwangs-Säkularisierung“ europäischer Zivilgesellschaften

Münster (exc). Ein Burka-Verbot nach französischem und belgischem Vorbild wäre in Deutschland nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Das Verbot der Verschleierung im gesamten öffentlichen Raum werde oft paternalistisch mit der „Befreiung der muslimischen Frau“ begründet, oder moralistisch mit dem „Schutz der Werte der Republik“, sagte der Strafrechtsvergleicher Dr. Bijan Fateh-Moghadam vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ am Dienstagabend in Münster. „Beide Begründungen sind mit der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Strafrechts, die aus dem Grundgesetz folgt, und der Beschränkung des Strafrechts auf den Rechtsgüterschutz nicht vereinbar“.

Wenn religiös-fundamentalistische Staaten wie Saudi-Arabien oder Iran einen Verschleierungszwang ausübten, sollten europäische Rechtsstaaten darauf nicht mit dem Verbot der Verschleierung reagieren, warnte der Forscher. „Vielmehr sollte positive wie negative Religionsfreiheit garantiert werden – bei strikter Wahrung religiös-weltanschaulicher Neutralität des Staates.“ Nach Frankreich und Belgien hatte zuletzt die niederländische Regierung einem Verbot zur Vollverschleierung auf öffentlichen Plätzen zugestimmt. Das Parlament muss das Gesetz noch verabschieden.

Solche Verschleierungsverbote führen nach Einschätzung des Wissenschaftlers zu einer „Zwangs-Säkularisierung“ der Zivilgesellschaft und Rechtsgrundsätze säkularer Demokratien wie die Religionsfreiheit und staatliche Neutralität geraten ins Wanken. „Bislang blieb die Diskussion meist darauf beschränkt, ob Lehrerinnen in staatlichen Schulen den Schleier tragen dürfen“, sagte Fateh-Moghadam. Mit einer Ausweitung der Verbote auf den gesamten öffentlichen Raum werde ein „quasi-fundamentalistisches Regime der Laizität“ etabliert, das nicht mehr nur auf die Trennung von Kirche und Staat, sondern auf einen religionsfeindlichen Säkularismus ziele und religiöse Symbole im öffentlichen Raum unter einen Kulturvorbehalt stelle.

Burka-Verbote gehen dem Juristen zufolge weit über die bislang diskutierten Einschränkungen der Religionsfreiheit in Europa hinaus: „Während die Verdrängung religiöser Symbole aus staatlichen Schulen die Säkularität des Staates garantieren soll, führt die Verbannung religiöser, speziell muslimischer Symbole aus dem öffentlichen Raum zur zwangsweisen Säkularisierung der Zivilgesellschaft .“ Zwischen der Säkularität des Staates und der der Gesellschaft bestehe aber ein fundamentaler Unterschied.

„Die Diskussion über die Burka in Europa zeigt, dass die geänderte Wahrnehmung des Islams in der Folge der Anschläge des 11. Septembers 2011 zu einer Spannung im Verhältnis von Religion und Recht in Europa geführt hat, auf die unterschiedliche Rechtsordnungen verschieden antworten“, sagte der Rechtssoziologe und Strafrechtsvergleicher. Er sprach in der Ringvorlesung „Religion und Geschlecht“ des Exzellenzclusters.

In Frankreich und Belgien ist es seit dem vergangenen Jahr gesetzlich untersagt, sich mit einem Gesichtsschleier wie Burka oder Niqab an öffentlichen Orten aufzuhalten. Zuwiderhandlungen können mit Geldbußen, in Belgien sogar mit bis zu sieben Tagen Freiheitsstrafe geahndet werden. In den Niederlanden hat die Regierung auf Initiative des Vorsitzenden der rechtspopulistischen Freiheitspartei (PVV), Geert Wilders, das Burka-Verbot beschlossen, das im Laufe dieses Jahres im Parlament verabschiedet werden soll. Auch in Deutschland wird das Thema diskutiert. Zuletzt hatte sich die hessische CDU für ein Verbot von Ganzkörperschleiern ausgesprochen. Der CDU-Landtagsabgeordneter Alexander Bauer etwa erklärte „Wer hier lebt, muss bereit sein, sein Gesicht zu zeigen“.