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Plattitüden reichen nicht

Ausgabe 270

Foto: D Intl Savama DCI Gamma

(Islamicate). Gewiss, es ist gewagt, zu behaupten, dass es keinen schwarzen „Beitrag“ zum Islam gäbe. Das ist absichtlich herausfordernd formuliert, geschieht aber aus guten Gründen. Dieser Text beabsichtigt nicht, die gemeinsame muslimische Geschichte zu leugnen. Er soll stattdessen die stillschweigend hingenommenen Wege kritisieren, auf denen schwarze Muslime als Randgestalten statt als enge Gefährten betrachtet werden. Um es in Form einer Metapher zu sagen: Anstatt sie als „Köche“ zu beschreiben, werden sie als bloße „Zutaten“ vorgestellt. Eine der Facetten, in denen sich das zeigt, ist die banale Erwähnung von Bilal. Sie ist eine häufige Begleitnote in der Rechtfertigung nicht-schwarzer Muslime, wonach Islam jeglichen Rassismus zurückweist. So, als würde es hier um Religion selbst gehen…
Herablassend erinnern Vorurteilsbelastete daran, dass es einen festen Beweis gebe, wonach Schwarze einen Platz im Islam hätten. Und „er“ ist Bilal ibn Rabah; eine Ein-Mann-Show. Aber nur selten hören wir von der Amme des Propheten, Umm Aiman. Mit ihr scherzte und debattierte er, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, und verbrachte Zeit mit ihr. Oder wir nehmen Mahdscha’, dem Ersten, der in der Schlacht von Badr getötet wurde. Dann haben wir Salim, der unter den Prophetengefährten in der frühmekkanischen Phase am meisten vom Qur’an wusste. Er leitete solche wie Abu Bakr oder ‘Umar im Gebet. Es gab Usama ibn Zaid, den der Prophet liebte, einer der Kommandeure des Gesandten Allahs. Dschulaibib wurde von den ­Götzendienern getötet. Der Gesandte Allahs, Heil und Segen auf ihm, sagte über ihn: „Ich bin von ihm und er ist von mir.“ Bilal und die anderen waren keine „Beiträge“ irgendeiner nebulösen schwarzen „Gruppe“ in der Prophetenbio­graphie, sondern herausragende und gleichwertige Teilnehmer in der muslimischen Geschichte.
Die populäre Sprache und der Bezug auf schwarze Muslime der Vergangenheit imaginiert sie als periphere Gruppe. Wird von ihnen geredet, geschieht es zumeist aus rhetorischen Gründen. Anstatt auf ihre bloße Existenz zu verweisen, sollte über ihren bedeutenden Einsatz gesprochen werden, welcher der Formung der Geschichte diente. Vielen entgeht diese Methodik nicht: Das Aufstellen eines „Vorzeige-Schwarzen“ zur Abwehr von Anschuldigungen der rassischen Vorurteile.
Unglücklicherweise neigen viele zu ­einer ethnisierten Sicht des Glaubens. Sie nehmen an, ihre besondere Gruppe sei die Avantgarde des „wahren“ Islam. Wo kulturelle Produkte einiger Ethnien ­betont werden oder ihre Dominanz in religiösen Zusammenhängen (auch stillschweigend) als Status Quo erhalten bleibt, wird die vielfältige schwarze ­Erfahrung entweder missachtet oder verächtlich betrachtet. „Schwärze“ ist nur selten willkommen. Diejenigen, die ein ethnisches Bewusstsein oder die Projektion bestimmter ethnischer Identitäten auf einen gemeinsamen religiösen Raum problematisieren, konfrontieren selten die religiösen Einstellungen, die von ­ihren ethno-kulturellen Gemeinschaften ausgehen.
Manche setzen schwarz instinktiv mit Afrika gleich. Geht es um den Kontinent, halten viele Muslime „den Afrikaner“ (jenseits Nordafrikas) für nicht sonderlich islamisch im zivilisatorischen Sinne. Ironischerweise entgeht vielen, die von einer Überlegenheit ihres religiös-kulturellen Verständnisses ausgehen, dass der Einheitsglaube Afrika erreichte, lange bevor er zu ihrem Teil der Welt kam. Schwarze Gelehrte aus Afrika und Arabien hatten eine erhebliche Wirkung auf die all­gemeine islamische Gelehrsamkeit.
Im Kontext der abrahamitischen ­Geschichte kam Josef (arab. Jusuf) nach Ägypten, die Hebräer siedelten hier bis zu Moses (arab. Musa) Zeiten. Es wurde berichtet, dass die Kinder Isra’ils nach der Zerstörung von Salamons Tempel nach Afrika flohen. Einige Qur’ankommentatoren führten die Ansicht von ‘Ali ibn Abi Talib an, wonach ein Prophet und sein Volk, die im Qur’an als Ashab Al-Ukhdud bezeichnet werden, Afrikaner waren. Nach Jesus (arab. ‘Isa) waren die meisten der Unitarier, die zu Recht Kontroversen im Christentum auslösten, ebenfalls Afrikaner.
Und als sich der eigene, arabische Stamm des Propheten, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, gegen ihn wandte, ging er nicht zu Indern, ­Chinesen, Persern, Römern oder den Rest der arabischen Halbinsel. Sondern zu einem gerechten schwarzen König in Afrika, von dem der Prophet wusste, dass er den Gläubigen Schutz gewährte. Afrika war die zweite Heimat der frühen mekkanischen Konvertiten. Eine Leuchte des Anstands und Friedens, als der Großteil der Welt in tyrannischem Götzendienst versank. Die Umdeutung des Islam zum Ausschluss von gläubigen Elementen der Gemeinschaft oder die Oktroyierung des Dins aus ethnischen Interessen – insbesondere wenn andere im Regen stehen – ist nicht zu rechtfertigen. Früh-islamische Personen wie Ata’ ibn Abi Rabah, Makhul, Jazid ibn Habib oder Ibrahim ibn Mahdi waren schwarz. Und nach Angaben von Asma ibn Abi Bakr, der Schwägerin des Propheten, war Muhammad ibn Al-Hanafijja, der Sohn von ‘Ali ibn Abi Talib, zur Hälfte schwarz.
Einer der wichtigen Autoren der ­Geschichte, Al-Dschahiz, war schwarz und schrieb über 200 Bücher zu verschiedenen Themen. Als Antwort auf rassistische Einstellungen stellte er eine leidenschaftliche Verteidigung und die Leistungen der schwarzen, subsaharischen und ostafrikanischen Gläubigen zusammen. Bekannte hanafitische Gelehrte wie der Hadithgelehrte Dschamala Ad-Din Az-Zaila’i oder der Jurist Fakhr Az-Zaila’i stammten aus dem heutigen Somalia. Heutige, westafrikanische Gelehrte mit dem Namen Schinqiti aus Mauretanien sind in der arabischsprachigen Welt für ihr enzyklopädisches Wissen, beeindruckendes Gedächtnis, intellektuelle Tiefe und gemäßigte Positionen bekannt. Auch im Westen bieten Fachleute wie Sherman Jackson, Imam Zaid Shakir oder der einflussreiche Redner Imam Siraj Wahhaj relevante, vernünftige und motivierende Einsichten, die für westliche Muslime bedeutsam sind.
Auch wenn schwarze Muslime aufgrund ihres Glaubens als gleichwertig gelten, gibt es immer noch eine große Zurückhaltung, ihnen das fundamental gleiche Recht zur Gestaltung einer gemeinsamen Identität einzuräumen. Häufig ist die Unsichtbarkeit von Schwarzen in einflussreichen Stellen unübersehbar. Nicht nur in der Politik, sondern auch in der Art und Weise, wie wir als religiöse Gruppe organisiert sind.
Ich bin sicher, alle überzeugten Gläubigen sollten hier ungeachtet ihrer Hautfarbe und ihres ethnischen Hintergrunds als Verteidiger agieren. Dafür gibt es historische Vorbilder bei früheren Gestalten. Der Kalif ‘Umar ibn ‘Abdul ‘Aziz, der sich seiner Verantwortung zum Dienst an allen bewusst war, entgegnete seiner Frau, warum er melancholisch war: „Ich dachte nach und musste feststellen, dass mir die Angelegenheiten dieser Gemeinschaft aufgetragen wurden, ihrer schwarzen und roten (Leute) …“
Der hanbalitische Jurist Ibn Al-Dschauzi wandte sich in einem Buch gegen die bestehenden negativen rassistischen Einstellungen im Bagdad seiner Zeit. In „Beleuchtung der Unkenntnis der Tugenden von Sudanesen und Äthiopiern“ sprach er nicht nur über den Wert ihres kulturellen Erbes. Er kritisierte auch die verbreitete Diskriminierung von Schwarzen wegen ihrer Hautfarbe. Ibn Dschauzi begann mit einer biblischen Erzählung über Schwarze als Nachkommen von Ham, dem Sohn des Propheten Noah (arab. Nuh). Und er wies zurück, dass Ham von seinem Vater verflucht worden sei. Danach behandelt der Gelehrte die ­Eigenschaften der Schwarzen aus dem Sudan und beschreibt ihre physische Kraft und ihre Herzen, die „Mut fördern“. Die Abessinier bezeichnete er als Menschen mit „weitverbreiteter Großzügigkeit, aufrechter Moralität, gutem Verhalten gegenüber anderen, Lächeln, guten Worten, verständlicher Alltagssprache und guter Rede“. Diese Eigenschaften korrespondieren mit unserer jetzigen Lage, in der schwarze Muslime sich trotz ihrer Herausforderungen relativ positiv in der weiteren muslimischen Bevöl­kerung engagieren. Ganz zu schweigen von den Konvertiten, die ihren Glauben trotz negativer Einstellungen aufrecht­erhalten. Hierzu gehören auch die Muti­gen, die offen rassistische Vorstellungen in ihren ethno-kulturellen Gemeinschaften herausfordern.
Der Bagdader Ibn Al-Dschauzi fuhr mit der Auflistung positiver schwarzer oder dunkler Dinge auf. Bei einer Gelegenheit bezeichnete er das Herz als „das edelste Teil des Körpers“ und erwähnte dann das Hadith über seinen Einfluss auf die gesamte menschliche Form. An anderer Stelle verwies er auf das Haar, das „wenn es schwarz ist, die Essenz des guten Aussehens symbolisiert. Und wenn es weiß wird, verschwindet dieses“. Nach Angaben einiger Quellen sei Dhu’l-Qarnain, der in der Sure Al-Kahf erwähnt wird, nicht nur ein großer König, sondern auch schwarz gewesen. Das Gleiche gelte für Luqman, den Weisen, im Qur’an. Es gibt auch eine Beschreibung von Prophetengefährten und Angehörigen späterer Generationen, die sehr von schwarzen Frauen angezogen waren und sie vorzogen. Eine solche Vorliebe stellte dominante Schönheitsideale in Frage.
Beispiele wie das von Ibn Al-Dschauzi beleuchten, dass es viel zu einfach wäre, weitverbreitete Einstellungen auf einen postkolonialen, europäischen Komplex zu schieben. Er lebte lange vor dem Aufstieg des westlichen Kolonialismus. Der heutige Rückschluss vom Kolonialismus auf den Rassismus lenkt vom Umgang mit dem Problem ab. Denn das würde bedeuten, spezifische Ethno-Kulturen zur Verantwortung zu ziehen, ohne dabei die Ursache für den moralischen Zu­sammenbruch auf andere projizieren zu können.
Es gibt eindeutige Beispiele für eine diskriminierende Rhetorik wie jene, die direkt nach der Ermordung von Drummer Lee Rigby zum Einsatz kam. Mancher Muslim beeilte sich, auf die Herkunft der Mörder hinzuweisen – den ­„gestörten“ schwarzen Konvertiten. Die gleichen Kritiker waren niemals bemüht, auf das asiatische Erbe des ideologischen Anführers der Mörder, Anjum Chaudhry, zu verweisen. Ähnliches betrifft den ethnischen Hintergrund vieler anderer, die für die Planung von Angriffen auf unschuldige Menschen inhaftiert wurden. Ist dies nicht genau der Punkt, für den sie Medien kritisierten, gerade wenn es um kriminelle Sex-Gangs ging?
Und es berührt nicht einmal den Eisberg alltäglicher Anfeindungen, denen viele schwarze Muslime von anderen Muslimen alltäglich ausgesetzt sind. So sehr manche zu Recht über diskriminierende Handlungen und Aussagen von überwiegend weißen, rechtsgerichteten Personen und Organisationen sprechen, scheinen sie unaufmerksam bei Angelegenheiten zu sein, die ihnen näher sind. Die Verpflichtung zum Engagement ­gegen Rassismus ist nur dann ernstzunehmen, wenn diese Stimmen ihre Gemeinschaften zur Rechenschaft ziehen.
Rassische Vorurteile sind kein regionales oder muslimisches Phänomen, sondern ein menschliches. Sie entstehen im Laufe der Zeit – überall auf der Welt, in verschiedensten Kulturen und bei den Anhängern aller Religionen. Mir geht es hier um den Hinweis, dass es sich um ein gottloses Problem handelt. Und Allah erwartet, dass wir uns dessen nicht nur bewusst sind, sondern auch Maßnahmen zu seiner Lösung ergreifen müssen. Im 34. Vers der Sure Al-Fussilat heißt es: „Wehre mit einer Tat, die besser ist, (die schlechte) ab, dann wird derjenige, zwischen dem und dir Feindschaft besteht, so, als wäre er ein warmherziger Freund.“
Um unserer Kohärenz gerecht zu werden, ist der Hinweis wichtig, dass es große Worte sind, wenn soziale Integration als zweigleisige Angelegenheit bezeichnet wird, aber wir das noch nicht einmal ­untereinander schaffen. Auch Multikulturalismus ist ein nettes Modewort. Aber seine Erwähnung wird anmaßend, wenn der entsprechende Anspruch nicht im Inneren reflektiert ist.
Zu behaupten, die kontroverse Natur des Themas führe zur Spaltung, ist intellektuelles Scheitern in Reinform. Erstens wird dieser Punkt nur von Nicht-Schwarzen angeführt. Sie übersehen die Interessen der Ausgeschlossenen und ­betrachten das Problem mit anderen Augen als die direkt Betroffenen. Zweitens kann nicht logisch behauptet werden, die Behandlung einer Ursache der Uneinigkeit führe zur Spaltung. Es sei denn, man ist ahnungslos, welchen Streit sie auslöst. Solche Stimmen sind gut beraten, sich mit dem Diskurs schwarzer Muslime zu beschäftigen. Drittens wird eine anhaltende Schlechtbehandlung zur Disin­tegration muslimischer Gemeinschaften und inneren Abneigung führen. Eine gewisse Vorausschau macht es nötig, frühe Warnsignale zu erkennen und uns – als eine Gemeinschaft der Gläubigen – zur Lösung potenzieller Schwierigkeiten ­aufzurufen.
Indem wir Hindernisse einer unethischen Natur entfernen, und auf eine echte, gemeinsame muslimische Identität hin arbeiten, sollte man das Beste von uns organisch verschmelzen. Das mag es nötig machen, dass wir uns alle ändern müssen, um unseren Ort zu finden, anstatt nervös zu werden. Wir sollten das als Teil eines Reifungsprozesses betrachten, der die Gemeinschaft der Gläubigen auf spannende und positive Weisen ­entwickelt.