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Die Krise in Nigeria schwelt seit zehn Jahren

Foto: Diariocritico de Venezuela, via flickr | Lizenz: Licensed under the Creative Commons Attribution 2.0 Generic

Bonn/Abuja (KNA). „Dann ist sie nur noch gerannt, ab durch den Wald, bloß weg von diesen Männern, die ihr die Hölle auf Erden bereitet haben.“ Care-Reporterin Jennifer Bose, die vor rund zwei Wochen aus Nigeria zurück kam, erzählt die Geschichte einer jungen Frau – heute 17 Jahre alt. Laut Bose kam das Mädchen mit zwölf Jahren in die Gewalt der Terrorgruppe Boko Haram. Fünf Jahre lang sei sie den islamistischen Kämpfern ausgeliefert gewesen – auf Gedeih und Verderb.
„Mit etwa zwanzig anderen Mädchen musste sie in einer Art Käfig leben“, berichtet Bose von ihrer Begegnung und den Gesprächen mit der Traumatisierten. „Raus“ sei sie nur gekommen, wenn sie die Männer geholt hätten – zur Vergewaltigung. Alle zwei Tage hätten es die Boko-Haram-Kämpfer erlaubt, dass zwei der Frauen im nahen Wald nach etwas Essbarem und Feuerholz gesucht hätten. „Kochen mussten sie selbst – schlichte Rationen gab es nicht“ erzählt die 31-jährige Care-Helferin. „Das Mädchen war dreimal mit einem Kämpfer verheiratet.“ Der Letzte habe die junge Christin umbringen wollen, doch dann sei ihr die Flucht geglückt. „Eine Mitgefangene hat ihr kurz vor der geplanten Hinrichtung die Fesseln gelöst und sie beschworen, falls die Flucht scheitert, sie nicht zu verraten.“ Alles habe schnell gehen müssen. „Über einen ganzen Tag ist sie durch den Wald gerannt, bis sie auf Einheiten des nigerianischen Militärs gestoßen ist.“ Sie hätten der schwangeren Flüchtigen in ihrer Not geholfen, so Bose. Geschichten wie diese sind in Nigeria keine Ausnahme. Seit Beginn der sogenannten Tschadsee-Krise vor zehn Jahren wird das westafrikanische Land geschüttelt von ständigen Konflikten zwischen eben jener radikal-islamischen Terrorgruppe und der Regierung in Abuja. Frauen und Mädchen werden verschleppt, Jungen zwangsrekrutiert oder getötet.
Mitarbeiter von Hilfsorganisationen wie Jennifer Bose können sich dort nur in Hochsicherheitsbereichen aufhalten. „Um von einem der Flüchtlingslager, die etwa 1,8 Millionen Menschen beherbergen, ins andere zu kommen, müssen wir immer wieder Militär-Checkpoints passieren, sonst wäre die Gefahr von Überfällen zu groß“, erzählt sie. Nach Angaben von Care leiden in der Krisenregion etwa 2,7 Millionen Menschen Hunger. Alles in allem seien rund sieben Millionen Menschen betroffen. In Nigeria ist rund eine Hälfte der Bevölkerung christlich, die andere muslimisch.
Care beklagt einen Mangel an Hilfsgeldern: Von den etwa 23,2 Millionen Euro, die die Hilfsorganisation in Nigeria für die notwendigste Hilfe brauchte, fehlen noch immer fast 75 Prozent. Nigeria gehöre zu den unterfinanziertesten Krisen der Welt, sagt Bose.
Zudem sei weiterhin nicht mit einer „politischen Lösung, die das Land endlich befriedet, damit die Menschen eine Perspektive haben“, zu rechnen. Die bisherigen Lösungsansätze für das Nigerdelta erschöpfen sich bislang in Transferzahlungen, Amnestieprogrammen und kleinen Ausbildungsinitiativen, kritisiert Care. „Doch damit hat sich die Zentralregierung lediglich Zeit gekauft, denn seit 2009 hat sich die Situation nicht grundsätzlich verbessert, nur verändert“, stellt Bose klar. Die Steuergelder, die durch das Öl eingenommen werden, müssten für einem breiteren Teil der Bevölkerung zu gute kommen. „Es braucht auch Maßnahmen, um der Boko Haram das Geld abzugraben.“
Als Nothelferin selbst müsse sie ein dickes Fell haben und Distanz zu der Situation wahren, um ihre Arbeit gut zu machen, sagt sie. „In einem Gespräch mit einer Frau, die mir ihre Vergewaltigung schildert, kann ich nicht auch in Tränen ausbrechen. Das geht nicht.“ Es tue es auch weh zu sehen, wie die Flüchtlinge unter ihrem eintönigen Alltag litten. Die Nigerianer seien körperliche Arbeit gewöhnt, da sie häufig in der Landwirtschaft tätig waren, erklärt Bose. Im Camp gibt es kaum Aufgaben, die Zukunft ist ungewiss.