„Per Zufall und mit Glück“ – Wie das Bündnis Riad-Washington entstand

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Berlin (KNA). Vor 80 Jahren, am 4. März 1938, fand in Saudi-Arabien die erste kommerziell erfolgreiche Ölbohrung statt – mit Folgen für die Weltpolitik bis heute. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur blickt der Politik- und Islamwissenschaftler Sebastian Sons (36) auf das größte Land der Arabischen Halbinsel. Sons ist Experte für Saudi-Arabien bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin und wirbt in seinem im November 2016 erschienenen Buch „Auf Sand gebaut“ für einen neuen Blick auf Saudi-Arabien.
Frage: Herr Sons, wie muss man sich die Lage auf der Arabischen Halbinsel vor 80 Jahren vorstellen, als US-Amerikaner auf Öl in Saudi-Arabien stießen?
Sebastian Sons: Die kleineren Golfstaaten, also etwa Kuwait und Bahrain, hatten bedingt durch ihre Lage am Meer und den Einfluss der Briten, die dort als Mandatsmacht auftraten, durchaus Kontakte zur Außenwelt. Saudi-Arabien dagegen war, bis auf wenige Ausnahmen, ein vergessener Flecken Erde ohne größere strategische Bedeutung. Ein Hinterhof des Osmanischen Reichs, bevölkert von Beduinenstämmen.
Frage: Fast gleichzeitig zu den US-Bohrungen in Saudi-Arabien entdeckten die Briten in den von ihnen beeinflussten Gegenden ergiebige Ölquellen. Eine Art Wettlauf?
Sebastian Sons: Nein, eher war es so, dass niemand in dieser Sache auf Saudi-Arabien setzte – und die Amerikaner lediglich per Zufall und mit Glück in dieses Vakuum vorstießen.
Frage: Ein Ereignis mit Folgen…
Sebastian Sons: .., das Grundlage für die bis heute engen Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und den USA ist.
Frage: Welche Rolle spielte das Öl für die Festigung der Herrschaft des Hauses Saud?
Sebastian Sons: Eine ganz wichtige, aber nicht die einzige. Bis zum Tod von Staatsgründer Abd al-Aziz ibn Saud 1953 und noch darüber hinaus gehörten die Ölgeschäfte zu den Privateinnahmen der Herrscherfamilie – die zugleich den Staat verkörperte. Die Übergänge waren also fließend. Und ibn Saud konnte mit den Geldern Verbündete kaufen oder an sich binden.
Frage: Aber?
Sebastian Sons: Bereits ab den 20er Jahren legte der Staatsgründer mit einer klugen Heiratspolitik das Fundament seiner späteren Macht. Er verband sich beispielsweise mit den Handelsfamilien aus dem Hedschas im Westen des Landes. Schon im 18. Jahrhundert hatte die Familie zudem eine politische Allianz mit Muhammad ibn Abd al-Wahhab (dem Begründer des Wahhabismus) geschlossen.
Frage: Profitierte diese Allianz mit dem Wahhabismus auch vom Öl?
Sebastian Sons: Ja, vor allem bei der Verbreitung dieser Strömung, die eigentlich eine Randerscheinung aus dem Zentrum Saudi-Arabiens war, der Region Nadschd. Bereits in den 1960er Jahren wurden mit saudischem Geld panislamische Stiftungen wie die Muslim World League gegründet, mit denen Saudi-Arabien zugleich seine Vorbildfunktion und Führungsrolle in der islamischen Welt unterstreichen wollte.
Frage: Kronprinz Mohammed bin Salman will mit seiner „Vision 2030“ Reformen anstoßen…
Sebastian Sons: Der gesellschaftliche Wandel findet seit Jahrzehnten statt – schon allein weil viele Saudis im Ausland studieren durften und jetzt mit anderen Augen auf die Zustände in ihrem Land schauen. Dazu kommt, dass die Gesellschaft extrem jung ist. Rund 70 Prozent der Saudis sind unter 30. Zugleich liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei bis zu 40 Prozent. Mit anderen Worten: Das saudische Königshaus, in dem bislang alte Männer das Sagen hatten, muss reagieren. Anders geht es nicht.
Frage: Und der 32-jährige bin Salman?
Sebastian Sons: …macht sich diese Politik zu eigen. Das ist kein Gutmenschentum. Es geht um Machterhalt und ökonomische Stabilität. Der Kronprinz weiß beispielsweise, dass er Frauen, deren Bildungsniveau inzwischen weit über dem vieler Männer liegt, nicht mehr wie bisher von der Teilhabe am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben aussperren kann. Also muss er religiöse und gesetzliche Sanktionen lockern. Ein Ergebnis davon ist, dass Frauen Autofahren dürfen.
Frage: Vielleicht würde es ja schon helfen, wenn Länder wie Deutschland aufhören, weiter Waffen in die Region zu liefern.
Sebastian Sons: Ich hoffe dringend, dass die große Koalition ihre Ankündigung umsetzt und den sofortigen Stopp der Rüstungsexporte an die im Jemen beteiligten Konfliktparteien verfügt. Aber grundsätzlich werbe ich dafür, das Verhältnis zu Saudi-Arabien nicht allein auf diese Frage zu verengen.
Frage: Warum?
Sebastian Sons: Weil das den sich wandelnden Verhältnissen in dem Land nicht gerecht wird. Wir sollten die sich entwickelnde Zivilgesellschaft stärker unterstützen. Warum also nicht wirtschaftliche Kooperationen und kulturellen Austausch ausbauen? Ob wir es wollen oder nicht: Saudi-Arabien wird ein wichtiger Partner bleiben – und eines der wenigen vergleichsweise stabilen Länder in der Region.
Sebastian Sons, „Auf Sand gebaut. Saudi-Arabien – Ein problematischer Verbündeter“, Propyläen, Berlin 2016; 20,00 Euro.