Kurz vor der Eskalation

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Washington (dpa/iz). Nach dem mutmaßlichen Angriff auf zwei Öltanker im Golf von Oman wächst weltweit die Sorge vor einer Eskalation im Konflikt zwischen den USA und dem Iran. US-Außenminister Mike Pompeo beschuldigte am Donnerstag Teheran, hinter den Attacken zu stecken. „Es ist die Einschätzung der US-Regierung, dass die Islamische Republik Iran verantwortlich für die Angriffe ist, zu denen es heute im Golf von Oman kam“, sagte Pompeo in Washington. Es handele sich um eine „nicht hinnehmbare Eskalation der Spannung durch den Iran“.
Der Iran wies die „haltlose Behauptung“ der USA kategorisch zurück. In einer Mitteilung der Vertretung Irans bei den Vereinten Nationen hieß es: „Der ökonomische Krieg und Terrorismus der USA gegen das iranische Volk sowie ihre massive Militärpräsenz in der Region sind weiterhin die Hauptursachen für Unsicherheit und Instabilität in der weiteren Persischen Golfregion.“ Das iranische Außenministerium zeigte sich besorgt über die Angriffe und sprach von „dubiosen“ Zwischenfällen. Besonders der Zeitpunkt sei sehr verdächtig, sagte Außenamtssprecher Abbas Mussawi.
Zur gleichen Zeit am Donnerstagvormittag habe nämlich in Teheran ein Treffen zwischen Irans Führer Ajatollah Ali Chamenei und Japans Ministerpräsidenten Shinzo Abe stattgefunden. Dabei ging es um eine Deeskalation der Krisen am Persischen Golf.
„Solche Zwischenfälle stehen sicherlich im Kontrast mit regionalen und überregionalen Bemühungen, die Spannungen in der Region zu reduzieren“, schrieb der Sprecher am Abend auf Twitter. Der Iran unterstütze jedoch weiter eine regionale Zusammenarbeit, um den Frieden zu sichern.
Teheran hat in jüngster Vergangenheit mehrmals vor „Verschwörungen und Abenteurertum ausländischer Elemente“ gewarnt, um unter solchen Vorwänden einen Militärkonflikt im Persischen Golf zu provozieren. Mit ausländischen Elementen sind die beiden Erzfeinde USA und Israel gemeint.
Der Iran forderte: „Die USA und ihre regionalen Verbündeten müssen die Kriegshetze stoppen und die schädlichen Verschwörungen sowie die Operationen unter falscher Flagge in der Region beenden.“ Damit schien der Iran andeuten zu wollen, dass die USA und ihre Alliierten selber für die Angriffe verantwortlich sein könnten. Mit „Operationen unter falscher Flagge“ sind Angriffe gemeint, die einem Gegner in die Schuhe geschoben werden sollen, um damit etwa einen Anlass für einen militärischen Konflikt zu schaffen.
Das US-Militär veröffentlichte ein Video, das die iranischen Revolutionsgarden belasten soll. Das US-Zentralkommando Centcom, das die amerikanischen Truppen im Nahen Osten führt, teilte am Donnerstag (Ortszeit) mit, das Video zeige, wie ein Boot der Revolutionsgarden auf den Tanker „Kokuka Courageous“ zufahre. Die Menschen an Bord des iranischen Schnellbootes vom Typ „Gaschti“ seien dabei „beobachtet und aufgenommen“ worden, wie sie eine nicht explodierte Haftmine wieder vom Schiffskörper entfernten.
Auf dem Video ist zu erkennen, wie sich Menschen an Bord eines Schnellbootes an der Wand eines Öltankers zu schaffen machen und von dort etwas zu entfernen scheinen. Das Boot fährt danach wieder weg von dem Tanker. Centcom sprach von einem „Haftminenangriff“ im Golf von Oman.
Pompeo sagte zuvor, die US-Einschätzung basiere unter anderem auf Geheimdienstinformationen, auf den eingesetzten Waffen und auf ähnlichen Angriffen in jüngster Vergangenheit. Betroffen waren am Donnerstag ein von einem deutschen Unternehmen gemanagter Frachter, der einer japanischen Firma gehört, sowie ein Schiff einer norwegischen Reederei. Beide Tanker wurden beschädigt, die Besatzungen wurden in Sicherheit gebracht.
Die betroffene Meerenge, die Straße von Hormus, ist eine der wichtigsten Seestraßen überhaupt, sie verbindet die ölreiche Golfregion mit dem offenen Meer. Über sie läuft ein großer Teil des weltweiten Öltransports per Schiff. Die Rohölpreise stiegen deutlich.
Pompeo sagte, dem Iran gehe es darum, die Aufhebung der US-Sanktionen zu erzwingen. Seine Regierung setzte aber weiter auf wirtschaftliche und diplomatische Bemühungen, „um den Iran zur richtigen Zeit zurück an den Verhandlungstisch zu bringen“. Die Vereinigten Staaten würden aber zugleich ihre Truppen und ihre Interessen schützen und ihren Verbündeten zur Seite stehen.
Nach einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats bekräftigte der stellvertretende amerikanische UN-Botschafter Jonathan Cohen die Haltung der USA, dass Teheran verantwortlich sei. „Keine Gruppe in der Region verfügt über die Ressourcen oder die Fähigkeiten, um mit dieser Genauigkeit zu agieren. Der Iran jedoch hat die Waffen, die Expertise und das Wissen der Geheimdienste, um das zu machen.“
Der kuwaitische UN-Botschafter Mansur al-Otaibi sagte nach dem Treffen des Gremiums, Beweise für die Anschuldigungen der USA seien nicht diskutiert worden. Auch habe der Sicherheitsrat zunächst keine Maßnahmen angesichts der steigenden Spannungen beschlossen. Es müsse seiner Meinung nach eine unabhängige und gründliche Untersuchung geben. Kuwait steht dem Sicherheitsrat momentan vor.
Auch Saudi-Arabien verurteilte die Angriffe. Das Königreich verfolge die Nachrichten über die „Terroroperationen“ mit großer Sorge, sagte der saudische Energieminister Chalid al-Falih, wie die staatliche Nachrichtenagentur SPA am Donnerstagabend meldete. Das Land werde die nötigen Maßnahmen ergreifen, um seine Häfen zu schützen. Das Energieministerium in Riad und der saudische Ölriese Aramco hätten ihre Bereitschaft erhöht, um solchen feindlichen Akten zu begegnen.
Erst vor vier Wochen hatten die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) Sabotageakte gegen vier Handelsschiffe in derselben Region gemeldet. Nach saudischen Angaben wurden damals zwei Tanker des Landes schwer beschädigt. Die genauen Umstände blieben jedoch unklar. US-Sicherheitsberater John Bolton sprach später von Angriffen mit Seeminen, für die „fast sicher“ der Iran verantwortlich sei. Trotz der öffentlichen Anschuldigungen legten die Vereinigten Staaten dem UN-Sicherheitsrat  offensichtlich keine Belege für die Verantwortung des Irans für die Angriffe vor. „Wir haben keinerlei Beweise diskutiert“, so UN-Botschafter al-Otaibi nach einem Treffen des Gremiums am Donnerstag. Auch habe der Sicherheitsrat zunächst keine Maßnahmen angesichts der steigenden Spannungen beschlossen. Es müsse seiner Ansicht nach eine unabhängige und gründliche Untersuchung geben. Die Regierung in Teheran wies den Vorwurf der USA zurück und sprach von „lächerlichen Behauptungen“.
Die Spannungen zwischen den USA und dem Iran nehmen seit Monaten zu. Das US-Militär verlegte zuletzt unter anderem einen Flugzeugträgerverband und eine Bomberstaffel in die Region, was Sorgen vor einem militärischen Konflikt aufkommen ließ. Am Donnerstag wurde der Zerstörer „USS Mason“ in das Gebiet in Marsch gesetzt, in dem sich der mutmaßliche Angriff auf die beiden Tanker ereignet hatte. Auch die „USS Bainbridge“ war vor Ort, wie Centcom mitteilte.
Sowohl US-Präsident Donald Trump als auch der oberste Führer der Islamischen Republik, Ajatollah Ali Chamenei, erteilten Verhandlungen aber eine Absage. Trump schrieb auf Twitter, er wisse Abes Bemühungen zu schätzen. Er denke aber, „dass es zu früh ist, auch nur darüber nachzudenken, einen Deal zu machen“. Mit Blick auf die Iraner fügte Trump hinzu: „Sie sind nicht bereit, und wir sind es auch nicht.“
Chamenei schloss Verhandlungen mit den USA im Atomstreit kategorisch aus. „Der Iran vertraut den USA nicht“, sagte er bei einem Treffen mit Abe in Teheran. „Wir haben mit den Amerikanern bereits die bittere Erfahrung beim Atomabkommen gemacht und wollen diese Erfahrung nicht wiederholen.“ Trump hatte das Atomabkommen mit dem Iran im vergangenen Jahr einseitig aufgekündigt. Danach traten wieder harte US-Wirtschaftssanktionen gegen den Iran in Kraft.
Bundesaußenminister Heiko Maas bezeichnete die Angriffe auf die beiden Tanker  als „außerordentlich beunruhigend“. „Die Vorfälle sind das Gegenteil von dem, was wir in der jetzigen ohnehin schon angespannten Lage in der Region gebrauchen können“, sagte er am Donnerstag in Berlin. „Das sind Ereignisse, die zur Eskalation führen können.“ Angriffe auf Handelsschiffe stellten nicht nur eine Bedrohung für offene Handelswege dar. „In der aktuellen Situation sind sie auch eine Bedrohung für den Frieden.“ Maas war erst am Montag von einer viertägigen Reise durch die Krisenregion im Nahen und Mittleren Osten zurückgekehrt, bei der er den Iran, den Irak, die Vereinigten Arabischen Emirate und Jordanien besucht hatte.
Bereits seit Wochen wachsen in der Region die Spannungen zwischen dem sunnitischen Saudi-Arabien und seinen Verbündeten einerseits sowie dem schiitischen Iran andererseits. Das mit der Trump-Regierung eng verbündete Königshaus in Riad wirft der Führung in Teheran vor, sich in die inneren Angelegenheiten arabischer Staaten einzumischen und die Region zu destabilisieren.