„Muslime & Globalisierung“ – Auch heute noch sind die Spuren des Sykes-Picot-Abkommens im Nahen Osten zu spüren. Eine Erinnerung von Baher Kamal

Ausgabe 247

(IPS). Am 6. Mai 1916, vor fast einhundert Jahren, erhielten zwei Männer, der Brite Sir Mark Syke und der französische Diplomat François Georges-Picot, von ihrer jeweiligen Regierung einen außergewöhnlichen Auftrag. Dieser, ursprünglich mit Zustimmung des zaristischen Russlands, bestand in der Aufteilung des „Erbes“ eines noch lebendigen, aber zerfallenden Osmanischen Reiches. Kurz gefasst wollten Großbritannien, Frankreich und Russland ihre Ansprüche im „neuen“ Nahen Osten abstecken. Sie hofften auf einen Sieg des Dreierbündnisses gegen die Hohe Pforte im Ersten Weltkrieg.

Das Abkommen wurde mit einer brandneuen Karte der Region gekrönt, welche die bestehenden Völker in künstliche Staaten aufteilte. Als Folge der Übereinkunft erhielten die Briten die Kontrolle des Küstenstreifens zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan, das heute Jordanien, den südlichen Irak und ein kleineres Gebiet mit den Häfen von Haifa und Acre, um Zugang zum Mittelmeer zu erlangen. Frankreich wurde die Kontrolle der Südosttürkei, des Nordiraks, Syriens und des Libanon zugesprochen. Für Palästina schlug man eine „internationale Verwaltung“ vor.

Das Osmanische Reich brach schließlich im zweiten Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts zusammen. Daraus entstand eine säkulare Türkei. Zwei selbsternannte „Erben“ ihrer Territorien und Einflussgebiete – Großbritannien und Frankreich – setzten das Sykes-Picot-Abkommen durch. London und Paris gelang es schnell, ihre einseitigen Pläne „offiziell“ zu machen. Und so stellte der Völkerbund die neu entstandenen Staaten Syrien und Libanon unter die französische Mandatsverwaltung. Jordanien, Irak und Palästina wurden der britischen Zone zugeschlagen. Ägypten war neben anderen Gebieten ebenfalls ein Mandat Londons.

In seinem Buch über die Ursachen des „radikalen Islam“ fasste IPS-Gründer Roberto Savio die dramatischen Konsequenzen des Vertrages zusammen. „Zuerst einmal, sämtliche arabischen Länder sind künstliche. Im Mai 1916 trafen sich Monsieur Picot für Frankreich und Lord Sykes für Großbritannien. Sie einigten sich auf einen Geheimvertrag – mit Unterstützung des russischen Reiches und des Königreichs Italien, um das Osmanische Reich zum Ende des Ersten Weltkrieges aufzuteilen. Als solche entstanden die arabischen Länder von heute aus der Teilung durch Frankreich und Großbritannien. Sie taten dies ohne Rücksichtnahme auf ethnische und religiöse Realitäten der Geschichte. Einige wenige Länder wie Ägypten hatten eine historische Identität, aber andere – wie Irak, Saudi-Arabien, Jordanien oder die Emirate – hatten diese nicht.“ Es sei erwähnenswert, so Savio, dass die Frage nach 30 Millionen Kurden, die unter vier Ländern aufgeteilt wurden, ebenfalls von den europäischen Mächten geschaffen wurde. Die kolonialen Staaten bestimmten die Regierenden in den von ihnen geschaffenen Ländern. Von Anfang an dominierte ein totaler Mangel an Beteiligung durch die Bevölkerungen. „Dank des Segens der Europäer waren diese Länder in feudalen Zeiten eingefroren.“

Aus dieser Analyse lassen sich gewisse Schlüsselaspekte ableiten: Die Tatsache, dass die westlichen Mächte ständig die „Nation“ mit dem „Staat“ verwechselten. Diese Verwirrung war entweder die Folge einer historischen Ignoranz gegenüber den Folgen ihres Kolonialismus. Oder aber sie folgte der bekannten Regel des „teile und herrsche“ Prinzips. Im Falle des Nahen Ostens erschienen Syrien und der Libanon nach britisch-französischem Kolonialbrauch als „Staaten“.

Seitdem teilten die „neuen Staaten“ des Nahen Ostens die Kurden im Wesentlichen zwischen der Türkei, Irak und Syrien auf. Sie zwangen Sunniten und Schiiten, unter einer Flagge zu leben. Verschiedene ethnische Gruppierungen wurden innerhalb der Beschränkungen künstlicher Grenzen eingepfercht. Ein „Staat“ wie Libanon besteht aus vielen größeren und kleineren Gemeinschaften. Kann sich jemand einen europäischen Staat mit weniger als sechs Millionen Einwohnern und solch einer großen Menge an verschiedenen Gemeinschaften vorstellen?

Hier sind, von außen befeuerte, Spannungen zwischen den Gemeinschaften unausweichlich. Und alle Parteien werden im Konfliktfall mit westlichen – und russischen – Waffen ausgerüstet. Kein Wunder also, dass es in der Region immer interne Unruhen gab, gibt und geben wird.

Im Falle einiger Staaten wie Algerien, Ägypten und Sudan wurden diese Länder systematisch von Militärregimes regiert. Diese bedienten sich gewohnheitsmäßig des Arguments der „nationalen Sicherheit“. Ihr Vorgehen äußerte sich in Unterdrückung, Einschränkung von Freiheiten, Folter und Korruption. Auch den Irak und Syrien ereilte das gleiche Schicksal. Als eine Folge verarmten die betroffenen Bevölkerungen in einem irrationalen Ausmaß. Gleichzeitig blieben ihnen Freiheitsrechte vorenthalten.

Diese Verhältnisse wurden niemals von westlichen Mächten herausgefordert. Gewiss, ihre Führungen sprechen gelegentlich über die Notwendigkeit, Menschenrechte und Demokratie zu respektieren. Aber keine der ehemaligen Kolonialmächte – sowie die Vereinigten Staaten – hat jemals einen Finger gekrümmt, um diese Regimes zu entfernen. Der Autokrat Hosni Mubarak galt nicht nur als Verbündeter, sondern wurde auch als „gemäßigt“ betrachtet.

Diese systematische, langanhaltende Unterdrückung der Bevölkerungen wurde in hohem Maße von politisch-religiösen Bewegungen ausgebeutet. Sie gewannen populäre Unterstützung bei verzweifelten Menschen, da sie sich als „letzte Hoffnung“ verkaufen konnten, die die Menschen vor Tyrannei und Armut retten würden. In einer immer schnelleren Abfolge von Ereignissen widmete eine wachsende Zahl selbsternannter „islamischer“ Gruppen ihren Daseinszweck brutalen, inhumanen und alles andere als religiösen Terrorakten.

Einige machen ertragreiche Geschäfte durch den illegalen Ölverkauf von besetzten Feldern und Raffinerien – hauptsächlich im Irak und in Libyen – zur Hälfte des Marktwertes an große Multis. Hinzu kommt, dass diese extremistischen Gruppen hauptsächlich billige Waffen von der aufgelösten irakischen Armee und dem zerfallenen Libyen erbeuteten. Nachdem die erste libysche Regierung in Folge der NATO-Intervention „installiert“ wurde, wurde geschätzt, dass bis zu 25 Millionen Waffen der Kontrolle durch die zentralen Behörden in diesem erdölreichen nordafrikanischen Land entzogen wurde.

Folgt uns für News auf:
https://www.facebook.com/islamischezeitungdea

und:
https://twitter.com/izmedien

Noch kein IZ-Abo? Dann aber schnell!
http://www.islamische-zeitung.de/?cat=abo