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Mossul: Den Peschmerga werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen

Foto: By Hectorir - Own work, CC BY-SA 4.0

BERLIN (GFP.com). Die Zahl ziviler Todesopfer bei Luftangriffen der westlichen Anti-IS-Koalition in der Schlacht um Mossul steigt dramatisch an. Wie die Nichtregierungsorganisation Airwars berichtet, sind allein im Januar im Irak und in Syrien mindestens 254 bis 369 Zivilisten durch westliche Bomben ums Leben gekommen, davon mindestens 169 bis 195 in Mossul. Im Februar liegt die Zahl noch höher, außerdem ist die Dunkelziffer hoch. In die Luftangriffe ist die Bundeswehr arbeitsteilig involviert: Während US-amerikanische, britische und französische Flieger bombardieren, liefern deutsche Tornados die Aufklärungsdaten; deutsche Tankflieger gewährleisten die Luftbetankung, deutsche Offiziere sind im taktischen Luftwaffenhauptquartier der Anti-IS-Koalition eingesetzt.
Die Bundeswehr ist zudem über Ausbildung und Aufrüstung der kurdischen Peschmerga-Einheiten an der Kriegführung beteiligt. Den Peschmerga werden nicht nur sogenannte ethnische Säuberungen vorgeworfen; wie Menschenrechtsorganisationen berichten, verschleppen sie zudem Kinder und Jugendliche, die sie der Kollaboration mit dem IS verdächtigen, zur Folter in Haftzentren des kurdischen Geheimdienstes Asayîş. All dies hält die Bundesregierung nicht davon ab, die kurdische Regionalregierung und ihre Peschmerga-Truppen privilegiert zu unterstützen – mit Maßnahmen, die weit über den Krieg gegen den IS hinaus reichen.
Hunger
Schon die allgemeinen Bedingungen, unter denen die bis zu 750.000 Zivilisten im umkämpften West-Mossul leben müssen, sind katastrophal. Lebensmittel, Wasser und Brennstoffe gehen zur Neige und sind oft nur noch zu astronomischen Preisen erhältlich. Reis, Mehl und Babynahrung etwa können kaum mehr beschafft werden, seit die Großstadt im Verlauf der Kämpfe faktisch abgeriegelt worden ist; Speiseöl ist zum Beispiel nur für zehn Prozent der Bevölkerung vorhanden. Eltern klagen, wie berichtet wird, sie könnten ihre Kinder nicht mehr ernähren.
Ein Einwohner wird mit der Aussage zitiert: “Wir fürchten uns nicht mehr vor Raketen und vor dem Pfeifen von Kugeln – wir fürchten den Hunger stärker. Wer einen Sack Mehl oder Reis besitzt, ist reich.” Da Kochgas oder Petroleum kaum noch verfügbar sind, verbrennen die in West-Mossul Eingeschlossenen Müll, Plastik oder Möbel, um ihre spärlichen Nahrungsmittel zuzubereiten. Über Strom verfügen die meisten Haushalte nur noch für zwei bis maximal drei Stunden pro Tag.
Zivile Tote
Gleichzeitig schnellt die Zahl der zivilen Todesopfer in die Höhe – auch die Zahl der Zivilisten, die den Luftangriffen der US-geführten Anti-IS-Koalition zum Opfer fallen. Die Organisation Airwars, die die Opfer westlicher Luftangriffe dokumentiert, konstatierte dies bereits Ende letzten Jahres.
Jetzt berichtet Airwars, der Januar sei der bislang für Zivilisten tödlichste Monat im Krieg gegen den IS gewesen: Den Bomben der Anti-IS-Koalition seien mindestens 254 bis 369 Unbeteiligte zum Opfer gefallen, mindestens 169 bis 195 allein in Mossul. Die Schwankungen in den Zahlenangaben ergeben sich daraus, dass Airwars numerische Unklarheiten penibel vermerkt. Die Organisation zählt darüber hinaus nur mehrfach bestätigte Opfer, weshalb mit einer signifikanten Dunkelziffer zu rechnen ist. Airwars weist darauf hin, dass Bomben der westlichen Anti-IS-Koalition inzwischen wohl auch Krankenhäuser getroffen haben und zunehmend Kinder den Angriffen zum Opfer fallen.
Im Februar sind bei den Bombardements allein in Mossul wohl weit über 300 Zivilisten ums Leben gekommen; Airwars dokumentierte beispielsweise für den 6. Februar 20 bis 42 Opfer westlicher Bombardements, für den 14. Februar 14 bis 16, für den 19. Februar 30 bis 130, für den 20./21. Februar 89 und für den 25./26. Februar 60 tote Zivilisten
Arbeitsteilig
Die Bundeswehr ist nicht nur allgemein als Teil der Anti-IS-Koalition in die Schlacht um Mossul involviert. Tornados und Tankflugzeuge der deutschen Luftwaffe, die im türkischen Incirlik stationiert sind, tragen mit der Lieferung von Aufklärungsdaten und mit der Betankung von Kampfbombern unmittelbar und konkret zur Kriegführung bei, insbesondere zu den Luftangriffen, die die vorwiegend US-amerikanischen, britischen und französischen Bomber nicht ohne die deutsche Zuarbeit führen könnten.
Darüber hinaus sind deutsche Offiziere fest in das alliierte taktische Luftwaffenhauptquartier in Al Udeid (Qatar) sowie in die dortigen Entscheidungsabläufe eingebunden. Genaue Details darüber, zu welchen konkreten Angriffen deutsche Soldaten mit ihren Aktivitäten beitragen, sind aufgrund militärischer Geheimhaltung nicht bekannt.
Folter
Direkt in den Krieg involviert ist die Bundeswehr außerdem durch ihre Unterstützung für die kurdischen Peschmerga. Das ist auch deshalb von Bedeutung, weil Menschenrechtsorganisationen schwere Vorwürfe gegen die Milizionäre der Kurdischen Regionalregierung (KRG) erheben: Die Peschmerga sollen in Gebieten, die sie im Verlauf des Krieges gegen den IS unter ihre Kontrolle bringen konnten, systematisch arabischsprachige Bewohner vertrieben haben. US-Beobachter warfen ihnen bereits im Sommer 2015 gezielte “ethnische Säuberungen” vor.
Darüber hinaus bezichtigen Menschenrechtsorganisationen die Peschmerga, Kinder und Jugendliche, die sie verdächtigten, mit dem IS zu kollaborieren, in vielen Fällen in Haftzentren des KRG-Inlandsgeheimdienstes Asayîş verschleppt zu haben. Wie berichtet wird, ist dort Folter an der Tagesordnung. So geben zahlreiche inhaftierte Kinder und Jugendliche an, von Asayîş-Personal mit Plastikschläuchen und Kabeln geschlagen und mit Füßen getreten, mit Zigarettenstummeln verbrannt und mit Elektroschocks gequält worden zu sein.
Außerdem sind sie, manche von ihnen monatelang, ohne jede gesetzliche Grundlage und ohne jeden Beistand in den Haftzentren interniert gewesen oder noch interniert; Ende Dezember befanden sich mindestens 183 Kinder und Jugendliche in den Foltereinrichtungen der Asayîş.
Weit über den Krieg hinaus
All dies hält die Bundesregierung nicht davon ab, das Training und die Ausrüstung der Peschmerga weiter voranzutreiben. Als die Schlacht um Mossul begann, teilte die Bundeswehr mit, deutsche Soldaten hätten inzwischen annähernd 3.400 kurdische Milizionäre ausgebildet. Ende 2016 hieß es zudem, man habe den kurdischen Truppen “bislang mehr als 2.600 Tonnen” militärisches Material geliefert.
Allein im letzten Quartal 2016 erhielten die Peschmerga zunächst (5. Oktober) 65.000 Schuss für die Pistole P1 und 3.909.600 Schuss für das Sturmgewehr G36, dann (17. November) 1.000 Gewehre G36 und 2.480.000 Patronen Kaliber 7,62 mm x 51, daran anschließend (8. Dezember) 2.520.000 Patronen desselben Kalibers und Ersatzteilpakete für zuvor gelieferte Waffen (Pistole P1, Gewehr G36, Maschinengewehr MG3, Panzerfaust 3), schließlich (13. Dezember) 1.400.000 Patronen Kaliber 7,62 mm x 52 sowie 2.000.000 Patronen Kaliber 5,56 mm x 45. Zwar fanden – und finden – Waffen und Munition zunächst Verwendung im Krieg gegen den IS.
Wie aus Berichten der Bundeswehr hervorgeht, reichen die deutschen Pläne für die Peschmerga jedoch viel weiter. So sind deutsche Militärberater zur Zeit damit befasst, dem Peschmerga-Ministerium “Hinweise und Hilfestellungen” zur allgemeinen “Optimierung” seiner inneren Abläufe zu geben: “Unser Ansatz als Beratergruppe ist rein konzeptionell”, heißt es; er gehe “weit” über den aktuellen Krieg gegen den IS “hinaus”. Letztlich wolle man die Infrastruktur, die für den Krieg gegen den IS errichtet worden sei, “langfristig in die Hände der Peschmerga … übergeben”. Gelingt es der KRG, ihre Abspaltung vom Irak zu verwirklichen, dann baut die Bundeswehr gegenwärtig die Streitkräfte eines künftigen kurdischen Staates auf – ungeachtet ihrer Beteiligung an “ethnischen Säuberungen” und Folter.