Populismus, Säkularismus und Christentum in den Staaten der EU

Brüssel (KNA). Europa eine Seele zu geben – so lautet eines der erklärten Anliegen der in Brüssel vertretenen Religionsgemeinschaften. Und so gibt es auch seit Jahren einen „institutionalisierten Dialog“ zwischen ihnen und den EU-Institutionen. Die „Religionspolitik“ im eigentlichen Sinne entscheidet sich allerdings auf der Ebene der 28 Mitgliedstaaten – und dort sieht das europäische Tableau äußerst vielfältig aus.

Die nackten Zahlen sprechen eine klare Sprache: Rund 270 Millionen von 500 Millionen EU-Bürgern sind Katholiken, zudem gibt es protestantisch und orthodox geprägte Mitgliedstaaten, Millionen Muslime, Juden, Hindus und Sikhs, die ihren Glauben in der EU leben. Die EU, so die Papierform, ist also ein religiös, ja christlich geprägter Staatenbund. Doch die jüngste öffentliche Oster-Debatte darüber, ob Großbritannien heute noch ein „christliches Land“ sei, lässt sich mühelos auch auf den gesamten Kontinent übertragen.

Eigentlich wollte Premier David Cameron damit nur ein paar konservative Wähler zurückgewinnen. Ein Bekenntnis zum christlichen Großbritannien schien vor den Europawahlen ein geeignetes Mittel, den aufstrebenden Rechtspopulisten um Nigel Farage etwas von ihrem starken Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch Camerons eigentlich moderat gefasster Zeitungsbeitrag löste eine Kontroverse aus, die auch dem Regierungschef selbst vor die Füße fiel.

Er hatte die Christen ermuntert, auch in säkularen Zeiten selbstbewusster zu sein und „evangeliumsgemäßer in einem Glauben, der uns antreibt, hinauszugehen und das Leben der Menschen zu verändern“. Der Widerstand war massiv. Prominente aus Wissenschaft, Kunst und Medien reklamierten, Großbritannien als ein „christliches Land“ zu charakterisieren, sei „nicht hinnehmbar“. Die Verfasser verwiesen auf eine pluralistische Gesellschaft, die – auch das Teil ihrer kolonialen Tradition – Angehörige anderer Religionen wie Muslime, Hindus, Sikhs und Juden, aber auch viele explizit nichtreligiöse oder atheistische Bürger hat.

Auch im Nachbarland Frankreich sorgt eine andauernde Laizismusdebatte für Lähmung statt Freiheit. Nutzt der Staat seine weltanschauliche Neutralität, um freie Religionsausübung positiv zu schützen und zu begünstigen, oder definiert er den öffentlichen Raum tendenziell als frei von religiösem Bekenntnis? Die teils widersprüchlichen Urteile französischer Gerichte zum Tragen religiöser Symbole spiegeln eine gesellschaftliche wie behördliche Verunsicherung wider. Die sozialistische Regierung Hollande brach zuletzt mit mehreren Gesetzesprojekten in Bastionen bürgerlich-christlicher Werte ein.

„Homo-Ehe“, Stammzellforschung, aktive Sterbehilfe, Abtreibungsgesetzgebung: Das sind auch in anderen einst katholisch geprägten Ländern Streitpunkte, so in Spanien oder auch im Post-Berlusconi-Italien. In Polen, dem zahlenmäßig katholischsten Land der EU, gibt es zwar ungebrochene Bewunderung für den jüngst heiliggesprochenen Papst und Landsmann Johannes Paul II. – doch die Gefolgschaft für seine Botschaften bricht regelrecht ein.

Im vom Kommunismus entchristlichten Tschechien sorgt schon das Entschädigungsgesetz für die einst verstaatlichten und ruinierten Kirchenbesitztümer seit Jahren für heiße Debatten in Parlament und Gesellschaft – während im östlichen Nachbarland, der Slowakei, noch volkskirchliche Strukturen überlebt haben. In Ungarn wiederum fährt die Regierungspartei Fides von Ministerpräsident Viktor Orban stramm nationalistisch – und fördert dabei ausgerechnet die im Sozialismus unterdrückte Kirche.

In nahezu allen EU-Staaten ist zuletzt der Populismus auf dem Vormarsch. Da gibt es den Euroskeptizismus einer deutschen AfD oder der Partei des britischen Lautsprechers Farage. Da gibt es die antiislamische, teils fremdenfeindliche Spielart eines Geert Wilders in den Niederlanden, den Vlaams Belang in Flandern oder den Front National in Frankreich. Und es gibt den nationalistischen Kurs von Fides in Ungarn oder der griechischen Partei der Morgenröte. Viele Mitglieder solcher Parteien sind Christen – aber ist das auch ihre Politik: christlich?