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Merkel, die Flüchtlinge und das postfaktische Jahr 2016

Foto: EU2016 SK | Lizenz: CC0 1.0 Public Domain

(iz). Fast jeder Jahresrückblick begann mit der Silvesternacht 2015/16. Ziemlich früh im Zeitverlauf. Höchstwahrscheinlich hätte der Berliner Anschlag das Ende aller Jahresrückblicke markiert, sofern sie nicht bereits zuvor ausgestrahlt worden wären. Aber wer hat schon solch eine Todesfahrt vorhergesehen? Insgeheim wusste zwar jeder, dass wir in Deutschland nicht auf Dauer von Terrorakten dieser Art verschont bleiben würden, aber nahezu niemand kannte Zeit und Ort.
Die Silvesternacht in Köln und der Berliner Anschlag werden das kollektive Bewusstsein der deutschen Bevölkerung nachhaltig prägen. So viel ist sicher. Fürs erste lobte die Bundeskanzlerin die Besonnenheit, welche die Bevölkerung nach dem Anschlag an den Tag legte. Damit meint Sie wohl kaum die Mehrheit der AfD-Anhänger sowie Teile der CSU.
Für die Gegner ihrer Flüchtlingspolitik wird Angela Merkel beinahe persönlich für die Silvesternacht, sowie dem Berliner Anschlag verantwortlich gemacht. Kein anderer Name wird so eng mit den Flüchtlingen verknüpft wie ihrer. Sie gilt als die Flüchtlingskanzlerin. Die gefühlt persönliche Haftung an die ihr politischer Werdegang gekoppelt ist, resultiert aus einer Entscheidung und einer Aussage aus dem letzten Jahr, welche bis heute hineinwirken. Es ist die Rede von „Wir schaffen das“ und der Grenzöffnung vom 5. September 2015.
Etwa ein Jahr später, unmittelbar nach der Pleite der Berliner CDU bei den Landtagswahlen, trat die Bundeskanzlerin selbstkritisch vor die Presse. Sie wünschte sich die Zeit zurückdrehen zu können, um besser vorbereitet auf die Herausforderungen der Flüchtlingsbewegung zu reagieren. Außerdem sagte Sie mit Nachdruck, dass sich solch ein Jahr nicht wiederholen dürfte.
Diese Stellungnahme interpretierten politische Beobachter als Schuldeingeständnis, wobei Merkel selbst, mit keiner Silbe von Fehlern gesprochen hat. Es diente wahrscheinlich eher dem Ziel, dem Unionszwist einem Ende zu bereiten. In diesem Jahr hat sich diese Hoffnung nicht erfüllt.
Eine andere hingegen schon. Die Anzahl der Asylsuchenden ist deutlich gesunken. Bis September 2016 passierten etwa 210.000 Flüchtlinge die deutsche Grenze. Hochgerechnet bis zum Jahresende entspricht dies etwa einem Viertel des Schutzsuchenden aus dem Vorjahr. Gefühlt waren es wohl wesentlich mehr.
Die Bekämpfung der viel zitierten Fluchtursachen liegt jedoch nach wie vor in weiter Ferne. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass wir auch in den nächsten Jahren mit den Konsequenzen der weltweiten Krisen und Kriege, in Gestalt der Flüchtlinge, konfrontiert werden.
Für Parteienforscher und Politikwissenschaftler, ergeben sich aus den aktuellen Entwicklungen höchst interessante Fragen mit Blick auf die Bundestagswahl im nächsten Jahr. Werden sich CSU und CDU zusammenraufen? Welche Themen werden den Wahlkampf dominieren? Wer wird der nächste Kanzlerkandidat der SPD? Wie stark wird die AfD? Welche Koalitionen ergeben sich? Und, und, und…
Die Antworten auf diese Fragen müssen heutzutage mehr denn je, einer möglichst breiten Öffentlichkeit vorgestellt werden. Gerade jetzt, im sogenannten postfaktischen Zeitalter sollten sich gerade Sozialwissenschaftler nicht in die Elfenbeintürme zurückziehen, sondern ihre Erkenntnisse über unterschiedliche Kanäle, in einer verständlichen Sprache teilen. Schließlich wurde postfaktisch zum Wort des Jahres gewählt. Auch das darf sich nicht wiederholen.