Organspenden: Freiwilligkeit versus nötige Hilfe?

Ausgabe 280

Foto: Universitätsmedizin, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 4.0

„Die Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist eine Kernfrage des Menschseins. Diese Kernfrage soll, diese Kernfrage darf nicht der Staat für den Menschen beantworten.“ Heribert Prantl
(iz). Jenseits des politischen Alltagsgeschäftes und des Lagerstreites gibt es grundlegende Fragen, die einer gemeinsamen, verbindlichen Klärung auf gesellschaftlicher und politischer Ebene bedürfen. Dazu gehört eine Regelung zur sogenannten Organspende. Und die Zahlen sprechen eindrücklich dafür, dass es hier Lösungsbedarf gibt. Jährlich ­sterben in Deutschland 1000 Menschen, die aussichtslos auf ein Spenderorgan warten.
Wie aus Informationen der Deutschen Stiftung Organtransplantation hervorgeht, übersteigt der Bedarf bei Empfängern die Menge der verfügbaren Spenderorgane um ein Vielfaches. Je nach betreffendem Organ können die Differenzen zwischen dem Dreifachen und über dem Zehnfachen liegen. Nach Angaben der gleichen Institutionen seien im letzten Jahr nur 797 Menschen bereit gewesen, sich als Organspender registrieren zu lassen.
Nach Ende der politischen Sommerpause hat sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für eine „Widerspruchslösung“ ausgesprochen. Demnach soll jeder als Organspender gelten, bis die Person – oder ihre Angehörigen – dem widersprechen. Nur so könne die Organspende „zum Normal“ werden, sagte der CDU-Politiker der „Bild“. Bis jetzt ist die Entnahme potenzieller Organe in Deutschland nur rechtmäßig, wenn ihr Spender vorab ausdrücklich seine Zustimmung erklärt hat. Bereits im Mai dieses Jahres hatte sich der Deutsche Ärztetag für die Widerspruchslösung stark gemacht. In Europa wenden bereits 18 Länder dieses Prinzip an. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, stimmt zu. Spahns Vorschlag sei eine „sehr gute Idee“.
Die Neueste Zürcher Zeitung (NZZ) bewertete den Vorstoß kritisch. Sie weis zu Recht darauf hin, dass eine Organspende bisher eine freiwillige Handlung sei. „Selbst Minister Spahn räumt ein, dass der Staat damit in die Freiheit des Einzelnen eingreifen würde. Aus liberaler Warte ist der Unterschied zwischen der Zustimmungs- und der Widerspruchslösung jedenfalls gewaltig“, schrieb sie am 3. September. Der Körper solle erst einmal kein öffentliches Gut sein, über das der Staat nach dem Tod verfügen könne. Stattdessen sprach sich der NZZ-Autor für ein Modell auf Gegenseitigkeit aus, das der Schweizer Ökonom Blankart vorgeschlagen habe. Demnach solle für Empfänger auch eine Rolle spielen, ob sie vor ihrer Erkrankung eine Spende-Erklärung abgegeben hätten. Das Prinzip solle die Motivation erhöhen.
„Die Frage nach Organspenden ist kein rein medizinisches Thema geblieben, vielmehr hat sie genauso soziopolitische und theologische Bedeutung gewonnen. Die Muslime in Deutschland müssen als Teil dieser Gesellschaft Stellung zu diesem Thema beziehen“, schrieb M.Z.S. Halabi bereits 2013 in einer Stellungnahme des Zentralrats der Muslime zu „Organ- und Gewebespende aus islamischer Sicht“.
Bereits vor einigen Jahren behandelte die „Islamische Zeitung“ in einer mehrteiligen Reihe verschiedene Aspekte der medizinischen Ethik. Darin wurden auch Fragen der Transplantationsmedizin behandelt. Darin schrieb unser Autor, dass die Entnahme eigener Gewebeteile und ihre Verpflanzung an anderer Stelle des Körpers (die sogenannte Autotransplantation) unproblematisch sei. Das gleiche gelte – mit Ausnahme des Schweins – auch für die Übertragung tierischer Organe (Xenotransplantation), sofern diese nach islamischen Regeln geschlachtet seien. Allerdings gehe es bei letzterem Fall um ein neues Gebiet, sodass es an verbindlichen Meinungen noch mangelt.
Soweit es sich um die Entnahme und Einpflanzung der Organe von anderen Menschen handelt, seien verschiedene Aspekte zu beachten. Festzuhalten sei, dass im Islam die Rettung von Leben als Gebot gesehen werde. Im Qur’an heißt es: „Und wenn jemand einen Menschen am Leben erhält, so ist es, als hätte er die Menschen allesamt am Leben erhalten.“(Al-Ma’ida, Sure 5, Vers 32) M.Z.S. Halabi stimmt diesem Aspekt zu: „Schutz des Lebens zählt zu den fünf allgemein anerkannten Hauptzielen des Islam, die er durch die Vorschriften seiner Lehre zu erreichen versucht.“ Dieses Recht auf Leben gelte für jeden Menschen. Einen Bezug hierzu stellte auch der Gesandte Allahs, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, während der berühmten Abschiedspredigt auf seiner letzten Pilgerfahrt her: „Oh ihr Menschen, euer Vermögen, eure Ehre und euer Leben ist unter euch so heilig wie dieser Tag und dieser Monat und dieser Ort.“
Blut- und Organspenden sowie Knochenmarkspenden würden von Gelehrten, so der IZ-Autor, ganz überwiegend als positive und empfehlenswerte Handlungen betrachtet. Vorrangiges Kriterium dafür sei die Freiwilligkeit und Zustimmung beider Seiten. Im Falle von Verstorbenen müsse die Zustimmung der Angehörigen eingeholt werden, „sofern sich der Verstorbene zu Lebzeiten nicht gegen eine Organentnahme ausgesprochen hat“. Hierfür müsse der Tod der betreffenden Person zweifelsfrei festgestellt werden. Außerdem müsste die Spende medizinisch indiziert sein. Der Handel mit Organen müsse allerdings „als verwerflich“ betrachtet werden.
Auch heute gibt es innermuslimisch noch keine einheitliche Position. Wie Cefli Ademi vom Lehrstuhl für Islamische Theologie an der Universität Münster Anfang September auf Nachfrage des Evangelischen Pressedientstes (epd) sagte, gebe es hierzu „verschiedene islamrechtliche Meinungen“, ob Muslime ihre Organe überhaupt spenden dürften. „Das Meinungsspektrum reicht von unzulässig bis hin zu stark empfohlen“, erklärt Ademi. Laut Angaben des Münsteraner Theologen gebe es derzeit kein muslimisches Land, in dem Organspende untersagt oder geregelt sei.
Stimmen, die Organspenden ablehnten, bezögen ihre Rechtfertigung aus der im Qur’an beschriebenen Menschenwürde. Demnach sei der Körper „eine Leihgabe Gottes“. Über sie habe der Mensch keine Verfügungsgewalt. Allerdings, so Ademi, gebe es gleichermaßen auch islamische Juristen, welche die Transplantation von menschlichen Organen erlauben oder vielmehr für empfohlen hielten. „Sie stützen sich auf diverse islamrechtliche Grundsätze, etwa dass der Mensch aufopferungspflichtig sei und Schaden stets abzuwenden habe.“
Zu den Stimmen, die eine freiwillige Organspende für begrüßens- wenn nicht wünschenswert halten, gehört Celil Yalinkilic. Yalinkilic ist Vorsitzender für religiöse Wegweisung bei der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG). Zur von Jens Spahn angestoßenen Debatte erklärte die IGMG in einer Mitteilung, in welcher die Organspende begrüßt wurde, dass man der Widerspruchslösung kritisch gegenüber stehe. „Wir plädieren für mehr Aufklärung und Sensibilisierung für die freiwillige Organspende.“
Die islamische Lebensweise sei davon geprägt, Notleidenden und Hilfsbedürftigen zu helfen. „In diesem Sinne ist die Organspende Hilfe in einer Notsituation.“ Einem Menschen so zur Genesung zu verhelfen, sei vergleichbar mit der Heilung durch ärztliche Behandlung oder Pflege. Deshalb sei die Organspende, so Yalinkilic, nicht nur erlaubt, sondern vielmehr erwünscht.
Wie andere muslimische Stimmen zuvor wird in der IGMG-Pressemitteilung allerdings kein grenzenloses Vorgehen bei der Transplantationsmedizin gutgeheißen. So wie Einhelligkeit darüber besteht, dass der kommerzielle Handel mit menschlichen Organen verwerflich sei, so ist die Freiwilligkeit auf allen Seiten Vorbedingung. Da der Körper, auch nach unserem Verscheiden, unantastbar sei, könne diese Regel nach Ansicht von Celil Yalinkilic „nur durch ausdrückliche Zustimmung des Betroffenen“ aufgehoben werden.
Wird die von Jens Spahn angeregte Lösung mit den Grundsätzen des muslimischen Denkensverglichen, dann wird ein Widerspruch augenfällig. „In diesem Sinne ist die geplante ‘Widerspruchslösung’ in der Debatte um die Organspende zu betrachten. Sie geht vom grundsätzlichen Einverständnis zur Organspende aus, obwohl die betroffene Person sich nicht ausdrücklich erklärt hat. Die Regel von der Unantastbarkeit des Körpers wird damit von der Regel zur Ausnahme degradiert.“ Stattdessen plädiert die IGMG für mehr Aufklärung und Sensibilisierung der Bevölkerung für die freiwillige Organspende. „Hierzu gibt es vielfältige Möglichkeiten, unter anderem kultur- und religionssensible Informationskampagnen. Die Möglichkeiten hierzu wurden bisher nicht ausgeschöpft.“