Peking im nahöstlichen Tsunami

Ausgabe 250

Foto: U.S. Embassy The Hague | Lizenz: CC-BY-ND 2.0

(Voices of Journalists). Zu Beginn des Jahres bereiste der chinesische Präsident, Xi Jinping, den Nahen Osten. Sein Besuch fand in einer Zeit statt, in der die Beziehungen zwischen dem sunnitischen Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran einen historischen Tiefpunkt erreichten. Die Hinrichtung des schiitischen Geistlichen al-Nimr sowie die folgende Verschlechterung zwischen den Blöcken fand für Xi zu einer besonders schlechten Zeit statt. Auf seiner Nahostreise machte er in verschiedenen Staaten wie Ägypten, Saudi-Arabien und den Vereinten Arabischen Emiraten Station.
Ein derartiger Besuch – während ein tiefer Graben zwischen diesen Staaten und dem Iran verläuft – könnte den Eindruck erwecken, dass China einer Seite mehr Bedeutung einräume als der anderen. Diese Geste könnte Pekings Politik der Nichteinmischung und der Abwesenheit von Parteilichkeit im Nahen Osten unterminieren.
Seitdem Xi sein Amt antrat, besuchte er mit Ausnahme des Nahen Ostens jedes Land der Welt. Das Gleiche gilt für Ministerpräsident Li Kegiang. Im Frühling 2015 sagte China einen geplanten Besuch ab. Grund dafür war die Kampagne gegen die Huthi-Milizen im Jemen. Eine weitere Absage hätte zu regionalen Turbulenzen geführt, die Chinas Strategie hätte beeinträchtigen können. Der chinesische Staatsführer nutzte vielmehr die Krise in diesem Teil der muslimischen Welt, um Chinas neue Nahostpolitik vorzustellen. Mit dieser will Peking nicht mehr nur am Spielfeldrand stehen, sondern sich mitten in den nahöstlichen Tsunami stürzen.
Vor der Hinrichtung al-Nimrs suchte Peking Wege, auf den syrischen Bürgerkrieg einzuwirken. Es hieß sowohl den syrischen Außenminister, Walid al-Moallem, als auch den Führer des oppositionellen Syrischen Nationalrates willkommen. Ziel war die Beförderung einer friedlichen Lösung. Jener Schritt impliziert in erheblichem Maße eine Abkehr vom bisherigen chinesischen Entschluss, Bashar al-Assad als legitimen Führer Syriens zu unterstützen.
Am 13. Januar kündigte Peking sein Papier zur Politik im arabischen Raum an. Das mehrdeutige, doch grundlegende Manuskript formuliert die chinesischen Interessen im Nahen Osten. Nach der Erstürmung der saudischen Botschaft in Teheran entsandte Präsident Xi den stellvertretenden Außenminister Zhang Ming, um seine iranischen und saudischen Amtskollegen zu treffen. Ming rief beide zu Zurückhaltung und Ruhe auf. Als Folge änderte der chinesische Staatschef seine Reisepläne und ergänzte seinen Besuch in den Vereinten Arabischen Emiraten durch einen Zwischenstopp in Teheran. Als solcher war er Pionier, da Xi als erster den Iran nach dem Ende der Sanktionen besuchte. Im Gegenzug führte Xi Jinping zu Erleichterung in Riad. Er kündigte an, die von Saudi-Arabien unterstützte Partei im Jemen anzuerkennen. Diese kämpft mit saudischer Hilfe gegen iranische Stellvertreter.
Solch eine hyperaktive diplomatische Gestik mag jene schockieren, die Chinas Neigung gewohnt sind, strategische Distanz zum Interventionismus zu wahren. Skeptiker könnten der Ansicht sein, dass all das strategische Schritte sind, die Peking vorrangige Chancen auf Handel und Gewerbe mit beiden Seiten sichern sollen. Daran mag einiges sein. Es wäre aber falsch, die jüngsten chinesischen Maßnahmen im Nahen Osten ausschließlich im Lichte monetärer Interessen zu betrachten.
Peking versteht, dass die Region zu wichtig ist, um sie anderen zu überlassen. China sitzt heute nicht mehr am Rand. Es hat auch kein Interesse daran, dass der Nahe Osten vollkommen ins Chaos stürzt. Die Regierung zweifelt seit einiger Zeit an der Rolle der Vereinigten Staaten am Persischen Golf. Washington wirkt nicht sehr inspiriert, die Region zu „retten“, wie es das seit beinahe einem halben Jahrhundert versuchte. Im Gegenteil, die US-amerikanischen Beziehungen zum Iran und zu Saudi-Arabien sind übermäßig dornig. Das macht es Washington schwierig, ein legitimer Vermittler zu sein.
Noch bedeutsamer ist, dass Russland den Anspruch der Unparteilichkeit im Nahen Osten, die es den Großteil der postsowjetischen Periode beanspruchte, aufgegeben hat. Einstmals unterhielt Moskau gute Beziehungen zu Teheran und Riad, die es gleichermaßen schätzte. Jedoch führte der Bürgerkrieg in Syien dazu – obwohl dessen Bevölkerung mehrheitlich sunnitisch ist –, dass Moskau in die Falle des schiitischen Lagers getreten ist. Und es dürfte für die Sunniten sehr schwerfallen, Russland wieder zu vertrauen. Da sowohl die USA, als auch Russland nicht befähigt sind, Harmonie und Gleichgewicht in der Region herbeizuführen, wird China, das gute Beziehungen zu beiden unterhält, zusehends motiviert, das wachsende Vakuum zu füllen.
Es gibt Gründe, warum die schiitisch-sunnitischen Spannungen von speziellem Interesse für China sind. Da der Nahe Osten Heimat eines erheblichen Anteils der globalen Erdölreserven ist, erhält er eine imperative Bedeutung für die chinesische Wirtschaft. Obschon die Welt derzeit außergewöhnlich billiges Erdöl bekommt, könnte sich dies wandeln, wenn die Spannungen zwischen beiden Lagern ansteigen.
In der gesamten muslimischen Welt sind Schiiten eine kleine Minderheit. Am energiereichen Persischen Golf jedoch machen sie einen erheblichen Bevölkerungsanteil aus. Im Falle einer direkten militärischen Auseinandersetzung zwischen dem Iran und Saudi-Arabien sowie dessen Verbündeten könnte dies zu einer physischen Beschädigung der Erdölförderung führen. Dadurch würde der Erdölpreis in die Höhe schießen. Das schadet nicht nur China, sondern der gesamten Weltwirtschaft. Derzeit kommt die Hälfte aller chinesischen Rohölimporte vom Golf. Solch ein Notfall würde China mehr als jede andere Wirtschaft kosten.
Winston Churchill sagte: „Der Preis der Größe ist Verantwortlichkeit.“ Während sich die Chinesen auf Größe zubewegen, müssten sie sich darauf vorbereiten, diesen Preis im Nahen Osten zu zahlen. Und, dieser wird bald abgefragt werden.
* Der Text erschien erstmals auf der englischsprachigen Webseite „Voices of Journalists“.

Ein Kommentar zu “Peking im nahöstlichen Tsunami

  1. Welche schiitische Falle ist denn gemeint, die Falle in der die Schiiten sind oder die von ihnen ausgelegt sein soll? Wieso sollen es die Sunniten schwer haben den Russen zu vertrauen, wenn sie auf der anderen Seite dem Westen trotz dessen Manipulationen immer wieder vertrauen können? Die vielen ausländischen Dschihadisten, die in Syrien eingefallen sind, sind soweit ich weiß keine Schiiten. Ganz im Gegenteil stammt deren Unterstützungen aus vermeindlichen sunnitischen Ländern, die, obwohl sie nicht dafür bekannt sind für ihre Menschenrechtsfreundlichkeit, sich nach außen als Menschenrechtsverteidiger generieren.
    Mir scheint so, dass der Autor in seinen Formulierungen diesen Widerspruch nicht erkennt.

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