Katastrophenstimmung

Ausgabe 285

Foto: World Economic Forum / Mattias Nutt, via flickr | Lizenz: BY NC-SA 2.0

(iz). Es schien ein symbolischer Höhepunkt auf dem Wirtschaftsgipfel in Davos. Die 16 Jahre alte Schwedin Greta Thunberg nutzte das Forum in den Schweizer Alpen um nicht nur vor der drohenden Klimakatastrophe zu warnen, sondern sie rief auch das Kollektiv mit revolutionärem Anspruch auf: Ihr müsst Euer Leben ändern! Über Nacht wurde die Umweltaktivistin zum Medienstar, wenn auch die Wirklichkeit ihres Auftrittes etwas profaner war. Zum Zeitpunkt als Greta den Gipfel adressierte, war die Mehrzahl der Wirtschaftskapitäne und Politiker längst ­abgereist. Sie sprach de facto in einem Nebenraum vor ausgewählten 50 Per­sonen. Dennoch ging ihr Aufruf an die Jugend um die ganze Welt. Die Per­sönlichkeit „Gretas“ mutierte so für die Einen zum Symbol eines jugendlichen Hoffnungsträgers, der die Eliten herausfordert, während für Andere ihr Beitrag nur einen Ausdruck einer neuen Ideologie darstellte.
Der persönliche Imperativ „du musst Dein Leben ändern“, den Greta für das große Publikum ausspricht, wurde einst durch ein Gedicht Rainer Maria Rilkes berühmt. Der Dichter wurde durch einen Torso angesprochen und verfasste darauf eines der berühmtesten Gedicht der deutschen Literatur. Die letzten zwei Zeilen lauten: „Da ist keine Stelle die Dich nicht sieht. Du musst Dein Leben ändern.“ In seinem gleichnamigen Buch interpretiert Peter Sloterdijk nicht nur das Gedicht, er stellt auch treffend fest, dass der moderne, liberale Mensch eigentlich ungern Befehle akzeptiert, die von außen, sei es durch Religion oder Staat, in seine private Autonomie eingreifen.
Die evidente ökologische Krise schafft hier eine Ausnahme, viele Menschen akzeptieren instinktiv, dass sie nicht wie gewohnt weitermachen können und ihr Leben ändern müssen. In diesem Sinne spricht Greta etwas aus, was eine ganze Generation Jugendlicher längst verinnerlicht und in ihr Über-Ich integriert hat. Inzwischen wundern sich Eltern, wenn sie am Mittagstisch von ihren Kindern über ihre jährliche Schadstoffbilanz oder ihre Essensgewohnheiten befragt werden.
Das Gefühl den Planeten retten zu müssen, gehört heute zu den typisch deutschen Anwandlungen. Auf der Mün­chner Sicherheitskonferenz bekannte sich die Bundeskanzlerin Angela Merkel ganz ausdrücklich zu diesem Projekt. Paradoxerweise hörten der Kanzlerin dutzende Generäle und Vertreter der Rüstungsindustrie zu, die gleichzeitig immer neue Potentiale atomarer Verwüstung aufbauen. Das europäische Projekt der Rationalisierung, Ökonomisierung und Verwissenschaftlichung aller Lebensprozess, sieht sich gleichzeitig immer wieder mit der irrationalen Möglichkeit des eigenen Untergangs konfrontiert. Was die Kanzlerin mit ihrer Idee der Rettung verbindet, sind aber keine systematischen Zweifel, sondern eher die Vorstellung mit immer mehr Technik und Kapital immer bessere Zustände zu schaffen.
Dieser „Lösungsansatz“ wird – gerade angesichts der ökologischen Krise – von Slavoj Zizek in seinem Buch „Die Tücke des Subjektes“ angezweifelt: „Wenn wir die ökologische Krise auf Störungen ­reduzieren, die durch unsere exzessive technologische Ausbeutung der Natur ausgelöst wurden, unterstellen wir schon stillschweigend, dass die Lösung des ­Problems wieder auf technologische ­Innovationen basieren wird: auf einer neuen grünen Technologie, die noch ­effizienter und globaler in ihrer Kontrolle der natürlichen und menschlichen ­Ressourcen sein muß.“
Im politischen Deutschland kon­kur­rieren seit geraumer Zeit drei große Beschreibungen fundamentaler Ängste, die sich aus den Folgen der Klima-, der Flüchtlingskrise und der Krise um die Finanzstrukturen ergeben. Vor allem die Klima- und Flüchtlingskrise trennen ­dabei die Gesellschaft in zwei Lager. Für die Befürworter eines starken Nationalstaates ist es gerade die Flüchtlingskrise, die ihre ultimativen Ängste vor der Globali­sierung rechtfertigt, während für die ­Globalisten die Bewältigung der Klimakrise den Nationalstaat überfordert und gerade deswegen globale Institutionen gestärkt werden müssen. Beide Gruppen stehen sich so in einem unversöhnlichen Patt gegenüber.
Natürlich steht hinter beiden Positionen auch eine bestimmte Form von Überzeugungen, die sich nicht vollständig in rationale Argumentationsketten begründen lassen. Slavoj Zizek argumentiert immer wieder, dass es de facto ­Ideologien sind, die auch unser Dasein in der Demokratie heute beherrschen. „Ideologie“, klärt Zizek auf, „darf nicht als eine Illusion, die die Realität der ­Dinge markiert, verstanden werden, ­sondern als eine unbewusste Phantasie, welche die Realität strukturiert“.
So berufen sich politische Überzeugungen, so zumindest Zizek, notwen­digerweise auf „erhabene Objekte der Ideologie“, um die eigene Position als die absolut Überlegene zu etablieren. Das Erhabene definierte schon Kant als das, „was schlechthin groß ist“ und sich so durchaus als Gottesersatz eignet. Diese erhabenen Objekte sind heute Begriffe wie zum Beispiel „Natur“ oder „Volk“, die letztlich in ihrer Substanz philo­sophisch unbestimmt bleiben, deren Schutzwürdigkeit aber, je nach ideo­lo­gischer Verortung, besonders hoch eingeschätzt werden. Dies kann im Extremfall dazu führen, dass auch eine Ökodiktatur oder ein nationalistischer Staat als legitime Größen zur künftigen Sicherung des bedrohten Objektes gerechtfertigt werden.
Verstärkt werden diese Gegensätze heute durch das Spiel der Medien. Der Gebrauch bestimmter Worte, wie zum Beispiel „Asylantenflut“ oder „Klimakatastrophe“ strukturieren den Diskurs und rufen bestimmte Assoziationsketten ab. In einem neuen Gutachten der ARD wird dieser Mechanismus als „Framing“-Effekt offiziell eingeführt und in seiner Wirkung wie folgt erklärt: „Entgegen dem gängigen Mythos entscheidet der Mensch sich nicht‚ rein rational und ­aufgrund einer ‚objektiven’ Abwägung von Fakten für oder gegen Din­ge, denn objektives, faktenbegründetes und rationales Denken gibt es nicht, zumindest nicht in der Form, in der es der Auf­klärungsgedanke suggeriert.“
Der Mangel des Menschen, dem es nie ganz gelingt die komplexe Wirklichkeit ganz zu begreifen, zu erklären und zu ­erfassen, macht ihn also gleichzeitig ­anfällig für Ideologie und für Phantasien, die sich durch die eigene Einbildungskraft bilden. Mögliche Leerstellen in der eigenen Argumentationslogik werden so überbrückt. Politisch zeigt sich dies in gefährlichen gesellschaftlichen Spannungen, in denen diverse Überzeugungen sich gegenseitig herausfordern und immer öfters mit dem Habitus absoluter Überlegenheit der eigenen Position vorgetragen werden. Ideologe ist in dieser Anordnung immer der Andere. Darüber hinaus verbreitet sich in verschiedenen Lagern, angesichts der Katastrophenstimmung, die bedenkliche Überzeugung, dass die Demokratie zu langsam und zu wenig radikal auf die ökologischen oder sozialen Herausforderungen zu reagieren vermag. Die Versuchung liegt hier nahe, angesichts dem imaginierten bevorstehenden Untergang, nach harten politischen Lösungen, eventuell sogar gegen die Mehrheit der Bevölkerung, zu rufen.
Wie sollen also Muslime umgehen mit den neuen Formen der Ideologie? Ein grundsätzlicher Unterschied besteht hier, dass der Gläubige den Schöpfer und nicht den Mensch in den Mittelpunkt stellt. Naturgemäß wird hier zunächst die ­Offenbarung eine Rolle spielen und ­Muslime sich die Frage stellen, ob es hier Ansatzpunkte zur Bewältigung der ­aktuellen Krisen geben kann. Tatsächlich finden sich in der Überlieferung zahlreiche Aufrufe die Schöpfung zu bewahren und zwischenmenschliche Solidarität auszuüben. Bekannterweise finden sich im Koran auch dezidierte Hinweise, eine maßvolle Ökonomie zu gestalten, den Handel zu erlauben und „Riba“ zu verbieten, bis hin zu rationalen Maximen die das Wirtschaftsrecht betreffen.
Natürlich ahnt man hier schon den Einwand, den Denker wie Slavoj Zizek, vermutlich vortragen würden. Würde die Anrufung erhabener Objekte der Reli­gion nicht zu endgültig totalitären Gottesstaaten führen? Ein kurzer Blick auf die faschistoide Episode des „Islamischen Staates“ gibt diesem Einwand sein eigenes Gewicht. Nur, das ergibt sich aus der ­Argumentation Zizeks über die Ideologie ebenso, die Möglichkeit oder die Gefahr der Ideologisierung betrifft letztlich alle gesellschaftlichen Gruppen, die sich um den Fortbestand des Lebens auf der Erde sorgen.
Es wird für uns Muslime also darauf ankommen, den Islam selbst nicht als eine politische Ideologie, sondern immer auch als eine Praxis der Mäßigung zu ­verstehen. Hinzukommt eine gelassene Geisteshaltung, die sich im Kern weder in einer Dialektik gegen Andere noch durch eine Katastrophenstimmung bestimmt. Man erinnert sich hier auch an prophetische Wort, dass man – selbst im Angesicht des drohenden Untergangs – einen Baum pflanzen sollte.