Österreichs Muslime feiern 100 Jahre „Gleichstellung“. Von Robert Mitscha-Eibl

Ausgabe 206

(KNA). Vor 100 Jahren, am 15. Juli 1912, wurde in Österreich das erste Islamgesetz in Eu­ropa verabschiedet. Für die heute rund 500.000 Muslime im Land ein Grund zum Feiern – aber auch ein Jahrestag, um auf Aktualität und Reformbedarf des Gesetzes zu schauen. Betroffene und Experten sehen als Arbeitsfelder etwa Seelsorge, Schul- und Hochschulwesen oder die Aus- und Weiterbildung der Imame an.

Tatsächlich entstand das Gesetz von 1912 in einem komplett anderen gesellschaftlichen Umfeld. Anerkannt wird darin die religiöse Überzeugung der „Anhänger des Islams nach hanefitischem Ritus“ – also der Muslime in den K.u.K.-Provinzen Bosnien und Herzegowina. Bereits 1878, als Österreich-Ungarn ermächtigt wurde, diese Region zu verwalten, proklamierte Kaiser Franz Joseph I., „dass alle Söhne dieses Landes gleiches Recht nach dem Gesetze genießen, daß sie alle geschützt werden in ihrem Leben, in ihrem Glauben, in ihrem Hab und Gut“.

Nach der Annexion Bosniens 1908 begannen Bemühungen muslimischer Vertreter in Wien – laut Statistik damals weniger als 900 Personen – um gesetzliche Anerkennung des Islam. Die Behörden gingen behutsam vor und schufen ein im damaligen Europa einmaliges Gesetzeswerk. Den Muslimen wird Selbstverwaltung und Selbstbestimmung zugebilligt, „jedoch unter Wahrung der Staatsaufsicht“. Wörtlich heißt es: „Auch die Lehren des Islams, seine Einrichtungen und Gebräuche genießen (…) Schutz, insofern sie nicht mit den Staatsgesetzen im Widerspruch stehen.“

Erst ab den 1950er Jahren kamen zahlreiche Muslime als Gastarbeiter und Flüchtlinge ins Land. 1979 wurde ein Antrag auf Gründung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) bewilligt; sie ist als Körperschaft öffentlichen Rechts die ­offizielle Vertretung und Verwaltung der religiö­sen Belange aller Muslime.

Deren Anteil an der Wohnbevölkerung ist seitdem beständig gewachsen. Der Wiener Religionssoziologe Paul Zulehner sieht die Muslime im „Modernisierungsstress“ und konstatiert einen Wertewandel von der ersten zur zweiten Generation muslimischer Zuwanderer.

Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer äußerte sich zum Jubiläum zuversichtlich, dass die seit dem Zuzug muslimischer Gastarbeiter angestiegene „Islamophobie-Kurve“ bald wieder flacher wird. Jüngste Erfahrungen stimm­ten ihn hoffnungsvoll, sagte Fischer im Interview der Nachrichtenagentur Kathpress. Einerseits sinke die Zuwanderungsrate; andererseits lerne man in Österreich, „mit unterschiedlichen religiösen Bekenntnissen besser umzugehen“. Knapp die Hälfte der Muslime in Österreich sind österreichi­sche Staatsbürger. Der Zuwachs im vergangenen Jahrzehnt kam der Statistik zufolge hauptsächlich durch Geburten und nicht durch Zuwanderung zustande. Maximale Schätzungen gehen für das Jahr 2051 von einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von 18 Prozent aus.

Gefeiert wurde das Jubiläum mit drei markanten Festen: Höhepunkt war ein Festakt mit Bundespräsident Fischer im Wiener Rathaus. Zuvor war das Islam­gesetz Thema einer wissenschaftlichen Diskussion im Juridicum der Uni Wien. Ein Volksfest im Islamischen Zentrum in Wien-Floridsdorf beschloss die Feiern.