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Maurische Fassade und Kuppeln

Ausgabe 300

Foto: Unbekannte Quelle, via Wikimedia | Lizenz: gemeinfrei

(iz). Sie verfügen über goldene Kuppeln, prächtige Minarette und reich verzierte Innenräume. Nur betende Muslime trifft man in einigen der schönsten Moscheen Deutschlands nie an. Fabian Goldmann stellt ­Moscheen vor, die keine sind.

Wer sich im Wiesbaden des beginnenden 20. Jahrhunderts mit seinen Yuppi-Freunden möglichst stilvoll zum Kaffee treffen wollte, landete unweigerlich in einer Moschee. Zumindest konnte man das „Cafés Orient Unter den Eichen“ leicht mit einer verwechseln. Draußen: Maurische Fassade und Kuppeltürmchen – drinnen: orientalische Verschwendung.

Alfred Georgi, seines Zeichens pensionierter Hofkoch von Kaiser Wilhelm II., hatte das Kaffeehaus im Orientlook im Jahr 1899 auf einer Anhöhe am nördlichen Stadtrand errichten lassen und sich damit einen Lebenstraum erfüllt. Nach möglichen Inspirationen für den gewünschten und damals beliebten „maurischen“ Stil musste Architekt Carl ­Dormann nicht lange suchen. Nur dreißig Jahre zuvor war wenige hundert ­Meter entfernt am Wiesbadener Michelsberg bereits eine Synagoge in islamischer Optik entstanden. Die Bauherren des in der Reichsprogromnacht vom 10. November 1938 zerstörten Sakralbaus hatten sich unter anderem von der Architektur der Freitagsmoschee im indischen Delhi inspirieren lassen.

Alfred Georgi setzte mit seinem Café noch einen drauf: Drei moscheeartige und vergoldete Kuppeltürme zierten das Café. Deren streifenartige Außenfassade war offenbar der Alhambra im  spanischen Córdoba nachempfunden. Den Innenraum schmückten teure Teppiche. Für die Bauarbeiten wurden eigens marokkanische Arbeiter engagiert. Nach seiner Einweihung am 20. März 1900 entwickelte sich das Café schnell zu einem beliebten Ausflugsziel der feinen Gesellschaft, doch schon anderthalb Jahre nach der Eröffnung musste Georgi das Café wieder schließen. Der Grund: Georgi hatte zwar viel Ahnung von Gastronomie, aber wenig von Betriebswirtschaft und konnte die 180.000 Mark Hypothekenschulden nicht aufbringen.

Der Hotelier Georges Richefort übernahm das Gebäude. Unter ihm entwickelte sich das Café Orient in den Goldenen Zwanzigern zum angesagtesten Treff der Stadt. Ein Grund für den Aufstieg: Nachdem Wiesbaden infolge des Ersten Weltkrieges von französischen Truppen besetzt wurde, fanden auch zahlreiche französische Offiziere Gefallen am einmaligen Ambiente. Das Geschäft lief so gut, dass Richefort plante, das Café um einen Tanzsaal für bis zu 1000 Personen zu erweitern. Der Plan scheiterte allerdings an der fehlenden Genehmigung der zuständigen Behörden.

Gegenüber höheren Mächten war allerdings auch Richefort machtlos: Im Zuge der Weltwirtschaftskrise musste der Hotelfachmann 1929 Insolvenz anmelden und das Café schließen. Der Niedergang des Gebäudes begann. Zeitweise übernahmen noch ein Kostümverleih, ein Schädlingsbekämpfer und eine Ballettschule einige der Räumlichkeiten. Den Zweiten Weltkrieg überlebte das ­Gebäude zwar, nicht aber den Bauboom der 60er. 1964 wurde das Café Orient abgerissen, um Platz für ein Achtgeschosser zu machen. An dieser Stelle könnte die Geschichte des Wiesbadener Café im Moschee-Look enden, wäre da nicht Bernd Richefort. Dem Enkel des ehemaligen Eigentümers ist es zu verdanken, dass das Café Orient heute nicht völlig vergessen ist. Im Jahr 2001 fand Richefort im Nachlass seiner Mutter einen Schuhkarton voller Erinnerungsstücke an das Café: Historische Fotografien, seltene Luftbilder, Innenaufnahmen und Baupläne weckten sein Interesse für das Gebäude. Seitdem engagiert sich Richefort, der hauptberuflich in Wiesbaden einen Gebäudereinigungsdienst betreibt, dem Andenken des Cafés.

Bestecke, Stühle, Tablette, Teegläser, Fotos, Postkarten, Zeitungsberichte: Richefort sammelt alles, was vom einstigen Szenetreff noch übrig ist. Immer wieder werden Wiesbadener in Dachböden, Sperrmüllhaufen oder Fotosammlungen fündig und versorgen Richefort mit ­Erinnerungen und Reliquien jener Zeit. Zu seiner Sammlung gehören mittlerweile Teile eines Silberbestecks, das Kaiserin Auguste Viktoria seinem Großvater vermacht haben soll. Auch die 2,50 Meter hohen Turmspitzen fanden den Weg in den Besitz Richeforts, der als Kind noch selbst in dem Kaffeehaus spielte. Zu sehen sind Teile seiner Sammlung heute in ­einem Schaukasten in der Wiesbadener Innenstadt.

Für den bisherigen Höhepunkt seines Engagements ist dieser allerdings zu klein. Für 15.000 Euro ließ er eine Thüringer Firma das Café Orient vor einigen Jahren neu errichten. Dessen neuer Standort: eine 1,20 Meter mal 1,20 Meter große Holzplatte. Ausgestellt werden soll Richeforts Neubau des Cafés im Moschee-Look zukünftig im Wiesbadener Stadtmuseum. Wenn auch nur im Maßstab 1:25.