Muslime und Medien: Interview mit Hans-Jürgen Bartsch (DRadio Wissen)

Ausgabe 237

(iz). 2014 sei das Bild des Islams in den Medien auf einem neuen Tiefpunkt angelangt, so die Analyse von 2,6 Millionen TV-Sendungen in Deutschland, Großbritannien und den USA. Eine der Ursachen für diesen Befund sehen die Autoren der Studie darin, dass muslimische Organisationen in westlichen Ländern kaum präsent seien. Die Terroristen hätten es daher leicht, diese Rollen auszufüllen.

Dabei ist das Bild des muslimischen Lebens ganz anders, als das von den sich auf Islam berufenden Gewalttätern suggerierte. Dies bezeugt die Arbeit vieler Moscheegemeinden, muslimischer Vereine und Organisationen, die zahlreiche religiöse, soziale und interreligiöse Projekte oft ehrenamtlich auf die Beine stellen. Die meisten bleiben jedoch abseits des Medieninteresses. Über die Gründe und über Veränderungsansätze sprachen wir mit Hans-Jürgen Bartsch, Redakteur und Moderator bei DRadio Wissen.

Islamische Zeitung: Lieber Herr Bartsch, Sie haben letzte Zeit an Sendungen zu den Themen Islam und Muslime mitgearbeitet. Vor welchen Herausforderungen stehen die Journalisten, wenn es um das Thema Islam geht?

Hans-Jürgen Bartsch: Ein Beispiel, als ich in Zusammenhang mit den Anschlägen von Paris nach jungen islamischen Gesprächspartnern an Hochschulen für eine tagesaktuelle Diskussionssendung suchte, war der Aufwand für mich überdurchschnittlich hoch. Andersherum: Wenn ich jemanden von einer Kirchengemeinde, einer Stadt oder Gemeinde suche, steht die Institution im Telefonbuch oder mit Telefonnummer – bis hin zur Durchwahl – im Internet. Da finde ich einen Pressebeauftragten, ich bekomme gegebenenfalls die Mobilnummer genannt, auch an Sonntagen. So ist es aber bei vielen islamischen Hochschulvereinigungen nicht. Schauen Sie mal auf solche Webseiten: keine einzige Telefonnummer für den schnellen journalistischen Anruf aus aktuellem Anlass. Aus diesem Grund finden dann Sendungen über Islam und Muslime ohne muslimische Vertreter statt.

Islamische Zeitung: Ganz salopp gefragt, ist die Sensationslust der Medien oder die unzureichende Öffentlichkeitsarbeit der muslimischen Gemeinden und Initiativen daran „schuld“, dass in den Medien so wenig über ihre Arbeit und das muslimische Leben berichtet wird?

Hans-Jürgen Bartsch: Keines von beiden. Eine Aussage wie „die Medien sind sensationslüstern“ ist zunächst einmal eine Hypothese. Wenn zum Beispiel die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ihre Berichterstattung nach den Kriterien der Sensationslust ausrichten würden, hätten sie ein ganz anderes Programm. Dies würde nicht mehr den auferlegten Kriterien entsprechen, die in Gesetzen, auch im Grundgesetz, in Staatsverträgen und Selbstverpflichtungen der Journalisten festgelegt sind.

Es würde ganz sicher zur Einstellung des jetzigen Programmes führen müssen. Gegenfrage: Ist die Berichterstattung über Pegida sensationslüstern oder ist sie zwingend notwendig, um über ein differenziertes Meinungsbild aufzuklären, das in der deutschen Bevölkerung herrscht?

Auch die islamischen Gemeinden sind nicht schuld, wenn – ich betone hier das „angeblich“ – zu wenig über sie berichtet werde. Der Schützenverein X aus dem Dorf Y beklagt sich genau so wie mitunter muslimische Gemeinden, dass er zu wenig in den Medien berücksichtigt werde. Schließlich habe auch er ein reges Vereinsleben, das zur Kultur der Bundesrepublik gehöre.

Nein. Beidem liegt zu Grunde, dass geregelte Tagesabläufe, die in der ­Öffentlichkeit als normal angesehen werden, keinerlei Interesse wecken. Interesse weckt, wenn etwas von der allgemein anerkannten Norm abweicht.

Islamische Zeitung: Was könnten die Muslime tun, um in den Medien mit ihren Projekten und ihrer Arbeit präsenter zu werden?

Hans-Jürgen Bartsch: Aktivitäten wie der „Tag der offenen Moschee“ sind ein gutes Beispiel. Darüber wird berichtet. Den Besuch eines Christen oder Atheisten in einem ihm fremden Gotteshaus weicht von seiner Norm ab. Auch das wird zwar allmählich alltäglicher, aber die Presse berichtet an solchen Tagen darüber. Muslimische Gemeinden könnten mehr solcher Initiativen einleiten. Wie wäre es, sich an regionale Zeitungen mit der Frage zu wenden, ob sie ein Interesse an einem Hintergrundgespräch mit einem muslimischen Vertreter in ihrer Redaktion hätten? Oft ergeben sich daraus berichterstattungswürdige Themen.

Islamische Zeitung: Wo könnten ihrerseits die Medien an diesem Punkt ansetzen?

Hans-Jürgen Bartsch: Die Medien haben in den letzten Jahren lernen müssen. Lernen zu begreifen, dass Islam zu Deutschland gehört – wie immer man das im Einzelnen auch deuten mag. Aber er ist de facto da und Medien haben das lange unterschätzt. Inzwischen ist das erkannt, doch der Lernprozess geht weiter. Ich selbst weiß heute so viel über den Islam wie noch nie und gleichzeitig so wenig wie nie. Die Presse wird zunehmend Fortbildungsseminare zu diesem Themenbereich für ihre Mitarbeiter anbieten müssen beziehungsweise ihren Mitarbeitern erlauben, daran teilzunehmen. Es fehlt auch in den Redaktionen noch immer an Orientierung. Wie die Fußballbundesliga funktioniert, weiß jeder Sportredakteur. Was islamisches Leben in Lehre und Praxis genau ausmacht, weiß noch lange nicht jeder.

Islamische Zeitung: Vielen Dank für das Gespräch.