Krisensignale – Banken in Schieflage

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ROM/BRÜSSEL (GFP.com). Vor dem Hintergrund einer rasch einsetzenden Abkühlung der Konjunktur gewinnen die finanz- und wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen zwischen der EU und der populistisch-ultrarechten Regierungskoalition in Italien wieder an Schärfe. Ausgelöst worden sind die aktuellen Spannungen durch neue Vorgaben der Europäischen Zentralbank (EZB), die von Finanzinstituten in der EU eine Erhöhung der Rückstellungen für faule Kredite verlangt. Dies gestaltet sich insbesondere für italienische Banken als schwierig, weil sie nach wie vor unter den Folgen der Eurokrise leiden.
Beobachter diagnostizieren bereits ein „Krisensignal“ in Italien und warnen vor einer „Ansteckungsgefahr für Europa“; zuweilen wird das Land bereits als Ausgangspunkt für eine neue Eurokrise eingestuft. Hinzu kommt, dass die Eurokrise durch die deutschen Austeritätsdiktate anfälliger für externe Störfaktoren wurde: Weil die Binnennachfrage eingebrochen und die Exportorientierung gestiegen ist, drückt etwa der Handelskrieg der USA gegen China massiv auf die Konjunktur.
„Das jüngste Foulspiel der EZB“
Ausgelöst wurden die aktuellen Spannungen durch neue Vorgaben seitens der Europäischen Zentralbank (EZB), die von Finanzinstituten in der EU eine Erhöhung der Rückstellungen für faule Kredite verlangen. Dies gestaltet sich insbesondere für die italienischen Banken als problematisch, da sie im Gefolge der Eurokrise samt jahrelanger Stagnation hohe Bestände an notleidenden Krediten angehäuft haben.
Italiens Vize-Ministerpräsident Matteo Salvini warf der EZB Mitte Januar entsprechend vor, das italienische Bankensystem anzugreifen. „Dieses neueste Foulspiel der EZB könnte Italien 15 Milliarden Euro kosten“, warnte Salvini unter Anspielung auf den Anstieg der Zinslast, den das hochverschuldete Italien infolge der neuen Vorgaben zu schultern hätte. Das Vorgehen der EZB lege den Verdacht nahe, es sei politisch motiviert, urteilte Salvini in Anspielung auf die Auseinandersetzungen zwischen Rom einerseits und Brüssel und Berlin andererseits um den wirtschaftspolitischen Kurs Italiens. Es sei mehr Transparenz bei den Entscheidungsprozessen der in Frankfurt angesiedelten EZB notwendig, erklärte Salvini; ansonsten werde die EU-Bankenunion nur Instabilität schaffen.
Die Ausführungen des italienischen Vizepremiers können auch als Hinweis auf die während der Eurokrise etablierte Praxis Berlins interpretiert werden, mittels gezielter Eskalation finanzieller Schwierigkeiten die betroffenen Eurostaaten zu Zugeständnissen zu nötigen.
Banken in Schieflage
In Rom sieht man durch das Vorgehen der EZB das seit einigen Jahren gepflegte Narrativ von der Stabilisierung des italienischen Finanzsektors bedroht, das ohnehin seit Jahresanfang wegen abermaliger Bankenturbulenzen an Überzeugungskraft eingebüßt hat. Schon Anfang Januar musste die EZB eine kleinere italienische Bank, die Genueser Banca Carige, unter Zwangsverwaltung stellen, da sie in Schieflage geraten war und ihr Hauptaktionär sich einer Kapitalerhöhung verweigerte. Obwohl die Bilanzsumme des betroffenen Finanzinstituts mit 24 Milliarden Euro recht klein ist, hat die Krisenmaßnahme die Finanzmärkte in Unruhe versetzt. Der italienische Bankenindex verlor zeitweise 2,8 Prozent, der Bankenindex der Eurozone gab um 2,5 Prozentpunkte nach.
Die Finanzbranche sei „alarmiert“, hieß es in Medienberichten, da dieser jüngste Zusammenbruch einer Bank die angeblichen ersten „Anzeichen einer Besserung“ im italienischen Finanzsektor in Frage stellen und als „Krisensignal für das Land“ gedeutet werden könne. Eine Beruhigung der Lage trat kurzfristig erst ein, als der italienische Staat Anleihegarantien für die Banca Carige in Höhe von drei Milliarden Euro gab.
Ende Januar geriet nun allerdings auch die Banca Popolare di Bari in Schieflage; ihr fehlten wegen zunehmender fauler Kredite rund 500 Millionen Euro. An der Mailänder Börse brachen die Bankaktien ein. Beobachter seien zunehmend in Sorge, hieß es, dass „eine Ansteckungsgefahr für Europa“ bestehe.
Italienische „Altlasten“…
Tatsächlich ist der italienische Bankensektor am Vorabend des drohenden Abschwungs in der EU noch immer durch Altlasten der vergangenen Eurokrise belastet. Aufgrund der lange anhaltenden Rezession und der folgenden langwierigen Stagnationsphase konnten viele Kreditnehmer in Italien ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen, sodass der italienische Finanzsektor unter einem großen Berg fauler Kredite zu leiden hatte. Auf dem Höhepunkt der Krise hielten Italiens Banken faule Kredite im Umfang von knapp 200 Milliarden Euro in ihren Bilanzen, während zusätzliche Verbindlichkeiten im Volumen von 100 Milliarden Euro als fragwürdig galten.
Damit waren rund 20 Prozent aller Darlehen südlich der Alpen vom Zahlungsausfall bedroht. Aktuell verbreitet der italienische Bankenverband, wie deutsche Beobachter skeptisch berichten, „positive Nachrichten zum Nettowert aller faulen Kredite nach Abzug der dafür getätigten Rückstellungen“. Dieser Nettowert sei schon 2016 auf 85 Milliarden Euro gesunken; das seien nur noch 4.8 Prozent aller Ausleihungen. Im Oktober 2018 wurden demnach sogar italienische Kredite im Wert von nur noch 38,2 Milliarden Euro nicht mehr bedient.
… am Beginn einer neuen Rezession?
Dennoch bestehe kein Grund zur Entwarnung, werden deutsche Wirtschaftswissenschaftler zitiert, da ein neuer Krisenschub, eine abermalige Rezession die prekäre Lage des italienischen Finanzsektors sehr schnell eskalieren lassen könne. Der rasche Abbau der faulen Kredite sei vor allem der „außergewöhnlich guten wirtschaftlichen Lage“ der vergangenen Jahre zu verdanken; eine rasche konjunkturelle Abkühlung könne aber die Masse der notleidenden Verbindlichkeiten sehr schnell wieder ansteigen lassen und den Finanzsektor aus der mühsam aufrecht erhaltenen Balance werfen.
Laut jüngsten Zahlen des italienischen Statistikamtes befindet sich das Land bereits kurz vor einer Rezession. Italien gehört zu den europäischen Krisenländern, die besonders stak unter den Spar- und Austeritätsdiktaten gelitten haben, die Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble im Gefolge der Eurokrise dem europäischen Währungsraum oktroyierte. Der – kreditfinanzierte – globale Aufschwung der vergangenen Jahre ist an der viertgrößten Volkswirtschaft der EU größtenteils vorbeigegangen, während Italien nun als eines der ersten Mitglieder der Union abermals in die Rezession abzudriften droht. Manche stufen es deshalb bereits als Ausgangspunkt einer neuen Eurokrise ein.
Hinzu kommt die Kehrtwende in der EZB-Geldpolitik, die nach jahrelangem Druck aus Berlin nun ihre Anleiheaufkäufe einstellt. Der italienische Staat ist mit rund 130 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes hoch verschuldet, wobei allein 2019 rund 250 Milliarden Euro umgeschuldet werden müssen. Ernsthafte konjunkturelle Verwerfungen drohen den instabilen italienischen Schuldenturm zum Einsturz zu bringen.
Europas exportgetriebener Abschwung
Bereits Ende 2018 schien ein fortgesetztes Schrumpfen der Industrieproduktion in den wichtigsten Volkswirtschaften der Eurozone auf eine baldige Rezession im Währungsraum hinzuweisen. Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien erfuhren im November hohe Kontraktionen der Produktion zwischen 1,9 Prozent (Deutschland) und 1,3 Prozent (Frankreich). Nicht nur Italien, auch die Bundesrepublik als die „größte Wirtschaft der Eurozone“ scheine „näher an die Rezession zu schlittern“, urteilten US-Medien. Bereits im vergangenen Jahr sei die Eurozone durch Krisen erschüttert worden, etwa durch die langwierigen Auseinandersetzungen um den italienischen Haushalt zwischen Rom, Brüssel und Berlin oder durch die Unruhen in Frankreich, die ihrerseits durch Austeritätsmaßnahmen ausgelöst worden waren.
Diese inneren Widersprüche des Euroraums wurden überlagert durch den eskalierenden Handelskrieg zwischen den USA und China. Tatsächlich ist die Eurozone, die von Berlin im Verlauf der Eurokrise nach deutschem Modell geformt wurde, besonders anfällig für externe Störfaktoren: Durch die Austeritätspolitik, die Deutschlands Finanzminister dem Währungsraum verordnete, ist nicht nur die Binnennachfrage in vielen EU-Krisenländern eingebrochen; auch die Handelsüberschüsse der Eurozone gegenüber dem außereuropäischen Ausland sind stark angestiegen. Folglich führen Nachfragerückgänge in den USA oder in China, wie sie im Gefolge der aktuellen Handelsauseinandersetzungen eintreten, sehr schnell zu Konjunktureinbußen in der Eurozone, die einseitig auf den Export ausgerichtet ist.