"Muslime & Globalisierung" – „Bringt, was ihr wollt. Nehmt, was ihr wollt“. Derzeit sprießen Alternativen zur konventionellen Ökonomie. Von Marcela Valente

Ausgabe 220

(Tierramérica). Enttäuscht von einer Wirtschaft, die Individualismus und rücksichtslosen Verbrauch fördert, geben tausende Argentinier Dinge auf Straßenmärkten weg, organisieren Fahrgemeinschaften mit Fremden oder bieten Reisenden von auswärts ein freies Bett an. Das sind nur die Anfänge einer Entwicklung in dem südamerikanischen Land, aber sie wachsen und basieren auch auf dem Internet. Nutzer teilen ihre Sorge um die Umwelt und ihre Ablehnung des Konsumismus. Aber sie haben ebenfalls den gemeinsamen Wunsch, das Gefühl für Gemeinschaft und Vertrauen zu teilen.

„Wir brauchen viel weniger, als wir verbrauchen. Die Grundlage für unsere Straßenmärkte ist die Loslösung von den Dingen“, meint Ariel Rodriguez, der Schaf­fer von La Gratiferia (Der Freie Markt), der unter dem Slogan funktioniert: „Bring, was Du willst (oder nichts). Nimm, was Du willst (oder nichts).“ Gestar­tet im Jahre 2010 fand der erste Markt im Haus von Rodriguez statt, im Stadtteil Liniers von Buenos Aires. Er bot Freunden und Nachbarn Bücher, CDs, Kleidung, Möbel und andere Dinge an, die er angesammelt hatte und nicht mehr benötigte.

Im Laufe der Zeit machte das Modell Schule. Er erinnert sich daran, dass sich der 13. Markt mit Hilfe von sozialen Netzwerken „auf der Straße ausweitete und explodierte“. „Dies bricht das tradi­tionelle Verständnis“, sagt Rodriguez. Anfänglich waren die Besucher ­ungläubig und zweifelten darüber, ob sie wirklich etwas nehmen können, wenn sie nichts hinterlassen, oder nicht.

Die Leute können in die Gratiferia mit Sachen kommen, die sie loswerden möchten und müssen sich keine Sorgen ­darüber machen, ob sie jemand mitneh­men wird. Die Idee besteht darin, dass jemand daran interessiert sein wird, die Nützlichkeit von Dingen zu verlängern, anstatt neue Sachen zu kaufen. „Es ist eine Reorganisation von materiellen Gegen­ständen, die auch eine ­interessante Art der Sozialisation erzeugt, indem sie einen Sinn für Gemeinschaft hervorbringt“, meint Rodriguez. Das Modell hat sich auch in die Städte anderer Provinzen ausgebreitet, aber auch nach ­Chile, Mexiko oder anderen Ländern, berichtet er.

Das Modell sprang auch auf andere Gebiete über. An der Universität ­Buenos Aires bieten Studenten der Fakultät für Ingenieurswesen kostenlose Vorlesungs­noti­zen und Studienmaterial auf einer Messe an. „Die Idee stammt von den ­Gratiferias. Sie sollte eine breitere Bewegung sein, die auch andere Fachberei­che miteinschließt, aber momentan versuchen wir, es bei den Ingenieuren umzusetzen“, berichtet Santiago Trejo, ­einer der Organisatoren. Das sind ursprüngliche Formen des „gemeinsamen Verbrauchs“. Es ist ein Ausdruck, der in den USA geprägt wurde, um Mechanismen für den Austausch von Elektrogeräten, Büchern, Kleidung, Schuhen, Instrumenten, Möbeln, Fahrrädern und sogar Autos zu beschreiben. 2011 wählte das „Time Magazine“ den gemeinsamen Verbrauch als eine von 10 Ideen, die in der Lage sind, die Welt zu verändern. Der gemeinschaftliche Verbrauch wächst in den Vereinigten ­Staaten so stark, dass die ConvergEx, eine Firma für Makler- und Finanzdienstleistungen, einen Artikel schrieb, in dem sie vor ­seinen „katastrophalen“ Auswirkungen auf die Ökonomie warnt.

Am stärksten sind die Fahrgemeinschaften in Argentinien gewachsen. Mit dem Ziel der Ersparnis von Geld und der Begrenzung von Verschmutzung und Verkehrsstaus bestehen einige Plattformen, die Menschen verbinden wollen, um ein Auto, eine Reise und die Ausgaben zu teilen. „Vayamos juntos“ und „En ­Camello“ sind zwei argentinische Netzwerke, in denen interessierte Seiten ihre Angebote oder Wünsche für Reisen von einem Punkt zum nächsten veröffentlichen können. Einige wollen nur die Fahrt von der Wohnung zur Arbeit teilen, während andere von einer Provinz zur nächsten reisen, oder zu einem Konzert oder einem Fußballspiel fahren wollen.

In anderen Ländern wie Mexiko gibt es weitere Formen des gemeinsamen Transports. Dazu gehören Mehrbenutzer-­Autos, die für eine stündliche Gebühr Zugang zu einem PKW ermöglichen, oder auch gegen eine monatliche oder jährliche Abonnementgebühr. Genau wie bei öffentlichen Fahrrädern werden Autos bei einem Parkplatz abgeholt und einem anderen hinterlassen. In Argentinien haben beide Optionen tausen­de von angemeldeten Nutzern.