Kanzler Kurz sieht „Kampf zwischen Zivilisation und Barbarei“

Foto: Dragan Tatic, österr. Bundeskanzleramt (BKA)

Wien (KNA/iz). Der Zeitpunkt des Anschlags war perfide gewählt: Am Abend vor dem erneuten Lockdown zog es die Wiener noch mal in die Lokale des Szeneviertels am Schwedenplatz, als die ersten Schüsse fielen. Der oder die Täter feuert an mehreren Tatorten auf Gäste und Passanten. 4 Menschen sterben, mehr als 20 werden zum Teil schwer verletzt. Die Polizei tötet wenig später einen schwer bewaffneten Mann. Ob er es vor allem auf Kneipengänger oder auch die nahegelegene Synagoge abgesehen hatte, ist zunächst unklar. Fest stand am 3. November: Der 20-Jährige mit österreichischem und nordmazedonischem Pass war ein vorbestrafter Islamist. Nach weiteren Tätern wird gefahndet.

Offenbar soll sich die Tat einreihen in die jüngsten tödlichen Attacken von Paris und Nizza. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sprach von einem Anschlag auf die freie Gesellschaft, getrieben vom Hass auf das westliche Lebensmodell. Den Kampf gegen den Terrorismus werde der Rechtsstaat mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln führen. Dies sei kein Kampf zwischen Christen und Muslimen oder Österreichern und Migranten, „sondern zwischen Zivilisation und Barbarei“.

Es ist der bisher schwerste Anschlag in Österreich, der von einem Muslim begangen wurde. Im Kampf gegen den radikalen Islam steht das Land in Europa schon seit Jahren an der Spitze. Die Debatte um die Integration von Muslimen wird von der Regierung aktiv vorangetrieben. So bestimmt das Islamgesetz von 2015, dass muslimische Glaubensgemeinschaften nicht mehr dauerhaft aus dem Ausland finanziert werden dürfen und religiöse Funktionsträger ihren Lebensmittelpunkt in Österreich haben müssen. Auch verkündete Kurz die Schließung von sieben dubiosen Moscheen, drängte auf die Ausweisung radikaler Imame und ließ das Kopftuch an Grundschulen verbieten.

Seit diesem Jahr nimmt in Wien eine „Dokumentationsstelle Politischer Islam“ fundamentalistische Vereine unter die Lupe. Die konservative Regierungspartei ÖVP ignorierte dafür Kritik vonseiten des grünen Koalitionspartners wie auch der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ). Vorausgegangen waren Untersuchungen, wonach unter anderen die radikale Muslimbruderschaft verdeckt in Österreich Fuß gefasst hat.

Seit langem ist die IGGÖ als Körperschaft öffentlichen Rechts offizielle Vertretung der Muslime und zentraler Ansprechpartner für den Staat – was es in Deutschland so nicht gibt.

Erst am 29. Oktober hatten mehrere Dutzend türkischstämmige Jugendliche in einer Kirche im Wiener Brennpunktstadtteil Favoriten unter „Allahu Akbar“-Rufen randaliert. Seitdem diskutierte ein erschrockenes Österreich einmal mehr über den tiefen Graben, der selbst viele Muslime der dritten Generation von der Mehrheitsgesellschaft trennt. Für den am Montagabend von der Polizei erschossenen, ebenfalls in Österreich geborenen Täter war dieser Graben so tief, dass er zum Mörder wurde.

Der junge Mann war im April 2019 zu 22 Monaten Haft verurteilt worden, weil er versucht hatte, sich dem „Islamischen Staat“ (IS) anzuschließen. Im Dezember wurde er vorzeitig entlassen, da er als junger Erwachsener unter die Privilegien des Jugendgerichtsgesetzes fiel, wie Innenminister Karl Nehammer mitteilte. Schon länger gab es Berichte über eine dschihadistische Szene in Wien, aus der sich besonders viele Anhänger dem IS anschlossen. Insgesamt zogen mehr als 300 österreichische Muslime nach Syrien. Die Ermittler nahmen am Dienstag mehr als ein Dutzend Personen fest. Auch im 65 Kilometer entfernten Sankt Pölten gab es Hausdurchsuchungen.