Mit Joachim Gauck einigten sich die Bundestagsparteien auf einen Kandidaten der Vergangenheit. Von Sulaiman Wilms

Ausgabe 201

(iz). Geschichte wiederholt sich zwei Mal: als Tragödie und als Farce. Braucht jemand noch einen Beweis dafür, wenn wir auf die Verhandlungen um die Nachfolge von Christian Wulff blicken? Ein Bundespräsident kann sich durch seine herausgehobene Position in Debatten einschalten und so auf unser Land einwirken. Die letzten beiden Bundespräsidenten agierten mehr als nur unglücklich. Wulffs Vorgänger, der Ex-Banker Köhler, scheiterte an seinem Amt. Der Niedersachse an seiner Vergangenheit. Seine gelegentlichen, positiven Aussagen rechtfertigen allerdings nicht das kritiklose Lob, das ihm von Muslimen und Migrantenverbänden ­ausgesprochen wurde.

Nun haben sich alle Bundestagsparteien – mit Ausnahme der LINKEN – im Stile der Blockparteien auf Joachim Gauck nach Verhandlungen unter medialem Druck geeinigt. Ein kurzer Blick auf den Ex-„Bürgerrechtler“ zeigt, dass er ein Mann der Vergangenheit sein wird. Anders als Wulff hat der 72-jährige keinerlei nennenswerte Erfahrungen im Umgang mit Deutschlands Muslimen und den vielen Bürgern mit Migrationshintergrund. Dies lässt Zweifel aufkommen, ob er in der Lage sein wird, bei erhitzten Debatten ausgleichend und klärend einzugreifen. Aber auch der designierte Präsident hat das Recht, nicht verkürzt zitiert zu werden.

Nicht nur Gaucks Verhältnis zu Muslimen, die den meisten Neubürgern aus dem Osten fremd geblieben sind, steht zur Debatte. Seine Ablehnung einer Fundamentalkritik des Finanzkapitalismus und seine Äußerungen zu Harz-IV-Empfängern oder Vorratsdatenspeicherung hatten viele bewogen, ihn als „neolibera­len“ Wunschkandidaten einzustufen.

Umso ungläubiger blickt man auf die Unterstützung Gaucks durch SPD und die GRÜNEN. Ist ihnen entgangen, dass ein Teil ihrer Mitgliederbasis keine oder nur geringe Gemeinsamkeiten mit den Ansichten des designierten, bundespräsi­dialen Transatlantikers hat? Andererseits, ein Blick auf die Essenz der einst von Rotgrün betriebenen Agenda 2010 belegt, dass Gauck ihnen doch in vielen Punkten durchaus nahesteht.

Es bleibt zu hoffen, dass der ­72-jährige Wunschkandidat in der Lage sein wird, Christian Wulffs Format im Umgang mit Migranten und Muslimen zu übernehmen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Joachim Gauck spalten und nicht versöhnen wird.

Eines noch: Eine Vergangenheit als „Bürgerrechtler“ ist kein Persilschein für heute. Erinnert sei an den Kampf des ANC und Nelson Mandelas. Obwohl sie politische Freiheit für Südafrika errangen, zementierten sie zur gleichen Zeit die ökonomische Unfreiheit eines Großteils ihrer Bevölkerung.