Plötzlich erschallt der Gebetsruf. Ein überraschender Ort in der sächsischen Metropole. Von Tarek El-Sourani

Ausgabe 213

„So lockt mich die Moschee;
Ich kleid’ in maurische Schnörkel
Mein abendländisches Weh.“

(Gottfried Keller, Wanderlied)

(iz). Es ist an einem diesigen und regnerischen Freitagvormittag, als ich auf mein Fahrrad steige und losradele in Richtung Leipzigs Osten, genauer gesagt zur Neustadt, um dort eine der hiesigen vier Moscheegemeinden zu besuchen. Mein Weg ist kurz, denn das teilsanierte Viertel befindet sich in Bahnhofsnähe und hat einen gut ausgebauten Anschluss zum historischen Stadtkern.

Angekommen, schweift mein Blick ziellos durch die vom Verkehr überfüllten Straßen. Neben den nur wenigen Wohnhäusern, die man liebevoll saniert und bunt gestaltet hat, reihen sich viele farblose Neubauten, leerstehende Büroflächen und vernachlässigte Baulücken. Eingeschlagene Fensterscheiben und schmie­rige Graffitis sind meine trüben Begleiter. Doch trotz der negativen Entwicklungen der letzten Jahre, versichert die Stadt, diesem Zustand entgegenzusteuern und fördert die Anlegung von Grünanlagen, unterstützt kulturelle Projekte und lokale Märkte, errichtet Spielplätze und Begegnungszentren. Kurz gesagt: die Infrastruktur, um Ort mit Leben zu erfüllen.

Und doch erschließt mir das gesamte Bild dieses Stadtteils erst entlang ­seiner Hauptader, der Eisenbahnstraße: Es ist bunt und vielfältig. In den Häusern rund um diese Straße leben Menschen aus den verschiedensten Kulturen und unterschiedlichsten Lebenslagen. Infolge der günstigen Mieten ­bezogen vor allen Migranten und junge ­Familien mit geringerem Einkommen den Ortsteil. Zunehmend wächst aber auch die Zahl der Studenten, die neben den niedrigen Kosten, ebenso die besonderen Spezialitätengeschäfte mit internationalem Warenangebot schätzen: So findet man auf der Eisenbahnstraße zum Beispiel einen Korea-Markt, ein russisches Süß­wa­rengeschäft oder einen türkischen Bäcker.

Während ich noch dem Gedanken an frischen Falafel nachhänge, richtet sich mein Blick schon auf die die gegenüberliegende Straßenseite, in der sich die Takva-Moschee befindet. Mittlerweile hat sich das Wetter aufgeheitert und die Sonne blinzelt hervor. Vor mir breitet sich eine Reihe verlassen wirkender Betriebsgelände aus. Gewerbegebiet.

In der Rosa-Luxemburg-Straße 45a zeigt sich die Moschee von außen nicht als solche erkennbar. Kein Minarett ragt in den Himmel, und auch keine verzierte Kuppel ist anzutreffen. Dafür aber eine Gruppe türkisch und kurdisch aussehen­der Männer, die mich herzlich mit dem islamischen Friedensgruß „As-Salamu alaikum“ (Friede sei mit dir!) empfangen. Zusammen mit einem älteren Mann gehe ich entlang der in freundlichem Beige angemalten Mauer hinüber zum kleinen blauen Gittertor, das uns Zugang zum Innenhof gewährt.

Auf dem kleinen Platz ist eine Menge Gewimmel. Mehrere Männer unterhalten sich wild durcheinander. Hier wird sich ein Handschlag gegeben, dort wird gelacht. Ein Fußball fliegt durch den Hof. Gleich gegenüber werden Kinderstimmen laut, die unter einem Volleyballnetz in einem großen Sandkasten sitzen und sich um Schaufel und Bagger zanken. Ab und an flitzt eine Frau hindurch. Neben dem Sandkasten ist eine bescheidene, mit Blumen verzierte Grünfläche, auf der ein hölzerner Pavillon errichtet ist. Eingehüllt in schwarze Ja­cken sitzen dort zwei ältere Herren in einem vertraulichen Gespräch, schlürfen Tee und rauchen. Nach und nach trudeln immer mehr Muslime ein.

Plötzlich erschallt aus der Moschee der Gebetsruf. Kurzerhand werden die Ge­spräche auf später verschoben, die Zigaretten ausgedrückt und die Kinder auf dem Arm genommen. Innerhalb ­weniger Sekunden ist der Hof vollständig leer und jeder hat sich in die Moschee begeben, denn der Adhan markiert den Beginn des Freitagsgebets.

Im Gebetsraum sitzen alle bequem auf dem rot ausgelegten Teppich und lauschen aufmerksam der beginnenden Khutba, der Freitagsansprache des Imams, die dem Gebet vorausgeht. Auch ich habe meine Schuhe ausgezogen und sitze inmitten der Gläubigen.

Der mit einer schwarzen Robe und einem weißen Turban bekleidete ältere Mann leitet seine Rede mit der Lobprei­sung Gottes und seines Propheten Mohammed ein. Danach geht er über zu seinem Hauptthema: Die liebevolle Beziehung zu den Menschen. Das Fundament für alles Gute, so sagt er, sei die Liebe und der Respekt zum Nächsten. Diese unermesslichen Werte stellten die Grundlage für funktionierende soziale Verhältnisse dar. Gleichzeitig zögen sie Verantwortungsgefühl und Pflichten nach sich. Menschen Gutes zu wünschen und die Liebe zum Menschen hochzuhal­ten – gleich welcher Religion oder Herkunft – sei die Aufgabe des Muslims. Sofern verwirklicht, entstehe in der Gesellschaft Solidarität, Verständnis und Zusammenhalt.

Am Ende der Ansprache angelangt, wird der Koran melodiös rezitiert und ein zweiter Gebetsruf ertönt. Die Gläubigen erheben sich, stellen sich aufrecht in eine Reihe und das Gebet beginnt.

Tee in der Moschee
Nach dem Gebet sitzen viele noch bequem auf dem Teppich, manche sind weiterhin andächtig versunken, andere unterhalten sich leise. Ich habe Zeit, mir Gedanken zu machen und den Ort ein wenig näher zu erkunden.

Das innere Erscheinungsbild des Gebetsraumes ist durch die zwei verbindlichen Einrichtungselemente einer jeden Moschee geprägt. Zum einen der hier grün bemalte und weiß umrahmte Mihrab (Gebetsnische), der nach Mekka hin ausgerichtet ist und den Gläubigen zeigt, wohin sie sich beim Gebet ­richten müssen. Zum anderen gleich rechts daneben der hölzerne Minbar, auf dem der Imam zum Freitagsgebet wie eben heute oder an besonderen Festtagen seine Predigt hält.

Moschee – das ist im Übrigen etymologisch über das französische Wort „mosque“ zurückzuführen auf das andalusische Wort „Mesquita“, das seinerseits eine Abwandlung des arabischen Wortes Masdjid ist und so viel wie „Ort der Niederwerfung“ bedeutet.

Demnach ist die wesentliche Funktion einer Moschee religiös, das heißt: ein Ort des Gebetes, der Ruhe und der Meditation. Trotzdem ist sie kein ge­weihter Raum, sondern wird bestenfalls durch die ihn ihr gegenwärtig Betenden sakral.

Darüber hinaus ist die Moschee als Ort der regelmäßigen Versammlung Träger für die Entwicklung und Erhaltung der Gemeinschaft. Aus diesen beiden wichti­gen Funktionen, entwickelte sie sich schon seit ihrer Entstehung im 7. Jahrhundert zur komplexen sozialen Institution.

In der Regel war sie schon immer ein Mehrzweckgebäude und besaß eine Viel­zahl von Einrichtungen, die dem Ge­mein­wohl dienten. Das waren unter an­derem: Armenküchen, ambulante Be­handlungszimmer, Unterkünfte für Rei­sen­de, Bäder, Lebensmittelgeschäfte, Be­reiche für die Freizeitgestaltung von Kindern, private Zimmer für Frauen, Bibliotheken mit Leseräumen, Orte für Hochzeiten und Feierlichkeiten, Besprechungsräume und ähnlichem. Dies wird mir auch im kleinen Rahmen in der Takva-Moschee deutlich, als ich freundlich zu Tee und Gebäck im Freizeitbereich eingeladen werde.

In dem großen, lang gestreckten Raum ist im hinteren Teil eine Küche eingerichtet, daneben stehen mehrere Tische und Stühle. Im vorderen Teil gibt es zwei Tischtennisplatten und ein Billardtisch. Seitwärts zur Wand hin hängt ein Plasma- Fernseher, in dem türkische Nachrichten laufen. An der gegenüberliegenden Wand stehen Regale, die mit Büchern gefüllt sind.

Mir wird berichtet, dass es hier sowohl religiöse als auch nicht-religiöse Angebo­te gibt. Sie reichen von deutsch und arabischen Sprachkursen über Kinderbetreuung und Hausaufgabenhilfe bis hin zum interreligiösen Dialog, dem Fußballverein und verschiedenen Orientierungshilfen in der deutschen Gesellschaft.

Nachdem ich den süßen Minztee ausgetrunken habe, führt mich ein zierlicher Junge noch zu dem kleinen Lebensmittelgeschäft, gleich neben dem Haupt­eingang der Moschee. Wie sich später herausstellt, ist er der Sohn des Ladenbe­sitzers und ziemlich vergnügt über die Arbeit seines Vaters. Nicht von ­ungefähr, denn dort gibt es neben mancher süßen Leckerei, auch klassisch-„orientalische“ Lebensmittel wie Fladenbrot, Halal-Fleisch, Kaffee aus der Türkei, Datteln aus Marokko, libanesischen Humus oder jordanischen Couscous. Zufrieden kaufe ich mir eine Packung eingefrorenen Falafel, bedanke mich herzlichst bei allen Anwesenden und verabschiede mich.

Inzwischen sind auch die regnerischen Wolken von dannen gezogen.