Medien: Studie über Chefredakteure: Islam kritisch bewertet – „kulturelle Renaissance des Christentums“

Ausgabe 204

(exc). Führende deutsche Journalisten halten Ideologiekritik an den christlichen Kirchen laut einer Studie mehrheitlich für überholt. „Die meisten Meinungsmacher sehen eine kulturelle Renaissance der christlichen Religion – in Abgrenzung zum Islam“, heißt es in der Untersuchung „Religion bei Meinungsmachern“ von Wissenschaftlern des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Uni Münster. Die befragten Chefredakteure und Kom­mentatoren betrachten das Christentum, unabhängig von ihrer eigenen Religiosität, als legitime Kraft zur Siche­rung der öffentlichen Moral und der ge­sellschaftlichen Integration. ­“Negative Bewertungen von Religion gelten dage­gen der ‘Fremdreligion’ des Islams, der oft mit Gewalt in Verbindung gebracht wird.“ Alle Befragten sehen eine beträchtliche Zunahme der öffentlichen Sichtbarkeit von Religion.

Bis Ende der 1990er Jahre sei unter Journalisten und Intellektuellen eine ideologische Abwertung des Christentums „als Hemmschuh der Moderne oder als Aberglauben“ verbreitet gewesen, schreiben die Autoren der Studie, die Soziologin Christel Gärtner und die Theologen und Sozialethiker Karl Gabriel und Hans-Richard Reuter. „Die Kirchen wurden als gesellschaftliche Randerscheinung betrachtet. Diese Haltung ist unter Meinungsmachern nicht mehr zu finden.“

Durch die Globalisierung, die wachsende Vielfalt der Religionen und einen radikalisierten Islam sei viel Verunsicherung entstanden, so die Wissenschaftler, auf deren Buch auch die aktuelle Ausgabe der ZEIT-Beilage „Christ und Welt“ hinweist. „Aus Sicht der Journalisten können die Kirchen Orientierung geben, indem sie helfen, die ­eigene religiös-kulturelle Identität zu stärken“. Ihre individuelle Religiosität, Weltdeu­tung und ihr moralisches Handeln defi­nieren die befragten Journalisten jedoch meist in Spannung zu den institutionel­len Vorgaben des kirchlich verfassten Christentums.

Religion und Gewalt
Die Autoren haben für die ­qualitative Studie, die im VS-Verlag in Wiesbaden erschien, Interviews mit 18 Chefredak­teuren und Ressortleitern von überregionalen Printmedien sowie TV und Radio geführt. Sie befragten sie detailliert über den Nachrichtenwert von Religion, über Gründe für die Zunahme der Berichterstattung sowie über die eigenen religiösen und normativen Orien­tierungsmuster. Insbesondere die Bedeutung von Religion für das ­berufliche Handeln von Journalisten wurde bislang kaum untersucht. Die Daten wurden 2007 erhoben, als die medial breit vermittelte Papstwahl noch stark im Bewusstsein war, und vor Beginn des Missbrauchsskandals in der Kirche. „An den gesellschaftlichen und religionspolitischen Umständen hat sich aber wenig geändert.“

Die befragten Journalisten sehen das Thema Religion auch im Zusammenhang mit religiös motivierter Gewalt und politischen Konflikten, wie die Befragung ergab. Daraus leiten sie einen hohen Nachrichtenwert für die Berich­terstattung ab. Als Zäsur betrachten die Medienmacher die Attentate des 11. Septembers 2001. „Wenn Religion unter führenden Journalisten negativ bewertet wird, betrifft das also vornehmlich den Islam“, schreiben die Autoren. Viel mediale Aufmerksamkeit erlange Religion auch durch Veränderungen im Mediensystem: „Die Chefredakteure stellen beim Publikum ein stetig wachsendes Bedürfnis nach schönen Bildern und großen Events fest. Papst ­Johannes Paul II. hat dieses Potenzial von Religio­nen für mediale Inszenierungen besonders aufgezeigt.“

Die Chefredakteure messen der Reli­gion im Mediengeschehen keine Sonderstellung bei, wie aus den Interviews hervorgeht. Vielmehr folge die Bericht­erstattung üblichen journalistischen Auswahlkriterien wie Neuigkeit, Nähe, Konflikt und Tragweite. Letzteres Krite­rium führt der Studie zufolge dazu, dass Medien vor allem über Religion als Massenphänomen in kirchlichen Kontexten berichten, „weil Millionen von Menschen den Kirchen angehören und kirchliche Feste ihren Jahreskreis strukturie­ren“. Der in den 1980er Jahren ­üblichen Berichterstattung über eine frei flottierende, nicht-institutionalisierte Religiosität, etwa über Esoterik, messen die befragten Journalisten kaum Bedeutung zu.

Die persönliche Religiosität der Befragten ähnelt den Mustern, die die Journalisten für die Berichterstattung formulieren: Die neue religiöse Vielfalt mit einem großen muslimischen Bevölkerungsanteil motiviert sie, die Wurzeln der eigenen Kultur im Christentum zu suchen und sich der eigenen ­kulturellen Identität zu vergewissern. „Diese ­sehen die Meinungsmacher in einer geglückten Verbindung aus Christentum, Humanismus und Aufklärung“, schreiben die Autoren. „Für eine solche Verbindung machen sie im Islam im Unterschied zum Christentum prinzipielle Hindernisse aus.“

Hinweis: Christel Gärtner, Karl Gabriel, Hans-Richard Reuter: Religion bei Meinungsmachern. Eine Untersuchung bei Elite-Journalisten in Deutschland, Wiesbaden: Springer VS, 2012. ISBN 978-3-531-18443-2, 300 Seiten, 39,95 Euro.