Mit "Generation Kunduz" hat Martin Gerner eine wichtige Dokumentation über den fragilen Alltag in Afghanistan gedreht

Ausgabe 202

Dokumentarfilme sind ein anspruchsvolleres Format als das der üblichen Spiel- und Fernsehfilme. Wie sich ihre Macher dem Objekt ihrer Arbeit nähern, prägen sie die Art und Weise, wie wir das entsprechende Thema wahrnehmen. Auch ist unser audiovisueller Geschmack vorbelastet. Was wir zu aktuellen Fragen im Fernsehen sehen, bestimmt, wie wir es verstehen und aufnehmen.

Handelt es sich hierbei um Themenkom­plexe wie dem Afghanistankrieg, sind wir belastet durch das Genre der Kriegsberichterstattung, der „eingebetteten“ Kameracrews und des sterilen Blicks, der die Menschen – hier, die Afghanen – gar nicht mehr sehen kann. Viele – gute – Dokumentationen über Afghanistan und den aktuellen Konflikt bleiben bei den Konfliktursachen oder der Frage stehen, ob dieser Krieg „böse“ sei. In seiner aktuellen Dokumentation „Generation Kunduz“ wendet sich Martin Gerner den Menschen und ihren Schicksalen zu, die zu oft vergessen werden. Wurde ihretwegen nicht ein Krieg ange­fangen, der schon viel länger andauert als der Zweite Weltkrieg?

„Generation Kunduz“, dessen Kinotour Mitte März angefangen hat und bis Ende April weiterläuft, ist kein blauäugiger Streifen, der – gewollt oder nicht – die Wirklichkeit des nicht enden wollenden Krieges ausblendet. Zu Recht wurde der Untertitel „Der Krieg der Anderen“ gewählt. Aber – während die Menschen versuchen, ein gewisses Maß an Normalität zu leben – er ist der Krieg der „Anderen“, an dem sie keinen Anteil haben – und auch nicht haben wollen.

Indem die Kamera fünf junge Afghanen begleitet – den 10-jährigen Mirwais, die Lokalreporterin Nazanin, den Aktivisten Hasib und die Filmschaffenden Ghulam und Khatera -, lernen wir das Leben ­einer Generation kennen, die Hoffnungen und Ziele hat, aber mit Krieg und Gewalt aufwachsen musste. Der aufgeweckte Mirwais, den die Verhältnisse haben früh reifen lassen, träumt vom Lernen. Für ihn sind Schule und Bildung positive Dinge. Ghulam und Khatera, die Gerner bei ihren Filmdreh begleitet, sind hin- und hergerissen zwischen ihrem Wunsch auf Selbstverwirklichung und den Kompromissen, die sie mit den Normen ihres Landes eingehen müssen. Unausgesprochen zeigen ihre Aspirationen den Einfluss der Sehnsüchte und Erwartungshaltungen, die mit dem „Nation Building“ ins Land kamen.

Martin Gerners Film, auch wenn er sich dem – mühsamen – Alltag der fünf jungen Afghanen in Kunduz nähert, wird – vielleicht ungewollt – durch Gewalt und Krieg definiert. Immer wieder fährt die Kamera über jenen Ort, an dem Flugzeuge der Bundeswehr Tanklastzüge bombardierten, was zum Tod von 90 bis 120 Menschen führte. Gerade, weil wir keine Bilder von Trümmern oder Toten sehen, sondern nur die leere, ein­geebnete Fläche, ist diese Untat umso ­gegenwärtiger. (KhBr)