Krimtataren: Auswandern, oder Russland willkommen heißen

Ausgabe 228

Obwohl die Krimtataren in den letzten 20 Jahren mehrheitlich von den ukrainischen Behörden vernachlässigt wurden, erfreuten sie sich im europäischen Vergleich einer enormen religiösen und politischen Freiheit. Es wurde ihnen ermöglicht, ihre legitimen Ziele im politischen System der Ukraine zu verfolgen.

(iz). Am 18. Mai gedachten die muslimischen Krimtataren dem 70. Jahrestag der Vertreibung ihres Volkes (Surgun) durch die Schergen Stalins. Nach ihren Schätzungen sind dabei mehr als 40 Prozent aller Betroffenen ums Leben gekommen. Heute, zwei Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, steht die eingeborene Bevölkerung der Krim ebenfalls vor einem Dilemma. In den letzten Wochen hat sich ihre Lage, nachdem ihre historische Heimat plötzlich von Russland annektiert wurde, erheblich verschlechtert.

Die Serie von Übergriffen auf Krimtataren durch russische Milizen und Schlägertrupps setzte sich am 6. Mai fort, nachdem ein Mitglied der krimtatrischen Selbstverwaltung von russischen Bewaffneten angegriffen wurde. Sie stoppten seinen Wagen und forderten seine Dokumente. Diese illegalen Bewaffneten, die im Namen der neuen Herren der Krim agieren, benutzen Einschüchterungstaktiken, um Gegner zu verunsichern und zu unterwerfen. Tage später wurde der krimtatarische Veteran Mustafa Dschemilew zum zweiten Mal am Betreten seiner Heimat gehindert.

Diese Ereignisse veranlassten Dschemilew dazu, die Lage als eine „Demokratie im russischen Stil“ zu beschreiben. Gekennzeichnet sei sie durch vollkommene Willkür. Nachdem die Welt die Annexion der Krim scheinbar stillschweigend hingenommen hat, scheint Moskau eine neue Phase seiner Krimpolitik zu beginnen. Nun zielt man auf die Zerschlagung der wichtigsten muslimischen Körperschaft ab, dem Mejlis des Krimtatarischen Volkes. Das Russische System bewegt sich insgesamt in die Richtung, Widerspruch auszuschalten, aber dies gilt ganz besonders auf der Krim.

Moskau hat bereits gezeigt, dass es eine harte Haltung gegenüber den Tataren einnehmen wird, bis diese mit den neuen Behörden kooperieren. Rustam Minnikhanaov, Putin-freundlicher Präsident von Tatarstan, erklärte, dass die Zeit für Verhandlungen enden wird. Der Mejlis werde die Gelegenheit verlieren, Probleme der Krimtataren mit der russischen Regierung zu lösen.

All dies ist eine harsche Realität für die Krimtataren, insbesondere für die neue Generation, die unter anderen Umständen aufwuchs. Viele lehnen die russische Herrschaft ab, denken über Auswanderung nach oder wollen Widerstand leisten. Die Krimtataren stehen vor einem neuen Dilemma. Entweder die absolute russische Herrschaft akzeptieren oder ihre Heimat zu verlassen, für die sie so lange gekämpft haben.