Leben wie in einem Abenteuerroman

Ausgabe 269

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(KNA). Weltenbummler und ständig auf der Flucht; ein sprachenbegabter Vielschreiber, aber äußert wortkarg in Bezug auf die eigene Person; Arzt und Abenteurer, Forscher und Faktotum. All das und noch viel mehr war Emin Pascha.
Imposanter Schnäuzer, ein durchdringender Blick hinter Brillengläsern und ein Fez aus rotem Filz auf dem Kopf. Kenner lässt schon der Anblick von Emin Pascha an eine Figur aus den Romanen von Karl May denken. Und ähnlich wie Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah verfügte Emin, geboren als Eduard Schnitzer am 28. oder 29. März 1840 im heute polnischen Opole (Oppeln), über ein verwirrendes Arsenal an Namen. Und ähnlich wie der Vertraute von Karl Mays Ich-Erzähler Kara Ben Nemsi verbrachte Emin Pascha sein Abenteuerleben in exo­tischen Gefilden – mit einem allerdings grausamen Ende. Vor 125 Jahren, mutmaßlich am 23. Oktober 1892, wurde der Deutsche mit dem türkischen Namen auf Geheiß des arabischen Sklavenhändlers Kibonge ­regelrecht hingerichtet.
Die Mörder legten ihr Opfer auf den ­Rücken, schildert die britische Autorin Patricia Clough Emins Ende in der kongolesischen Ortschaft Kinena. „Ein Mann hielt jeweils ein Bein beziehungsweise einen Arm, Ismaili packte den Kopf und Mamba schlitzte dem Pascha die Kehle durch.“ Erst ­Monate später erfuhr die europäische Öffentlichkeit vom Schicksal jenes Mannes, der für internationale Schlagzeilen gesorgt und skrupellose Haudegen wie den Briten Henry Morton Stanley zu „Rettungsex­peditionen“ animiert hatte.
Der kleine, stets gepflegt auftretende Emin Pascha wurde zum Spielball der großen, schmutzigen Politik auf dem dunklen Kontinent – in dem Augenblick, als die Europäer in Afrika anfingen, um Kolonien zu wetteifern und aus Glücksrittern, Abenteurern und Forschern gewissenlose Handlanger der Mächtigen wurden. Seine wohl besten Jahre verbrachte Emin Pascha ab 1876 in der zu Ägypten gehörenden Provinz Äquatoria, die einen großen Teil des heutigen Südsudan ausmachte – zunächst als Arzt, dann als Gouverneur.
In „Ägyptisch-Sibirien“ hatte Emin bis 1883 weitgehend freie Hand, machte den Verwaltungssitz Lado laut Patricia Clough zu einem „ansehnlichen Städtchen“, vor dessen Palisaden Zitronenhaine und Plantagen die Bewohner mit Lebensmitteln versorgten. Seine Idee, die Provinz durch Landwirtschaft autark zu machen, erinnert an die Entwicklungshilfe unserer Tage. Und der Vorschlag, im Kampf gegen den Sklavenhandel auf ­Arbeiter aus China zu setzen, ist – freilich unter völlig anderen Vorzeichen – im Afrika von heute Realität geworden.
Ob Emin aus seiner Provinz tatsächlich ein „Muster an Ordnung und Rechtschaffenheit“ machen wollte, muss nach Ansicht von Biograph Christian Kirchen dahingestellt bleiben. „Zumindest aber wollte er für einen gewissen Wohlstand der Bevölkerung sorgen und vor allem friedliche Lebensverhältnisse schaffen.“
Für ein paar Jahre schien Emin angekommen zu sein, nach diversen Namenswechseln von Theodor Schnitzer über Hayrulla ­Hakim und Emin Efendi; nach zwei Konversionen vom Judentum zum Christentum und später offenbar zum Islam; nach seiner ersten Flucht vor den Zwängen des Medizinstudiums auf den damals türkisch beherrschten Balkan; und seiner zweiten Flucht aus den Fängen von „Madame Hakki“, der Witwe eines früheren Dienstherren, Richtung Sudan.
Über derartige Dinge schwieg der emsige Tagebuch- und Briefeschreiber freilich. Stattdessen lernte er fremde Sprachen in Windeseile, vermaß und notierte alles, was ihm unter die Augen kam. Seine Aufzeichnungen umfassen Geographie und Sprachwissenschaften, Medizin und Botanik. „Seine Diener schossen und präparierten Vögel“, erinnerte sich eine Augenzeugin. Die ausgestopften Exemplare verschickte er nicht selten nach Europa. Der Emin-Sperling und der Schwarznabelturako – Tauraco emini – tragen seinen Namen.
Doch das abgelegene Äquatoria wandelte sich bald in einen Schauplatz für Kriege und Konflikte. Ab 1881 weitete sich der „Mahdi-Aufstand“ aus. Die religiöse Bewegung richtete sich gegen die nominell zum Osmanischen Reich gehörende Zentralregierung in Ägypten und die sie unterstützenden Europäer. Im Kampf gegen die Mahdisten erlitten die britisch angeführten Truppen 1883 bei Obeid eine krachende Niederlage. Die Kämpfe trieben Emin ­Pascha in die Defensive, schnitten ihn einerseits von der Außenwelt ab – lenkten andererseits aber den Blick der europäischen Öffentlichkeit auf die Region.
Mehrere „Rettungsexpeditionen“ machten sich auf den Weg. Eine führte Henry Morton Stanley an. Er hatte 1871 schon den verschollen geglaubten David Livingstone aufgespürt – und wollte den Coup nun bei Emin Pascha wiederholen. Eine andere Expedition machte sich unter dem Kommando von Carl Peters auf den Weg. Der träumte von einem „Deutsch-Indien“ in Afrika; Stanley sollte dagegen für Belgiens König Leopold II. dessen Territorium im Kongo arrondieren.
Tatsächlich traf Stanley auf Pascha. Beide gelangten im Dezember 1889 nach Bagamoyo, eine Keimzelle der wenige Jahre zuvor von Peters und Konsorten etablierten Kolonie Deutsch-Ostafrika. Kaiser Wilhelm II. schmeichelte dem Rückkehrer mit dem Kronenorden II. Klasse.
Das letzte Kapitel im Leben Emin Paschas brach an – diesmal in deutschen Diensten. Missverständnisse mit den Vorgesetzten, aber vor allem eine fatale Fehlentscheidung führten den mitunter mitleidlos und hochfahrend agierenden Veteranen ins Verderben. Mehrere unterwegs gefangen genommene arabische Sklavenhändler überließ er der Selbstjustiz durch ihre Bewacher. Dafür, so vermutet Historiker Kirchen, könnten sich Kibonge und seine Handlanger gerächt haben.
Sicher sagen lässt sich das nicht.
Theodor Schnitzer alias Emin Pascha bleibt in mehr als einer Hinsicht ein Rätsel. Und eine Steilvorlage für jeden Abenteuerroman. In Karl Mays „Die Sklavenkarawane“ fällt sein Name übrigens tatsächlich.