Kulinarisches aus 200 IZ-Ausgaben: Von Sarajevo bis Marokko, die Muslime haben viel zu bieten. Von Laila Massoudi

Ausgabe 200

(iz). Wer der Ansicht ist, Integration sei gescheitert, ignoriert die Traditionen des Kochens und Genießens, die unsere Neu­bürger nach Deutschland brachten. Erinnern wir uns: Wer vor dreißig Jahren als Normalbürger ausging, hatte eine begrenztere Auswahl. Oft genug wurden im „gutbürgerlichen“ Milieu Currywurst, Eintöpfe und trauriger Gurkensalat in zuckriger Marinade serviert. Wolfram Siebeck und andere beklagten damals den Mangel – im Vergleich zu den Nachbarn Frankreich und Schweiz – an guten Lebensmitteln.

Heute sieht es auch in westdeutschen Kleinstädten anders aus. Griechische, türkische oder vietnamesische Läden sind Alltag und versorgen uns mit – damals so exotischen Dingen – wie Oliven, Koriander, Ingwer und besserem Gemüse, als es früher zu haben war. Ihr Einfluss war einschneidend, sodass viele ­Supermärkte von der Konkurrenz lernten und ihr Angebot nachahmten.

Ein Besuch auf einem der ­Großmärkte, die Endverbraucher mit Frischware versorgen, zeigt, dass Muslime als Lebensmittelimporteure und Großhändler zum Baustein unserer Speisekarte geworden sind. Muslime haben ihre jeweiligen kulinarische Traditionen mitgebracht, die einen Blick auf die Heimatländer ihrer Vorfahren lohnen. Machen wir uns auf die Reise…

Fastenbrechen in Sarajevo
Bosniens Küche hat ihre Wurzeln in der osmanischen Küche. Im Laufe der Zeit entstand eine Vielfalt ­eigenständiger, spezifischer Gerichte. Zu den ­Vorspeisen zählt Nudelsuppe mit Eiern oder Gemüsesuppe. Eine typische Vorspeise ist die Begova Corba, was man mit „Suppe des Beys“ übersetzen könnte. Dieser Eintopf wird mit gestückeltem Fleisch, Reis und grünen Bühnen zubereitet. Charakteris­tisch ist ihre sämige Konsistenz. Das Hauptgericht Pita mit Fleisch wird im Bosnischen „Burek“ genannt. Das sollte man aber nicht mit dem türkischem „Börek“ verwechseln, da ersteres traditio­nell per Hand vorbereitet wird. Der Teig wird mit einem Stock dünn aufgezogen. Darauf werden entweder Fleisch, Kartoffeln, Spinat oder sogar Kürbis verteilt. Zu Pita wird gerne Joghurt gereicht. Es gilt als besonderes Gericht, das oft nur für Gäste zubereitet wird. Daneben gibt es Reis mit verschiedenen Sorten Fleisch – Huhn, Rind oder Lamm. Der Reis wird hier ohne weitere Zutaten zubereitet. Ein eigenes Gericht ist auch der Eintopf Bosanski lonac, der mit Kartoffeln und Weißkohl, Fleisch und sehr viel Gemüse zubereitet wird. Das Gericht wird drei bis vier Stunden langsam gekocht, um den typischen Geschmack zu erhalten.

Natürlich entwickelten sich in Bosnier auch Süßspeisen. Dazu zählen Sutlija (Milchreis), Hurmasice (gebratene Teigstücke) und ein Apfelkuchen, der aber wie die oben genannte „Pita“ zubereitet wird. Bosnische Gastlichkeit wäre unvollkommen ohne den bekannten Kaffee, den vielleicht besten der Welt. Gekocht wird diese Art Mokka in der Dzezva und wird in kleinen Tassen, den ­Findzan, mit Zucker ohne Milch serviert.

Die Erben der ­osmanischen Köche
Man kann nicht über Bosnien sprechen, ohne einen Blick auf die osmanische Küche zu werfen. Wir müssen uns von der Idee freimachen, dass das hier verkaufte, türkisch angehauchte Fastfood mehr als nur ein bisschen mit echter türkischer Küche zu tun hat. Zeitaufwändi­ge Zubereitungen sind selbstverständlich, Schnellgerichte verpönt. Türken halten sich gerne in der Küche auf und überprüfen die Qualität der Gerichte durch immer neues Kosten. Die Entwicklung der türkischen Küche ist eng mit den Osmanen verknüpft. Die geografische Spannweite ihrer Küche reicht von Mittelasien bis zum westlichen Mittelmeer, vom Jemen bis fast nach Wien.

Die Küche eines Volkes ist ein ­Spiegel seiner Lebenskunst. Die Türken sind ohne Zweifel große Genussmenschen. Grundelemente und Geschmacksrichtungen der regionalen Spezialitäten werden nicht nur von Landschaft und ihren Erzeugnissen bestimmt, sondern auch von regionaler und nationaler Geschichte. Die Türken verdanken ihrer innerasi­atischen Vergangenheit Grundelemente der Küche. Das Wissen um Mehl, Fleisch, Milch und tierische Fetten wurde von den Stämmen, die nach Westen auswan­derten, mitgebracht.

Bei einer so reichen Küche kann man schwer von Nationalgerichten sprechen. Man denke zum Beispiel an Kebabs. Für diese Fleischspieße ist das Land berühmt. Kebab ist eine Sammelbezeichnung für eine unübersehbare Zahl verschiedener gegrillter, gerösteter, gebratener und ge­dünsteter Speisen. Jeder Ort ist stolz auf seine Art des Kebabs. Zu diesen Kebabs gehört Adana-Kebab, das nicht nur in der Türkei bekannt ist, sondern auch in Deutschland. Es besteht aus scharfem Hackfleischbrät, das am Spieß gebraten wird und je nach Wahl auch mit Fladenbrot und mit Joghurt gereicht wird. Adana ist wie auch andere Städte im Süden der Türkei bekannt für scharfe Speisen. Im Ganzen aber neigt die türkische Küche nicht zu Extremen, ­sondern bevorzugt schmackhafte und bekömmliche Gaumenfreuden.

Höfisches Kochen mit den Khalifen
Südöstlich der heutigen Türkei breite­te sich das frühere Khalifat der ‘Abbasiden aus. Es hatte seine Machtbasis im Irak, dem Iran, dem südlichen Zentral­asien und Westafghanistan. Kulturell und kulinarisch kamen in der Küche der Kha­li­fen verschiedene Einflüsse zusammen: Byzantinische, arabische, persische Traditionen und die Küche türkischer ­Steppenreiter.

Vor etwas weniger als einem Jahrtausend verfasste ein arabischer Autor das „Kitab Al-Tabikh“ (Buch der Rezepte) nannte. Dies war eine Rezept-Sammlung des Bagdader Khalifen-Hofs im 9. Jahrhundert. Es enthält Gerichte, die in Bagdad gegessen wurden, als es die reichste Stadt der Welt war. Hier findet sich eine persönliche Sammlung der Rezepte jedes Khalifen von Al-Mahdi bis Al-Mutawakkil) – das goldene Zeitalter mittelalter­lichen Kochens.

Das „Kitab At-Tabikh“ enthält kaum ein Gericht der modernen arabischen Welt. Es gibt darin weder Homus, noch Tabuli oder gefüllte Weinblätter. Viele Gericht haben mittelalterlich klingende Namen wie Bazmawurd, Kardanadsch oder Dikbarika. Es war eine von ­Persien beeinflusste Küche, aber sie ist nicht mit dem Essen des heutigen Iran ­vergleichbar. Das vorislamische Arabien hatte eine nahrhafte, aber monotone Ernährung, die sich um Datteln, Gerste und Milchprodukte drehte. Als die Muslime nach Persien kamen, fanden sie eine verfeiner­te Hofkultur vor.

Das Kernstück der Bagdader Küche des 9. Jahrhunderts waren komplexe Eintopf- und Schmorgerichte, die oft im Tandoor-Ofen gekocht wurden. Die Rezept des „Kitab At-Tabikh“ verlangen viele Gewürze, darunter auch solche, die heute nur noch selten benutzt werden. Überraschender ist der umfangreiche Ge­brauch der Kräuter – manchmal fünf oder mehr in einer Speise (wie Basilikum oder Minze).

In dem höfischen Kochbuch wird ge­bratenes Fleisch im Tandoor ­zubereitet. Es wurde nicht immer klein geschnitten, sondern es wurden auch große Stücke am Stück gebraten, wie Lamm in Ge­würz-Kruste. Gebratenes Fleisch war be­liebt, aber solche Speisen waren ­weniger beeindruckend als Geschmortes oder die Eintöpfe.

Ganz weit im Osten
Ignorieren wie Indien und China, die beide Bände füllen würden und ­wenden uns dem muslimisch-malaiischen Südos­t­asien zu. Seine Küche ist eine der vielsei­tigsten. In ihr treffen sich einheimische, aber auch indische, chinesische und andere Einflüsse. Es heißt, dass hier jeden Tag ein anderes Gericht essen könnte und dann noch immer nur einen kleinen Bruchteil kennt. Malaysia und das Nachbarland Indonesien unterscheiden sich kulinarisch wenig; es gibt kleinere Unterschiede bei Kräutern und Gewürzen.

Die malaiische und indische Küche ist recht scharf, Reis und Nudeln ihre Grundbestandteile. Reis wird in Varian­ten zubereitet, und Nudeln gibt es mit verschiedenen Rohstoffen. Frischer Fisch und Meeresfrüchte werden häufig be­nutzt, ebenso frisches Gemüse. Die häufigsten Fleischsorten sind Rind und Ge­flügel, insbesondere Huhn. Typische Bestandteile eines Gerichtes sind Reis, Ingwer, Chili, Kokosnuss, Kreuzkümmel, Koriander, Zwiebeln, Knoblauch, Tamarinde, Kurkuma, Zit­ronengras, Gemüse, Fisch und Meeresfrüchte. Typisch ist Reis mit drei oder vier unterschiedlichen Gerichten: etwa einem vegetarischen mit gebratenem Gemüse, Sambal Tumis (gebratene Chili-Paste mit vielen Zwiebeln und entweder Eiern, Garnelen oder Fleisch), gebratenem Fisch und Masak Lemak (Kokosnuss-Sauce). Die wichtigste Zutat ist Reis, der in sahniger Kokosnussmilch getränkt und an­schließend gedämpft wird.

Eine wichtige Zutat ist Sambal, die scharf-würzige Chili-Sauce. Sie wird aus mehreren Pfeffersorten und Chilis herge­stellt, wobei oft gebackene Garnelenpaste hinzugefügt wird. Sambal kann mit Tomaten, Zwiebeln, Zitronengras, süßen Früchten wie zum Beispiel Man­gos, oder Garnelen und Fisch (die mitge­kocht werden) verfeinert werden. Am be­kanntesten bei uns und auch in fertig zubereiteter Form erhältlich ist Sambal Oelek.

Zurück im Westen
Kopieren wir den großen Reisenden Ibn Battuta: Wir kehren dem Osten den Rücken und enden im Westen. Hier, in seinem fernsten Teil, begegnet uns Ma­rokko. Seine Küche zählt gemeinsam mit der osmanischen zur ausgeglichensten, die die muslimische Welt zu bieten hat.

An der Kreuzung zwischen spätrömischer Welt des Mittelmeeres (mit den Traditionen des Olivenöls, des Weizens und des frischen Gemüses), triumphierenden Arabern, einheimischen Berbern, Andalusiern und Juden aus Spanien und dem afrikanischen Kontinent entwickelte sich eine eigenständige Küche, der es an nichts fehlt. Wer authentisches marokkanisches Essen bekommt, sehnt sich eigentlich nach keinen anderen Genüssen.

Die großen Klassiker der marokkanischen Küche wie B’stila, Couscous, Tagine, unglaublich viele Ge­müsegerichte und viele Süßspeisen sind heute überall Bestandteil der Küche des Maghrebs. Sie variieren aber stark So würde sich eine Hausfrau in Marrakesch heftig wehren, es Köchen am Meer nachzumachen, und Fisch in ihr Couscous tun. Marrakesch mit seinen Tangias (die den großen Ofen einer Bäckerei oder eines Hamams brauchen, wo sie stundenlang gegart werden) und ihren würzigen Tangines unterschei­det sich von Fes.

Marokko zeigt anhand seiner Kü­che, wie die berühmt-berüchtigte ­Integration gelingen kann: Hier kommen verschiedene Zutaten, unter der Aufsicht des Kochs zusammen, ohne ihre Eigenschaften zu verlieren und ohne die Harmonie des Ganzen zu stören.