Meinung: Al Jazeera hat den Nahen Osten einschneidend verändert. Von Hareth Hassan

Ausgabe 200

Erinnert sich noch jemand an die Politik Katars vor der Grün­dung von Al Jazeera 1996? Wäre heute noch jemand in der Lage, die Rolle des Golfemirats zu ignorieren, wie es früher der Fall gewesen sein mag? Dank der Hilfe von Al Jazeera ­spielte Katar eine wichtige Rolle beim Sturz von Diktatoren. Wäre der Sender nicht in der Lage gewesen, sein Kameras im Zentrum der Proteste aufzubauen und durch seine Kanäle dafür Unterstützung zu Samen. Ohne hätte kein internationaler Konsens geschaffen und Druck auf die Weltmächte aufgebaut werden können, was Mubarak zu seinem Rücktritt veranlasste.

Aber das ist nicht alles: Der Sender bereitete den Boden für den Konflikt in Libyen, indem er die Vorstellung bei vielen beförderte, dass die Bevölkerung nicht der Gnade ihres verrückten Diktators ausgesetzt bleiben dürfe. ­Während Al Jazeera lange Zeit als kritisch gegenüber der Besatzung des Iraks galt, fungierte es hier als eine Plattform zur Rechtfertigung der ausländischen Inter­vention in Libyen.

Dies soll jedoch nicht heißen, dass die Gründung von Al Jazeera Teil eines langfristigen Plans ist, wie manche glauben. Diese Angelegenheit hat viel ­damit zu tun, dass sich Saudi-Arabien gegen den unblutigen Staatsstreich 1995 wandte, bei dem der damalige Herrscher gestürzt wurde. Riad fürchtete damals, dass der Coup ein Vorbild für ­tausende der jungen saudischen Prinzen hätte sein können.

Die Einzigartigkeit von Al Jazeera – und in Erweiterung auch Katars – machte den Sender so einflussreich. Die Poli­tik von Doha folgte in den Fußstapfen von Al Jazeera. Seit dem Krieg gegen Libyen veränderte sich die Rolle: Al Jazeera folgt immer mehr den politischen Vorgaben Katars, wodurch es seine Einzigartigkeit verliert. Katar ist in jeder Ecke der arabischen Welt präsent. Im Sudan agierte es als Vermittler im Darfurkonflikt und gründete jüngst die Darfur Bank mit einem Betriebsvermögen von einer Milliarde US-Dollars. Katars Rolle bei der Gestal­tung des neuen Nahen Ostens stellt eine Herausforderung für die klassischen geopolitischen Theorien und traditionellen Deutungsversuche der internatio­nalen Politik dar. Seine geringe Größe und die kleine Einwohnerzahl widersprechen dem konventionellen Politikverständnis. Dies bedeutet, dass die gegenwärtige politische Theorie entweder fehlerhaft oder überholt ist.

In der heutigen Welt sind die Zutaten greifbarer Macht wie Bevölkerung, Größe oder militärischer Macht eines Landes weniger wichtig als früher. Dies liegt an den Veränderung der ökonomi­schen Welt. Sowohl die Ära der Landwirtschaft als auch das ­Industriezeitalter sind vorüber.

Im Informationszeitalter engagieren sich die Staaten in virtuellen ­Aktivitäten, die nicht durch Geografie beschränkt werden. In diesem Sinne kann man Katar als virtuelle Macht beschreiben, deren Handlungsmacht die Möglichkeiten einer physischen Macht bei Weitem überschreitet. (Al Akbar)